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Irakische Justiz
Der heikle Umgang mit IS-Kämpfern

Anklagen oder ausliefern? Diese Entscheidung muss die irakische Regierung bei vielen Dschihadisten treffen, die mit dem "Islamischen Staat" Terror verbreiteten. Viele Opfer wollen die Täter im Irak angeklagt sehen – weil ihnen dort die Todesstrafe droht.

Von Charlotte Bruneau | 30.03.2019
Irakische Kämpfer im Westen Mossuls (27.2.17)
Der "Islamische Staat" gilt als besiegt. Jetzt soll die irakische Justiz die Täter verurteilen. (dpa picture alliance / AP / Khalid Mohammed)
Dutzende Frauen, umhüllt von langen schwarzen Abayas, sitzen schweigend am Straßenrand. An der Sicherheitsabsperrung des Gerichthofes dürfen sie nicht vorbei. Unter dem grauen Nieselregen warten sie auf ihre Ehemänner, Brüder oder Söhne: Heute sollen die irakischen Richter entscheiden, ob sie als Terroristen des "Islamischen Staats" verurteilt werden oder nicht.
Der Eingang zum Anti-Terror-Gerichtshof von Tal Kayf, einer kleinen Vorstadt von Mossul im Norden des Irak, ist überfüllt. Agenten des Geheimdienstes, nationale Sicherheitskräfte, Bundespolizisten sprechen sich mit gedämpften Stimmen ab. Anwälte mit schweren Aktenordnern laufen an ihnen vorbei in den langen Flur hinein. Dort warten die Angeklagten, leicht erkennbar durch ihre dunkelbraunen Häftlingsanzüge. Mit dem Gesicht zur Wand gedreht, hocken sie auf den Knien, die Augen starr auf den Boden gerichtet. Der Gerichtshof in Tal Kayf bearbeitet die höchste Zahl an IS-Verdächtigten im ganzen Irak. Alleine im Jahr 2018 sollen es 9.000 gewesen sein.
"Die Gesetze gelten für alle"
Während der Befreiung Mossuls 2017 sind neben irakischen auch hunderte ausländische Kämpfer festgenommen worden. Auch wenn die Ausländer nicht hier, sondern in der Hauptstadt Baghdad vor Gericht gestellt werden, gilt für fremde Dschihadisten das gleiche, irakische Gesetz. Der Präsident des Anti-Terror Gerichtshofes, Raed al-Maslah:
"Wir machen keinen Unterschied, das Gesetz gilt für jeden. Jeder Fall hat seine eigenen Besonderheiten. Der Ausgang hängt von den vorhandenen Beweismitteln ab. Jeder, der sich an Mord oder an Anschlägen beteiligt hat, wird zum Tode verurteilt."
Auch den rund 1.000 ausländischen Dschihadisten in irakischer Haft droht also die Todesstrafe. Und genau das bereitet der EU Kopfzerbrechen. Die aktuell noch ergebnislosen Debatten in Deutschland scheinen bis heute nur eines klar zu machen: Zurückholen will sie – mit Ausnahmen etwa für Minderjährige - eigentlich keiner.
Soll die irakische Justiz nun über sie urteilen, auch zum Tode? Völkerrechtlich ist die Todesstrafe nicht verboten, aber geächtet: Sie verstößt unter anderem gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sowie das deutsche Grundgesetz.
Aber genau deswegen zögert die irakische Regierung, die ausländischen Kämpfer auszuliefern beziehungsweise eine Auslieferung anzustreben. Dies erklärt ein Anwalt aus Mossul, der lieber anonym bleiben möchte: "Ehrlich gesagt tendiert die irakische Regierung eher dazu, sie nicht auszuliefern. Aus dem Grund, dass viele Länder, so wie in Europa oder Australien, Abkommen gegen die Todesstrafe unterschrieben haben. Und auf dieses Urteil zu verzichten, würde hier gegen den Willen der Opfer des IS gehen".
Diejenigen, die für die Terrororganisation Islamischer Staat getötet haben, nicht selbst zum Tode zu verurteilen, sei nicht nur unfair, sondern sogar gefährlich, meint der Chef der Anti-Terror-Abteilung des Innenministeriums in Mossul, Mohammad Tallal:
"Wenn ein Kläger gegen einen Terroristen, der beispielsweise seine Mutter umgebracht hat, Beschwerde einlegt, darf ich den Schuldigen nie wieder freilassen. Wir haben unsere eigenen Sitten hier. Die Opfer werden den Angeklagten dann selbst töten wollen und sagen, die Regierung hätte sich nicht für ihn gerächt. Wenn wir nicht jeden gleich festgenommen hätten, wäre hier ein schreckliches Massaker ausgebrochen."
Debatte um Todesstrafe
Der soziale Zusammenhalt im Irak ist zerrüttet, die Herausforderungen an Staat und Justiz gehen weit über die Bestrafung der IS-Mitglieder hinaus. Denn diese hinterlassen nicht nur Opfer, sondern auch ihre eigenen Kinder und Familien. Wie diese nun zusammenleben sollen, weiß keiner.
Kheiri Jaburi war der einzige von fünf Brüdern, der es schaffte, dem IS zu entkommen, als dieser die Stadt Mossul überfiel. Er sieht keine gemeinsame Zukunft mit Angehörigen des IS, der im arabischen Raum von den meisten "Daesch" genannt wird.
"Was wir letzten Endes fordern, ist die Bestrafung der Schuldigen. Kämpfer sollen zum Tode verurteilt und ihre Familien weit weg von hier deportiert werden. Das sind unsere Forderungen als Angehörige von Opfern des IS oder von Vermissten."
Verpönt und verlassen, werden auch die Angehörigen von IS-Kämpfer indirekt mitbestraft. Auch wenn sie ihre Unschuld beweisen können, wollen Opfer des IS sie nicht mehr als Nachbarn haben.
Angst vor der Zukunft
Oum Ali ist seit über einem Jahr in einem der vielen Lager für Binnenflüchtlinge im Irak untergetaucht. Ihre beiden Söhne in Haft, in ihre Heimatsstadt Sinjar kann sie nicht zurückgehen, sagt sie.
Drei Frauen sitzen zwischen den Zelten im Jadah Lager und unterhalten sich, Kreis Mossul
Die Angehörigen von IS-Kämpfern sind geächtet und werden so indirekt mitbestraft. Sie können nicht in ihre Heimatstädte zurückkehren. (Charlotte Bruneau / Deutschlandradio)
"Wir haben Angst zurückzugehen, wir haben Angst vor der Wut der Yeziden. Keiner von uns kann in sein Dorf zurückkehren, es ist nicht sicher".
Ohne Arbeit und ohne Zukunftsperspektive muss sich Oum Ali jedoch um ihre zwei kleinen Söhne kümmern, die zu zeiten des sogenannten Kalifats in Mossul geboren wurden.
Shirwan Aldoberdany, ein Parlaments-Abgeordneter aus Nineveh für die Demokratische Partei Kurdistans, fürchtet, dass in den Lagern eine Zeitbombe tickt. Die Kinder der IS-Kämpfer müssten dringend umerzogen werden: "Wir brauchen eine internationale Zusammenarbeit zwischen Nichtregierungsorganisationen und unserer Regierung. Wie Sie wissen, hat der IS Kinder indoktriniert und auch als Kämpfer eingesetzt. Das ist nicht einfach wiedergutzumachen."
Für die irakische Gesellschaft ist die heikle Frage, wie sie mit ihrer eigenen IS-Angehörigen umgehen will, wohl schwieriger zu lösen, als die des Schicksals der ausländischen IS-Mitglieder, meint der Anwalt aus Mossul: "Die ausländischen Familien wurden in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt. Nach der Befreiung von Tal Afar haben sie um die 200 bis 250 Familien zurückgeführt. Frauen und Kinder. Aber die Kämpfer, die wollen wir nicht zurückschicken."