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Iran-Konflikt
Russland will der Schlüsselspieler im Nahen Osten werden

Russland sehe die Entwicklung im Atomkonflikt mit dem Iran mit Sorge und wolle eine atomare Bewaffnung des Landes verhindern, sagen Experten. Moskau unterstütze die Regierung in Teheran nur so lange, wie es Russland nütze. Eine langfristige Strategie sei nicht erkennbar.

Von Gesine Dornblüth | 10.07.2019
Sergej Lawrow, Russlands Außenminister, gibt zusammen mit seinem deutschen Amtskollegen eine Pressekonferenz im Gästehaus des Ministers. Hauptthemen der Gespräche werden die Ukraine-Krise, die Friedensbemühungen in Syrien und der Streit über den INF-Vertrag zum Verbot atomarer Mittelstreckenraketen sein.
Sergej Lawrow, Russlands Außenminister, sieht vor allem das Verhalten der USA im Streit um das Atomabkommen als paradox an (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
Russlands Außenminister Sergej Lawrow äußerte sich gestern bei einem Besuch in der Slowakei zu den Entwicklungen um den Iran:
"Wir setzen darauf, dass sich der Iran zurückhalten wird. Aber wir können die Augen nicht vor den Fakten verschließen: Der Iran verstößt damit, dass er begonnen hat, Uran auf mehr als 3,67 Prozent bis zu 5 Prozent anzureichern, weder gegen den Atomwaffensperrvertrag, noch gegen das Sicherheitsabkommen mit der Internationalen Atomenergie-Organisation, noch gegen das Zusatzprotokoll zum Sicherheitsabkommen. Die Situation ist ziemlich paradox: Die USA sind selbst aus dem Aktionsplan ausgestiegen und zeigen mit dem Finger auf den Iran."
Aus solchen Aussagen Lawrows zu schließen, Russland stehe im Streit um das Atomprogramm fest an der Seite des Iran, wäre falsch, betont Nikita Smagin, Nahost-Experte beim Russischen Rat für internationale Angelegenheiten. Russlands Solidarität ende, sobald die eigenen Interessen gefährdet seien.
"Russland unterstützt die Haltung des Iran, dass man erst zum Atomabkommen zurückkehren muss und alles andere danach kommt. Aber natürlich ist Russland nicht begeistert davon, wie der Iran schrittweise aus dem Atomabkommen aussteigt. Russland begreift: Wenn das Abkommen nicht mehr gilt, kann eine neue Atommacht entstehen, und das ist nicht im Interesse Russlands. Denn Atomwaffen sind ja einer der Vorteile, die Russland hat, gemeinsam mit wenigen anderen Staaten."
Russland könnte deeskalieren
Smagin geht davon aus, dass Russland im Fall einer militärischen Eskalation um den Iran versuchen werde, die Lage zu deeskalieren. Er verweist auf die US-Luftangriffe in Syrien. Dort befindet sich russisches Militär.
"Natürlich hat Russland die Angriffe auf Syrien verurteilt, aber da sie in vieler Hinsicht symbolisch waren und die eigene Haltung untermauern sollten, hat Russland nicht sehr viel Aufsehen darum gemacht. Sollte es Luftangriffe auf den Iran geben, wird Russland sie ebenfalls verurteilen. Möglicherweise wird Russland auch zusätzliche Raketenabwehrsysteme liefern vom Typ S-400."
Mehr aber auch nicht, meint Smagin. Mit einem Krieg zwischen den USA und dem Iran rechnet er ohnehin nicht. Auch der unabhängige russische Militärexperte Alexander Golz schließt eine großangelegte militärische Intervention der USA im Iran aus. Er hält sogar einzelne Luftschläge für unwahrscheinlich:
"Ein demonstrativer Luftschlag wie in Syrien ist für die Amerikaner äußerst gefährlich. Das Assad-Regime ist schwach, es kann darauf nicht antworten. Die Iraner mit ihren Mittelstreckenraketen dagegen können amerikanische Militärobjekte im Nahen Osten erreichen. Die USA sind dagegen nicht geschützt."
Sollten Luftschläge dennoch kommen, werde Russland militärisch neutral bleiben, meint auch Golz.
Russlands Einfluss in Iran ist beschränkt
Und diplomatisch? Russland habe keine Möglichkeiten, auf die Führung des Iran einzuwirken, selbst, wenn es das wolle, sagt der Nahost-Experte Smagin:
"Der Iran ist ein souveräner Staat und stellt die Souveränität über vieles andere. Russland tut, was es kann, aber es geht nicht über die politische Unterstützung des Iran hinaus."
Alexander Golz ergänzt: "Russland konzentriert sich darauf, die Widersprüche zwischen der EU und den USA so groß wie möglich zu machen. Russland wird das Atomabkommen verteidigen und die USA auch weiter beschuldigen, für dessen Ende verantwortlich zu sein. Und damit hat Russland Recht."
Der Experte Smagin meint, dass es Russland im Nahen Osten vor allem darum geht, mitzureden. Russland bemühe sich um gute Beziehungen zu allen Spielern in der Region, zum Iran ebenso wie zu Israel oder Saudi-Arabien. Eine langfristige Strategie kann er nicht erkennen:
"Russland will der Schlüsselspieler werden, der bei allen wichtigen Fragen in der Region eine entscheidende Stimme hat. Oder zumindest mitreden kann und gehört wird. Ich glaube nicht, dass es im Kreml irgendwelche Schemata gibt, welches Kräfteverhältnis es im Nahen Osten geben soll. Sobald einer dominiert, ist das aus russischer Sicht schlecht."