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Iran
Einigung wäre "fauler Kompromiss mit katastrophalen Auswirkungen"

Der Iran setzt in den Atomverhandlungen erneut auf die Taktik "Täuschen und Zeitschinden", sagt der Wiener Politikwissenschaftler Stephan Grigat. Lockerungen der Sanktionen wären deshalb eine "fatale Strategie".

Stephan Grigat im Gespräch mit Jasper Barenberg | 23.11.2013
    Jasper Barenberg: Vor zwei Wochen ist der Durchbruch ausgeblieben bei den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm, obwohl die Außenminister aus Washington, Moskau, London und Frankreich sich persönlich in die Gespräche eingeschaltet und damit natürlich Hoffnungen auf eine Einigung geweckt hatten. Jetzt sind alle wieder nach Genf gereist.
    Rückt ein Abkommen jetzt also, an diesem Wochenende, in greifbare Nähe? Am Telefon begrüße ich den Politikwissenschaftler Stephan Grigat von der Universität Wien, Mitherausgeber der Zeitschrift "Iran im Weltsystem". Schönen guten Tag, Herr Griegert!
    Stephan Grigat: Schönen guten Tag aus Wien!
    Barenberg: Wir haben es gehört, die Außenminister äußern sich sehr zurückhaltend, sie sehen Chancen auf eine Einigung, aber beileibe noch keine Gewissheit, dass es ein Abkommen geben wird. Wie beurteilen Sie die Situation?
    Grigat: Ich kann Ihnen auch nicht sagen, ob das letzten Endes zu einer sogenannten Einigung führen wird. Das wäre nun wirklich nicht das erste Mal, dass in letzter Sekunde es dann doch nicht zustande kommt. Was ich Ihnen aber sagen kann, ist, dass, was im Augenblick unter einer sogenannten Einigung verhandelt wird, ein ausgesprochen schlechter Deal wäre. Also, dass sich dort zu meinem Entsetzen, muss ich tatsächlich sagen, ein ausgesprochen fauler Kompromiss abzeichnet, der, wenn er so, wie man bisher gehört hat, zustande käme, fatale Auswirkungen haben könnte perspektivisch, womöglich katastrophale Auswirkungen.
    Denn offensichtlich zielt der nicht darauf, dieser Deal, so eine Einigung, das iranische Nuklearwaffenprogramm tatsächlich ein für alle Mal zu beenden, sondern lediglich in einigen Teilen, Bereichen für eine gewisse Zeit auf Eis zu legen. Und das ist eine fatale Strategie, weil das selbstverständlich dem iranischen Regime weiter ermöglicht, in anderen Bereichen sein Nuklearwaffenprogramm und das damit im Zusammenhang stehende Raketenprogramm weiter zu entwickeln.
    Barenberg: Lassen Sie uns noch einen Augenblick über diese Übergangslösung sprechen! Das soll so aussehen, dass der Iran zunächst Teile seines Atomprogramms auf Eis legt, wir haben das auch eben im Bericht des Korrespondenten gehört, da geht es vor allem um die Urananreicherung und den Bau des Schwerwasserreaktors in Arak. Im Gegenzug soll es dann Lockerungen geben bei den Wirtschaftssanktionen. Warum ist das aus Ihrer Sicht keine tragfähige Lösung, oder was wäre nötig, damit es für den Übergang zumindest ein erster Schritt sein kann?
    "Iranische Regime spekuliert auf Übergangslösung"
    Grigat: Zunächst einmal müsste im Vorhinein vollkommen klar sein, dass zumindest die UN-Sicherheitsratsbeschlüsse eingehalten werden, von denen ja im Vorfeld kaum noch die Rede gewesen ist. Die fordern vollkommen unmissverständlich eine komplette, eine vollständige und überprüfbare Einstellung der Urananreicherung. Also nicht nur ein Herunterfahren des Anreicherungsgrades, sondern eine vollständige Einstellung dieser Urananreicherung. Aber das alleine reicht natürlich bei Weitem nicht.
    Wenn man wirklich möchte, dass diese Gefahren, die von dem iranischen Atomprogramm ausgehen, dass die ein für alle Mal beendet werden, dann geht es um die Einstellung der Urananreicherung, es müsste das bereits hoch angereicherte Uran außer Landes gebracht werden, es müsste die ja nicht zufälligerweise unterirdische Anlage in Fordo geschlossen werden, es müssten vor allem die hoch technisierten, die sehr leistungsfähigen Zentrifugen in Natans abgebaut werden und es müsste zu einer vollständigen und ebenfalls überprüfbaren Einstellung der Arbeiten an diesem bereits erwähnten Schwerwasserreaktor in Arak kommen.
    Barenberg: Kann man nicht sozusagen in einem Zwischenschritt erst mal das vereinbaren, was als Übergangslösung jetzt auf dem Tisch liegt, und dann eine endgültige Lösung finden, die all das beinhalten mag, was Sie gerade geschildert haben?
    Grigat: Das ist genau das Problem, darauf spekuliert natürlich das iranische Regime. Wir haben ja nun nicht mehr 2007 oder 2003, sondern 2013, und das iranische Nuklearwaffenprogramm ist ausgesprochen weit fortgeschritten. Wir kennen aus den letzten zehn Jahren die Taktik des iranischen Regimes, die hinsichtlich des Atomprogramms Täuschen und Zeitschinden in erster Linie beinhaltet. Und genau darauf setzt das iranische Regime auch jetzt wieder.
    Sie machen in einem Bereich minimale Zugeständnisse, erklären sich in einem Bereich scheinbar bereit, auf den Westen zuzugehen, um in anderen Bereichen weiter Fortschritte zu erzielen. Das ist genau das Muster, das insbesondere auch Hassan Rohani, also der jetzige, fälschlicherweise als moderater, als liberaler, als Reformer dargestellte, neue Präsident, das ist genau die Taktik, die er in seiner Zeit als chefunterhändler von 2003 bis 2005 bereits zur Anwendung gebracht hat, mit dem einzigen Ergebnis, dass das iranische Nuklearwaffenprogramm weitere Fortschritte erzielt hat.
    Wenn man jetzt auch noch davon redet, dass man bereits für diese minimalen Zugeständnisse die Sanktionen lockern möchte, dann ist das genau das, worauf das iranische Regime abzielt. Wenn es wirklich dazu kommen sollte, kann man davon ausgehen, dass Ali Chamenei, der eigentlich wichtige, der eigentlich starke Mann im Iran, also der oberste geistliche Führer, ausgesprochen zufrieden sein wird. Und allein das müsste einen doch sehr skeptisch machen.
    Barenberg: John Kerry, der US-Außenminister, gehört ja zu denen, die sagen, wir sind weder blind, noch töricht. Er setzt also Hoffnungen auf den neuen Präsidenten in Teheran, aber will auch realistisch bleiben. Sturm gegen all das läuft derzeit vor allem Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, er steht aber recht alleine da im Kreis derjenigen, die da verhandeln?
    "Die Bedenken Israels sollte man sehr ernst nehmen"
    Grigat: Ja, leider steht er recht alleine da. Es sind zwei Punkte. Zum einen gibt es ja ein ganz prinzipielles Problem mit solchen Verhandlungen mit dem iranischen Regime: Jedes Mal, wenn man Verhandlungen mit diesem Regime führt, jedes Mal, wenn man Gespräche mit Vertretern von so einem Regime führt, also ein antisemitisches Holocaust-Leugner-Regime, was Israel immer wieder mit Vernichtung gedroht hat, auch jetzt in der Präsidentschaft Ahmadinedschads, ein Regime, das Tausende Oppositionelle hingerichtet hat und Schwule an Baukränen aufhängt, so einem Regime verleiht man legitimität durch solche Verhandlungen und Gespräche, eine Legitimität, die es bei großen Teilen der iranischen Bevölkerung ja schon längst verloren hat.
    Der zweite Punkt ist: Israel wird durch diese vollkommen verfehlte Iranpolitik des Westens, sowohl der EU als auch der USA, in eine Ecke gedrängt und wird geradezu genötigt, sich Gedanken darüber zu machen, gegebenenfalls eigenständig gegen diese unmittelbare, für Israel wirklich existenzielle Bedrohung vorzugehen. Es ist aber keineswegs ausschließlich Israel, das vor dem Abschluss so eines faulen Kompromisses, eines schlechten Deals warnt, sondern bekanntlich sind das auch eine Reihe von ganz wichtigen arabischen Ländern, die diese Bedenken, diese schweren Bedenken von Israel durchaus teilen. Und wenn ausnahmsweise einmal die Situation existiert, dass sowohl Israel als auch mit Israel nun wirklich nicht befreundete arabische Länder sehr ähnliche Bedenken äußern, dann sollte man das am besten doch sehr ernst nehmen, denke ich.
    Barenberg: Die Einschätzung von Stephan Grigat von der Universität Wien, danke für das Gespräch heute Mittag!
    Grigat: Danke, Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.