Dienstag, 19. März 2024

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Iran-USA Konflikt
Kampf der Narrative?

Antiwestliche Haltungen haben im Iran eine lange Tradition. Besonders die globale Unterhaltungskultur habe einen zersetzenden Einfluss, glauben konservative Kreise. Aber es gibt auch andere Narrative, wie zum Beispiel, die der ewigen Opferrolle des Iran, meinte der Publizist Robert Chatterjee im Dlf.

Robert Chatterjee im Gespräch mit Anja Reinhardt | 18.01.2020
Ein Mann hält bei Protesten in der iranischen Hauptstadt Tehran eine verannte Fahne der USA hoch.
Der Antiamerikanismus hat im Iran eine lange Geschichte (imago images / ZUMA Press / Rouzbeh Fouladi)
Anja Reinhardt: Als 1916 die Briten und Amerikaner im Nahen Osten Grenzen nach ihren Vorstellungen ziehen, verschiebt das die Machtverhältnisse in der Region so stark, dass die Auswirkungen bis heute zu spüren sind. Der Iran war davon zwar nicht betroffen, aber die Herrschaftsansprüche der Europäer auf die Bodenschätze spielten auch hier eine Rolle. Briten und die Amerikaner stürzten 1953 den Premier Mohammed Mossadegh, weil sie weiter vom Öl profitieren wollten, sie stützten die Diktatur des Schahs, bis dieser 1979 gestürzt wurde. Im ersten Golfkrieg unterstützten sie den Irak gegen den Iran.
Die antiamerikanische Haltung im Iran hat also eine lange Geschichte. Auf die Frage, ob es den "Kampf der Kulturen" immer noch gebe, sagte der Publizist und stellvertretende Chefredakteur des Magazins "Zenith" Robert Chatterjee:
Robert Chatterjee: Das würde ich so nicht sagen. Es ist sehr vielfältig. Man findet alles vor. Man findet eingefleischte antiamerikanische Positionen bzw. antiwestliche Positionen, die natürlich auch während der Revolutionszeit 78/79 noch einmal Auftrieb bekommen haben, und die sich nicht nur gegen die politische Rolle westlicher Staaten insbesondere der USA in der Region und in Iran wandten, sondern auch gegen den kulturellen Einfluss, den man als zersetzenden Einfluss gesehen hat. Gleichzeitig gab es beständig ein großes Interesse und großen Austausch. Kultur macht ja selten vor Grenzen halt.
Und gerade jetzt im Jahr 2020 ist natürlich der Iran auf ganz vielen Ebenen ein Teil einer globalen Kultur. Da kennt man auch die neueste Musik und die neuesten Filme, nicht in allen sozialen Schichten, aber amerikanische Kultur oder besser gesagt globale Unterhaltungskultur ist auch im Iran ein großes Ding. Das ist natürlich etwas, was der iranischen Führung so ein bisschen ein Dorn im Auge ist. Da gibt es auch immer noch starke Fraktionen, die sehen quasi die Kultur als ein Einfallstor für subversive Aktivitäten. Aber grundsätzlich hat man sich damit arrangiert und lässt das, soweit das nicht in der Öffentlichkeit ausgelebt wird, auch mehr oder weniger geschehen.
Ein Porträt von Robert Chatterjee, Publizist und stellvertretende Chefredakteur des Magazins "Zenith"
Der Publizist und stellvertretende Chefredakteur des Magazins „Zenith“ Robert Chatterjee (Robert Chatterjee)
Proteste in alle Richtungen
Anja Reinhardt: Was wir aber jetzt sehen ist, dass das iranische Volk dadurch, dass es ein paar Tage gedauert hat, bis die iranische Führung zugegeben hat, das Flugzeug abgeschossen zu haben, dass es da sehr viele Proteste gibt. Welches Potenzial haben denn diese Proteste auch im Hinblick darauf, dass es durchaus eine Affinität zur westlicher Kultur gibt?
Robert Chatterjee: Proteste oder Protestbewegungen gab es in den letzten Jahrzehnten, in den letzten Jahren und auch im letzten Jahr zuhauf. Gerade Ende November ist ja die letzte große Welle losgeschlagen, es sind auch mehrere hundert Menschen umgekommen. Das wurde sehr brutal niedergeschlagen.
Dann kam die Konfrontation nach der Tötung des Generals Qasem Soleimani. Da hat man von außen auch ein bisschen verwirrt geguckt und sich gefragt: Wo stehen denn die Iraner? An einem Tag protestieren sie gegen das eigene Regime und ein paar Tage später gegen den Westen und gegen die USA.
Die Antwort ist , es gehört beides dazu. Es ist nicht unbedingt einen Widerspruch. Die Frage des Abschusses dieser Passagiermaschine ist trotzdem noch ein ganz bemerkenswerter Vorgang. Da gab es auch einige bemerkenswerte Reaktionen: Selbst im Staatsfernsehen sind etwa langjährige Moderatoren vor laufender Kamera zurückgetreten, haben gesagt: Wir wollen das nicht mehr weitermachen, wir haben Euch angelogen. Ich kann das mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren.
Trauma Golfkrieg
Anja Reinhardt: Nun konnte man sich eigentlich im Iran und in der iranischen Führung eigentlich in den letzten Jahrzehnten immer ganz gut des Opfer-Narrativs bedienen. Durchaus auch zu Recht, wenn man sieht, was 1953 mit dem Sturz Mossadeghs passiert ist, mit der Einsetzung des Schahs. Wird dieses Narrativ möglicherweise jetzt genau durch diesen Abschuss auch zerstört und hat die Protestkultur dadurch vielleicht eine andere Kraft?
Robert Chatterjee: Das kommt auf den Bezugspunkt an. Wenn Sie sich zum Beispiel den ersten Golfkrieg zwischen Iran und Irak angucken, der fast die gesamten 80er Jahre lief. Das war einer der brutalsten Konflikte des 20. Jahrhunderts. Das steckt den Iranern immer noch in den Knochen. Das hat diese gesamte Nation zutiefst traumatisiert. Dieser Krieg mit zwei Millionen war wahrscheinlich der verlustreichste Krieg im Nahen Osten seit dem Zweiten Weltkrieg.
Das ist etwas, was aus iranischer Sicht immer noch ein bisschen unter den Teppich gekehrt wird, nicht wirklich anerkannt wird, auch die Details, etwa der großflächige Einsatz von chemischen Waffen. Das nimmt man dem Westen auch noch immer übel. Nicht nur, dass dieser Krieg so geführt wurde, sondern, dass er auch nicht wirklich aufgearbeitet wurde, während man sich mit seinem ehemaligen Kriegsgegner, dem Irak eigentlich ganz gut arrangiert hat. Außerdem muss man die Dimension der Führungsklasse betrachten. Viele von denen sind ja seit den Revolutionstagen im Dienst.
Wenn Sie sich etwa den Präsidenten anschauen, Hassan Rohani, aber auch den Außenminister. Führende Kader der Revolutionsgarden machen diesen Job seit vierzig Jahren und haben eine sehr langfristige Sichtweise. Sie sind in der Region mit am Längsten dabei und sehen sich im Recht. Ihre Perspektive ist immer noch: Wir kämpfen gegen ein Regime, wir sind die Unterdrückten und wir stehen für die Unterdrückten ein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.