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Iraner "der Person Khomeinis noch zutiefst verbunden"

Laut Peter Scholl-Latour verehrt die iranische Bevölkerung 30 Jahre nach der islamischen Revolution die Figur Khomeini nach wie vor. Schließlich sei der Sturz des Schahs 1979 auch eine soziale Revolution gewesen. Der Schiitenführer habe sich stets für die "Entrechteten" eingesetzt, betonte der Journalist.

Peter Scholl-Latour im Gespräch mit Elke Durak | 02.02.2009
    Elke Durak: Es gibt einen Journalisten hier in Deutschland, einen der wenigen, die die Geburt der islamischen Republik Iran vor 30 Jahren direkt miterlebt und auch all die Jahre die Entwicklung dieses Landes beobachtet haben. Das ist Peter Scholl-Latour. In diesen Tagen begeht der Iran diesen 30. Jahrestag, denn am 1. Februar 1979 betrag Ayatollah Khomeini wieder iranischen Boden, der Schah war geflohen, sein Regime lag am Boden und auf dessen Trümmern errichteten die schiitischen Gelehrten den so genannten Gottesstaat. - Herr Scholl-Latour, Sie saßen in dem Flugzeug, mit dem Khomeini zurückkam an jenem Tag. Wieso eigentlich? Wie war das möglich?

    Peter Scholl-Latour: Ich hatte ja schon länger Kontakt mit der Verschwörergruppe oder der revolutionären Gruppe, die bei Paris saß, und kannte einige von ihnen sehr gut, darunter auch einen Verwandten Khomeinis, Ahmed Tabatabai, und es war selbstverständlich, dass ich mit im Flugzeug sein würde. Nur war es so: der Imam startete und wusste nicht genau - Imam wird er in Persien genannt -, Khomeini startete und wusste nicht genau, was passieren würde bei seiner Ankunft, denn Shapo Bahtiyar, der damals nach der Flucht des Schah das Land offiziell regierte, war ein Gegner Khomeinis. Während des Fluges wurde ich dann von Tabatabai gebeten, hinaufzukommen. Es war ein Jumbo und oben in der Kapsel saß Khomeini alleine und verrichtete sein Morgengebet und er forderte uns auf, ihn dabei zu filmen, was ganz ungewöhnlich war. Und vor allem: Er machte einen sehr entspannten, beinahe lächelnden Eindruck, was ich sonst nie gesehen habe, als ob er, was ja sehr schiitisch wäre, sich freuen würde in der Perspektive des Martyriums. Dann geschah etwas Ungewöhnliches auch. Er übergab Tabatabai eine gelbe Mappe, die dann Tabatabai mir übergeben hat, und er sagte mir, wenn wir verhaftet werden, wenn wir getötet werden bei der Ankunft, dann verstecken sie diese Mappe gut, und wenn alles gut geht, wie wir es erhoffen, dann geben sie mir die Mappe zurück. Zwei Millionen Menschen standen da und jubelten Khomeini zu und ich habe die Mappe abgegeben. Acht Monate später habe ich erfahren, was drin war. Das war die Verfassung der islamischen Republik Iran.

    Durak: Das war ein sehr, sehr großer Vertrauensbeweis, Herr Scholl-Latour. Den ersten Eindruck von Khomeini hatten Sie schon beschrieben, ein freundlicher, aufgeschlossener Mann. Was war er für eine Persönlichkeit?

    Scholl-Latour: Das war natürlich ein Ausnahmezustand. In Neauphle-le-Chateau war er schon sehr streng und ich habe dann wiedergesehen in Gomme am Tag nach der Besetzung der amerikanischen Botschaft, eine Besetzung, die er selber nicht ausgelöst hat übrigens, und da war er dann extrem angespannt, da war er sehr streng und seine ganze Umgebung erstarrte in seiner Gegenwart, wie das immer der Fall war.

    Durak: Die Bevölkerung hatte unter dem Schah gelitten und war froh, dass er weg war, feierte den Ayatollah, den Imam. Waren sich die Iraner bewusst, was sie mit Khomeini bekommen würden?

    Scholl-Latour: Zweifellos nicht. Er hatte ja auch eine völlig neue Form der Verfassung entworfen, die auch heute noch gültig ist - der Artikel 5, dass nämlich der Fakir, also ein vom Volk anerkannter frommer Mann und Gelehrter, das Land regiert im Sinne des verborgenen Imam. Das ist die schiitische Mystik, dass eine Art Messias eines Tages zurückkommt. Darauf war man nicht gefasst, darauf will man zum Beispiel im Irak auch gar nicht eingehen, die Schiiten dort. Aber die Bevölkerung dort erwartete wahrscheinlich ein islamisches Regime, aber es gab natürlich in der Gefolgschaft von Khomeini auch viele Linkselemente. Die Tudeh-Partei, die kommunistische Partei war noch stark. Dann gab es die Volksfedayin, die nachher in heftigster Gegnerschaft zu Khomeini gerieten. Aber ich glaube, die Masse der Bevölkerung hängt auch heute noch an der Figur Khomeini. Die Reportagen, die man manchmal hört, von den sagen wir sehr bürgerlichen Festen in den oberen Stadtteilen von Teheran, das entspricht nicht der Wirklichkeit. Die Masse der Bevölkerung ist der Person Khomeinis noch zutiefst verbunden, was man von der jetzigen Mannschaft nicht unbedingt sagen kann.

    Durak: Ist die Bevölkerung auch der Religion so zugewandt?

    Scholl-Latour: Das hat nachgelassen. Die Perser sind ein seltsames Volk. Sie sind einerseits zutiefst religiös und dann auch wieder ein bisschen zynisch. Es ist ein uraltes Volk. Aber man sollte auch diese Religiosität nicht unterschätzen. Es hat ja dann unmittelbar nach der Machtergreifung Khomeinis der Angriff Saddam Husseins gegen Iran stattgefunden, mit Ermunterung der Amerikaner übrigens. Die Amerikaner wollten das Khomeini-Regime stürzen. Man dachte damals, das wäre eine Kleinigkeit, weil die Armee nicht für Khomeini kämpfen würde. Und es geschah dann das Wunder, dass eben nicht nur die Armee gekämpft hat, sondern dass die Freiwilligen-Scharen, die Revolutionswächter, die inzwischen eine Art Waffen-SS des Regimes geworden sind, und vor allem auch die ganz jungen Leute wie Löwen in den Kampf gegangen sind, der die weit überlegene irakische Armee auf ihre Grenzen zurückgeworfen hat.

    Durak: Das ist eine Veränderung dieses Staates, der jetzt seit 30 Jahren so existiert. Wie hat er sich verändert?

    Scholl-Latour: Er ist natürlich nüchterner geworden. Die Mullahs sind in Teheran zum Beispiel nicht beliebt. Auf dem Lande mag das anders sein, weil da die Mullahs ja auch eine soziale Funktion haben. Man darf nicht vergessen, dass die islamische Revolution Khomeinis auch eine soziale Revolution war, dass er für die Enterbten und Entrechteten eingetreten ist. Aber ein Mann heute wie Ahmadinedschad: der Präsident Ahmadinedschad ist nicht ein Irrer, wie er bezeichnet wird; ist ein schlichter Geist, ist ein Polemiker. Er kommt aus dem Volk und ich glaube, er ist näher an dem Volk als zum Beispiel diese alte Garde der Politiker, die sich im Schatten Khomeinis schon bewegten, wie Rafsanjani zum Beispiel.

    Durak: Hat er aber all die sozialen Versprechungen einlösen können?

    Scholl-Latour: Die kann er gar nicht alle einlösen, denn der Iran steht natürlich seit Ausbruch der Revolution unter den Sanktionen des Westens. Aber es ist auch nicht so, wie es immer geschildert wird, dass das Land im Elend erstickt. Es hungert niemand im Iran, was schon ein Fortschritt ist, und das Regime des Schah war nicht so schlimm, wie es manchmal geschildert worden ist. Aber ich glaube nicht, dass die Masse der Iraner noch einmal einen Schah sich zurückwünschen würde.

    Durak: Sie haben selbst den Begriff Revolution jetzt wieder benutzt, Herr Scholl-Latour. Was war revolutionär an dieser Revolution?

    Scholl-Latour: Das hat alles umgeworfen. Auch der Schah hatte ja eine weiße Revolution von oben versucht und er hat gerade im Hinblick auf die Frauenemanzipation sehr viel vollbracht, hat auch übrigens Landverteilung vorgenommen. Also wie gesagt, der Schah war nicht so schlimm, wie er oft geschildert wurde. Aber jetzt ist eben das Volk nach oben gekommen. Es war früher doch eine Oligarchie und jetzt haben doch die kleine Leute das Gefühl, an der Macht teilzuhaben. Und in einem darf man sich nicht täuschen: Es gibt ein ungeheuer starkes Nationalgefühl. Neben der tiefen schiitischen Gläubigkeit, die bei allen am Ende dann doch vorhanden ist, gibt es einen Patriotismus. Die Offiziere des Schah, die ins Gefängnis geworfen waren, meldeten sich freiwillig, als der Krieg gegen den Irak ausbrach. So würde es auch jetzt sein. Zum Beispiel in der Frage der Entwicklung von Kernenergie hat Ahmadinedschad und, was viel wichtiger ist, die führende Person im Iran ist ja nicht Ahmadinedschad, sondern der Groß-Ayatollah Khamenei, der die Stelle Khomeinis eingenommen hat, obwohl er sie nicht füllen kann. Aber es besteht dann in Bezug auf die Erwerbung nuklearer Fähigkeiten auf zivilem Sektor eine nationale Einstimmigkeit. Was die Atombombe betrifft, da ist vielleicht die Einstimmigkeit nicht so groß, aber man sollte sich nicht täuschen. Eine Atombombe in der Hand des Iran wäre eine Abschreckungswaffe und keine Angriffswaffe, wie gelegentlich propagandistisch behauptet wird.

    Durak: Peter Scholl-Latour, Publizist, Journalist, Autor. Herr Scholl-Latour, danke für das Gespräch.