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Irak
Offensive gegen Dschihadisten

Iraks Regierung geht in die Gegenoffensive: Im Norden des Landes will die Armee zwei Städte von den Dschihadisten zurückerobert haben. Die Isis-Terrorgruppe brüstet sich unterdessen im Internet mit Bildern von Massenerschießungen. Washington schickt einen Flugzeugträger in den Golf.

15.06.2014
    Die irakische Armee transportiert Freiwillige auf Militär-Lastwagen nach Bagdad.
    Die irakische Armee transportiert Freiwillige auf Militär-Lastwagen nach Bagdad. (picture-alliance / dpa / Ali Abbas)
    Nach dem Vormarsch der dschihadistischen Terrorgruppe Isis im Nordirak hat die Armee nach eigenen Angaben am Wochenende eine Gegenoffensive gestartet. Am Samstag vermeldete die Armee die Rückeroberung der Städte Ischaki und Muatassam in der Provinz Salaheddin. Wie Regierungssprecher Kassem Atta am Sonntag bei einer Pressekonferenz verkündete, tötete das Militär dabei 279 "Terroristen". Die Armee habe im Kampf gegen die Dschihadisten "wieder die Initiative übernommen".
    Korrespondentenberichten zufolge kamen am Sonntag bei heftigen Gefechten mehr als 30 Menschen ums Leben, darunter mindestens zehn Zivilisten. Weitere zwölf Menschen starben bei einem Selbstmordanschlag in Bagdad. Auf Fotos und Videos im Internet zeigten Isis-Extremisten Auspeitschungen, Erschießungen und Massengräber.
    Ein am 14. Juni 2014 auf der dschihadistischen Webseite Welayat Salahuddin hochgeladenes Bild zeigt nach eigenen Angaben Angehörige der Isis-Terrorgruppe, die dutzende Gefangene, mutmaßlich irakische Sicherheitskräfte, zur Exekution führen. 
    Ein Foto auf "Welayat Salahuddin": Nach Angaben der dschihadistischen Webseite zeigt es Isis-Extremisten, die irakische Sicherheitskräfte zur Exekution führen. (AFP PHOTO / HO / WELAYAT SALAHUDDIN)
    Die Terrorgruppe Isis, die ausschließlich Muslime sunnitischer Glaubensrichtung rekrutiert, setzte sich vor allem in der westirakischen Provinz Anbar und im Norden zwischen Mossul und Bagdad fest. Medien berichteten, die Armee bereite zusammen mit Tausenden Freiwilligen die Rückeroberung der nördlichen Millionenmetropole Mossul und der zentralirakischen Stadt Tikrit vor. Anfang der Woche hatten Isis-Kämpfer von Mossul aus einen Vorstoß Richtung Bagdad unternommen. Inzwischen konnten sie von Soldaten, Freiwilligen und kurdischen Peschmerga-Truppen teilweise zurückgeschlagen werden. Zeitweilig kontrollierte Isis die drei großen Autobahnen nördlich von Bagdad und trennte die Kurdenregion vom Rest des Landes.
    Vor allem schiitische Freiwillige waren zuletzt scharenweise einem Aufruf des irakischen Großajatollahs Ali al-Sistani zum Widerstand gegen die Extremisten gefolgt. Allein in der den Schiiten heiligen Stadt Nadschaf wurden 100.000 Rekruten für die Aufnahme in die irakische Armee erwartet, wie "Al-Sumaria News" berichtete.
    Streit in den USA um Intervention
    Als Reaktion auf die Eskalation entsandten die USA Kriegsschiffe in den Persischen Golf. Der Flugzeugträger "USS George H.W. Bush" wurde von einem mit Raketen bestückten Kreuzer und einem Zerstörer begleitet. Damit werde US-Präsident Barack Obama zusätzliche Flexibilität gegeben, sollten militärische Optionen nötig werden, um das Leben von Amerikanern und Interessen im Irak zu schützen, teilte das US-Verteidigungsministerium mit. Nach dem Irak-Krieg (2003-2011) hatte Obama zwar eine Rückkehr von US-Kampftruppen in das Land ausgeschlossen. Andere militärische Optionen hielt er sich aber offen.
    Die oppositionellen Republikaner riefen Obama zu einem entschiedeneren Vorgehen auf. John McCain, ehemaliger Präsidentschaftskandidat einflussreicher Senator, drängte Obama zu sofortigen Luftangriffen, um den Vormarsch der Dschihadisten zu stoppen. US-Außenminister John Kerry knüpfte dagegen Hilfe für die irakische Regierung an Bedingungen. Er betonte in einem Telefonat mit seinem irakischen Kollegen Hoschiar Sebari, ein Eingreifen der USA brächte nichts, solange die verschiedenen Gruppen in dem Land nicht ihre Differenzen überwänden, um die für die Zukunft des Iraks notwendige nationale Einheit zu schaffen.
    Irans Präsident bietet USA Zusammenarbeit an
    Irans Präsident Hassan Ruhani zeigte sich offen für eine Zusammenarbeit mit den USA im Kampf gegen die Isis. Allerdings müsse die Initiative von den Amerikanern ausgehen. Für Reinhard Baumgarten, ARD-Korrespondent in Therean, ist es indes keineswegs uneigennützig, wenn der Iran dem früheren Erzfeind Irak nun uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen die Isis zusichere. Der Iran verfolge klare wirtschaftliche und politische Interessen, sagte Baumgarten im Deutschlandfunk.
    Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wurde am Abend im Mitgliedsland Türkei erwartet. Die Türkei hatte am Mittwoch bei einer Sondersitzung des Nato-Rates ihre Verbündeten über die Entführung von Dutzenden Türken im Nordirak informiert.
    (tön/hg)
    DIE TERRORGRUPPE ISIS

    Die Organisation "Islamischer Staat im Irak und in Syrien" (Isis) gehört zu den radikalsten islamistischen Gruppen im Nahen Osten. Sie kämpft für einen sunnitischen Gottesstaat im arabischen Raum. ISIS ging aus dem irakischen Widerstand der 2003 gegründeten Gruppe "Tawhid und Dschihad" hervor, die sich gegen die US-Invasion im Irak wandte. Die Gruppe griff im Irak nicht nur US-Soldaten an, sondern verübte auch Selbstmordanschläge auf Schiiten und Christen im Land.

    Sunnitischer Großstaat

    Erster Anführer war der Jordanier Abu Mussab Al-Sarkawi. Al-Sarkawi wurde 2006 von der US-Armee getötet. Seither führen Iraker die Organisation. Seit Mai 2010 steht der Iraker Abu Bakr Al-Bagdadi an der Spitze der Isis. Deren zweiter Name "Islamischer Staat im Irak und der Levante" verdeutlicht den Anspruch, einen sunnitischen Großstaat zwischen Mittelmeer und Euphrat zu errichten.

    An Macht gewann die Isis, als sie sich im Frühjahr 2013 in den syrischen Bürgerkrieg einmischte. Vor allem im Nordosten Syriens greift Isis syrisch-kurdische Städte an und tötet die Zivilbevölkerung. Im Irak profitiert die Isis vom Streit der von Schiiten dominierten irakischen Regierung unter Nuri Al-Maliki mit den sunnitischen Parteien des Landes.

    Durch Wegzölle finanziert

    Isis finanziert sich unter anderem durch Wegzölle entlang der Grenzen zwischen Irak und Syrien. In den Reihen der Gruppe kämpfen internationale Brigaden, darunter Muslime aus Nordafrika und den arabischen Golfstaaten sowie Konvertiten aus Europa und Nordamerika.