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"Irland hat sich zu sehr geziert"

Der EU-Parlamentarierer Alexander Graf Lambsdorff hält weniger die öffentliche Verschuldung als viel mehr den Bankensektor für das Problem der irischen Volkswirtschaft. Zudem solle das Land nun selbst einen Einsparungsplan vorlegen, meint der FDP-Politiker.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Jasper Barenberg | 22.11.2010
    Jasper Barenberg: Am Telefon begrüße ich Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Mitglied im Europaparlament. Einen schönen guten Morgen, Graf Lambsdorff.

    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Wie groß ist denn Ihr Ärger? Oder anders gefragt: Stimmen Sie den Plänen zu für einen Notfallkredit mit der geballten Faust in der Tasche?

    Graf Lambsdorff: Nun, die irische Lage war so vertrackt, dass man sich schon wundern musste, wie lange es gedauert hat, bis Irland endlich um Hilfe gebeten hat. Der Fall, der Irland jetzt ereilt hat, nämlich die Unfähigkeit, sich in den Finanzmärkten zu refinanzieren, ist ja genau der Grund, für den der Stabilisierungsfonds aufgelegt worden ist. Insofern nein, hier stimme ich nicht mit der geballten Faust in der Tasche zu; hier bin ich eher überrascht darüber, wie lange es gedauert hat, bis die Iren ja ein jetzt existierendes Instrument angenommen haben.

    Barenberg: Ein Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank ist mit Kritik zu vernehmen, die Euro-Länder hätten Irland in den letzten Monaten nicht genug auf die Finger geschaut, Dublin habe Zahlen nicht herausgegeben. Wer hat da denn weggeschaut?

    Graf Lambsdorff: Nun, ich glaube, ganz Europa hat nicht nur einige Wochen, sondern über viele, viele Jahre weggeschaut. Das Problem der irischen Volkswirtschaft ist ja nicht so sehr die öffentliche Verschuldung, sondern ist der Bankensektor. Es gab im Kontinentaleuropa Bankenaufsichtssysteme, die schon löchrig waren, aber in Irland ging es wirklich drunter und drüber, dort konnten Banken Geschäfte tätigen, die selbst im lax regulierten Rest Europas noch in Nordamerika so nicht möglich gewesen wären. Das hat zur Krise geführt und ich glaube, dass die Beschlüsse, die wir im Europäischen Parlament, aber auch natürlich in Kommission und Rat in den letzten Wochen hierzu getroffen haben, nämlich eine wirklich europäische Bankenaufsicht einzurichten, dass die eine Remidur darstellen und dass man so etwas in der Zukunft hoffentlich nicht mehr zu befürchten hat.

    Barenberg: War das jetzt eine Entscheidung in allerletzter Minute? Anders gesagt: Hat Irland sich zu sehr geziert?

    Graf Lambsdorff: Ja, eindeutig. Irland hat sich zu sehr geziert. Es war absehbar, dass der Bankensektor das Land vor große Probleme stellen würde. Die Maßnahmen, die schon ergriffen worden sind, sind allerdings beeindruckend. Der ganze öffentliche Dienst hat Gehaltseinbußen von ungefähr 25 Prozent hinnehmen müssen. Das muss man sich mal vorstellen, das geht schon wirklich ins Eingemachte. Dennoch: die Iren hätten früher kommen sollen und um Hilfe bitten sollen. Nur darf man eines nicht vergessen: Sie erinnern sich noch an die Abstimmungen zum Vertrag von Lissabon, da gab es ja zwei Referenden in Irland und eines der großen Themen in der irischen Debatte war die Steuersouveränität, überhaupt die finanzpolitische Souveränität Irlands, und die ist einfach durch die aktuelle Situation überholt. Jetzt haben der IWF, jetzt haben die Europäische Kommission und die anderen Länder in der Euro-Zone mitzureden, wenn es um die irische Haushaltspolitik geht.

    Barenberg: Und wie stark sollte das geschehen? Was alles muss bestimmt werden jetzt? Was kann Dublin nicht mehr alleine entscheiden?

    Graf Lambsdorff: Man muss unterscheiden, zum einen zwischen der großen Linie. Die ist klar: In vier Jahren müssen jetzt 15 Milliarden Euro eingespart werden im irischen Haushalt einerseits. Andererseits, glaube ich, sollten wir uns mit Detailvorschlägen zurückhalten. Wir sollten jetzt die Iren einen Plan vorlegen lassen, über diesen Plan wird dann verhandelt mit der Europäischen Zentralbank, mit der Kommission und auch mit dem Internationalen Währungsfonds. Da werden dann schon ziemlich harte Bedingungen drinstehen. Nur jetzt Einzelmaßnahmen herauszugreifen und aus Berlin oder Paris irgendwelche konkreten Vorschläge zu machen, das wäre sicher kontraproduktiv.

    Barenberg: Sie sprechen dabei natürlich von der Unternehmenssteuer, um die es jetzt in der Diskussion vor allem geht. Mit 12,5 Prozent liegt sie weitaus geringer als beispielsweise in Deutschland. Also wird der Druck erhöht, dass Irland seine Unternehmenssteuern anhebt, um selber schneller aus der Misere zu kommen. Auf Ihre Zustimmung trifft das offenbar nicht?

    Graf Lambsdorff: Nein! Ich glaube, die Unternehmenssteuer ist ja einer der Gründe, warum Irland es in den vergangenen Jahren geschafft hat, sich auch realwirtschaftlich zu verbessern. Nicht nur in der Finanzwirtschaft, wo es drunter und drüber ging - da gab es ja die Probleme -, sondern auch realwirtschaftlich hat sich in Irland ja in den letzten Jahrzehnten sehr viel getan. Es war einmal das Armenhaus Europas und ist dann zum sogenannten keltischen Tiger geworden. Das hat auch was mit dem attraktiven Unternehmensumfeld zu tun, da ist diese niedrige Unternehmenssteuer sicher ein Faktor. Ob die Iren den ändern wollen, das wird man sehen. Zurzeit hört man aus Dublin, dass das nicht der Fall ist. Das ist aber auch nicht wirklich entscheidend. Entscheidend ist, dass der Euro stabilisiert wird, entscheidend ist, dass Irland seinen Beitrag dazu leistet. Wenn es den Iren gelingt, das ohne eine Anhebung dieser Steuer zu machen, dann sollte man auch keinen Druck ausüben, sie anzuheben.

    Barenberg: Mit diesem Steuer-Dumping, so die Kritik, hat Irland Unternehmen in das Land gelockt, und bei dieser Disparität, bei dieser Kluft soll es auch nach Ihrer Meinung bleiben?

    Graf Lambsdorff: Na ja, der Standort Irland hat einige andere Vorteile: Fünf Flugstunden von New York entfernt, mit Englisch als Sprache, Mitglied des europäischen Binnenmarktes. Das sind alles starke attraktive Faktoren. Abgesehen davon auch ein Land, in dem es sich ganz gut leben lässt. Also insofern: Es liegt ja nicht nur an der Unternehmenssteuer, dass sich dort viele Unternehmen angesiedelt haben, sondern es gibt eine ganze Reihe anderer Faktoren. Wenn es bei 12,5 Prozent Unternehmenssteuer bleibt und die Iren trotzdem den Euro stabilisieren können, dann sehe ich nicht, warum wir den Steuerwettbewerb in der Europäischen Union einstellen sollten.

    Barenberg: Sind wir mit dem Fall Irland jetzt endgültig in dem angekommen, was man kritischerweise Transferunion nennt?

    Graf Lambsdorff: Nein! Hier handelt es sich ja nicht um eine Transferunion. Die Transferunion spielt sich ja ganz woanders ab. Das ist im Übrigen in meinen Augen auch ein völlig falsch gegriffener Begriff. Wir haben in der Kohäsionspolitik, in der Strukturpolitik bei den Agrarsubventionen in Europa längst den Tatbestand von Transfers. Was hier jetzt gemacht wird, ist, dass Irland sich aus dem Stabilisierungsfonds zu günstigeren Zinsen Kredite geben lässt, Kredite, nicht etwa Transfers, die nicht zurückgezahlt werden müssten. Insofern nein, hier handelt es sich nicht um die Transferunion; hier handelt es sich um einen Schutzschirm, wo mit niedrigen realistischen Zinsen ein Staat eine Zeit lang Ruhe haben kann vor dem Druck an den Märkten, um anschließend wieder an die Märkte zu gehen und seine Staatsfinanzen ganz normal dort zu refinanzieren.

    Barenberg: Der Europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff von der FDP im Gespräch heute Morgen im Deutschlandfunk. Vielen Dank dafür!

    Graf Lambsdorff: Danke Ihnen! Tschüß!