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Irdischer Rechtsstreit um Ufo-Gutachten

Ein Berliner will Einblick in die Erkenntnisse des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags über Ufos und klagt die Einsicht ein. Die Frage, ob dieses oder andere Gutachten für die Öffentlichkeit bestimmt sind, ist komplex.

Von André Bochow | 16.02.2012
    Der Berliner Frank Reitemeyer legt sich öfter mit staatlichen Stellen an. Der gelernte Verwaltungsfachangestellte machte dabei die Erfahrung, dass ihn Behörden und Ministerien gar nicht, unzureichend oder – das jedenfalls behauptet er – falsch informieren. Trotzdem versucht er es immer wieder. Und nichts konnte ihn aufhalten, als er erfuhr, dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages ein Papier ausgearbeitet hatte, das den langen Titel trägt: "Die Suche nach außerirdischem Leben und die Umsetzung der UN-Resolution zur Beobachtung unidentifizierter Flugobjekte und extraterrestrischer Lebensformen". Das wollte der 48-Jährige lesen. Doch das wurde ihm verweigert. Also zog er jüngst vor das Berliner Verwaltungsgericht und obsiegte. Für all diejenigen, die sich absolut sicher sind, dass es außerirdische Besucher gab und gibt, wurde Reitemeyer zum Held. Auf diversen Internetplattformen ist er unter anderem mit dieser Äußerung zu hören:

    "Ich will Fakten wissen. Und mich stört, dass in 20 Ländern, in Frankreich, England, den USA, Kanada die Bürger die UFO-Akten einsehen können und ich als Deutscher von meiner deutschen Regierung nicht informiert werde."*

    Die Thesen zu erörtern, warum der deutsche Staat weder die Existenz von extraterrestrischem Leben einräumen will, noch seine Erkenntnisse mit der Bevölkerung teilen möchte, würde an dieser Stelle zu weit führen. Sicher ist: Der um die Ufo-Unterlagen geführte Rechtsstreit ist eine ausgesprochen irdische Angelegenheit. Frank Reitemeyers Anwalt Olaf Grunert erklärt den juristischen Kern:

    "Tatsächlich geht es darum, ob der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages dem Informationsfreiheitsgesetz unterfällt und gleichzeitig, falls dies so sein sollte, ob dieser Wissenschaftliche Dienst beziehungsweise der Bundestag selbst auf Urheberrechte berufen kann."*

    Da die Frage nach den Urheberrechten schon im Zusammenhang mit der Guttenbergschen Rechtsauffassung öffentlich besprochen wurde, wäre nun vor allem zu klären: Für wen sind die Erkenntnisse des Wissenschaftlichen Dienstes eigentlich zugänglich? Die linke Abgeordnete Dagmar Enkelmann ist sich sicher: für sie und ihre Kollegen im Bundestag.

    "Der Wissenschaftliche Dienst ist ja so eine Art Dienstleistung für Abgeordnete, also sich Hintergrundwissen zu verschaffen – möglicherweise auch Wertungen zu verschaffen. Das wird dann immer eine schwierige Kiste, weil der Wissenschaftliche Dienst dazu eigentlich nicht beauftragt ist."

    Nur sind Wertungen schwer zu vermeiden. Grundsätzlich gilt aber: Es gibt keine Meinung des Wissenschaftlichen Dienstes, der sich übrigens offiziell Unterabteilung Wissenschaftliche Dienste nennt. Aber kommt es immer mal wieder vor, dass Abgeordnete ein Gutachten in Auftrag geben und auch dann in der Öffentlichkeit behaupten, der Dienst habe die Behauptungen des Auftraggebers untermauert, wenn das keineswegs der Fall ist. Erst kürzlich ereilte ein Papier über Strahlungsbehälter in Gorleben dieses Schicksal. In einem Akt der Notwehr wurde das Gutachten vom Wissenschaftlichen Dienst ins Internet gestellt, um die Instrumentalisierung dieses Gorleben-Gutachtens zu beenden. Aber diese Form der öffentlichen Wissensvermittlung ist die Ausnahme. Der Regelfall ist: Ein Abgeordneter fragt, bekommt sein Gutachten und niemand erfährt davon. Und wenn doch: Vier Wochen darf der auftraggebende Parlamentarier das erworbene Wissen exklusiv nutzen.

    Guido Heinen: "Nach Ablauf dieser vier Wochen ist diese Arbeit auch anderen Abgeordneten zugänglich."

    Und dabei soll es nach Ansicht von Guido Heinen, dem Leiter des Wissenschaftlichen Dienstes, auch bleiben. Ein Bundestagsabgeordneter bekommt, wenn er danach fragt, eine Kopie. Veröffentlichen dürfen die Parlamentarier die Gutachten nicht. Was nicht heißt, dass sich alle an die Vorschrift halten. Was aber würde geschehen, wenn die Öffentlichkeit von allen Gutachten, von deren Auftraggebern und der jeweiligen Parteizugehörigkeit wüsste? Dagmar Enkelmann, die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion befürchtet: Das würde den Wissenschaftlichen Dienst ins Nichts beamen. Zumindest wäre es das Ende von Gutachten, deren Ergebnisse sehr häufig auf Missfallen stoßen. Sogar bei denen, die sie bestellt haben:

    "Und meine große Sorge ist – und die teilen ganz viele auch – dass genau so etwas dann nicht mehr kommt. Dass sie dann Angst haben, solche Sachen aufzuschreiben."

    Diese Befürchtung teilt Guido Heinen, Chef jener 60 Bundestagswissenschaftler, die im Jahr immerhin etwa 2000 Gutachten vorlegen:

    "Also, der entscheidende Punkt für die Wissenschaftlichen Dienste ist, eine unabhängige, politische Information zu ermöglichen für den Abgeordneten. Der Abgeordnete, dessen Aufgabe die Kontrolle der Regierung ist. Das ist sein Kerngeschäft. Dafür ist er gewählt. Die Informationen des Abgeordneten jenseits von Interessen der Regierung, jenseits von Lobbystrukturen, jenseits von Medienhypes zu ermöglichen."

    Sollte sich aber nun der Bundestag im Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit seiner Rechtsauffassung durchsetzen - wie kommt die Bevölkerung dann zu ihren Informationen über Ufos? Frank Reitemeyer, der auf Herausgabe der Erkenntnisse von Heinens Kollegen klagt, weiß: Auch wenn man sich an das Verteidigungsministerium oder an das Kanzleramt direkt wendet - wenn es um Außerirdische geht, halten alle dicht. Sein Kampf um staatliche Ufo-Informationen geht also weiter.

    *Zitiert nach Exopolitik Deutschland (www.exopolitik.org)