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Irland und der Brexit
Dublin als Liebling der Finanzbranche

Irland bleibt im Gegensatz zu Großbritannien Mitglied der EU. Die Republik fürchtet als Folge allerdings stärkere Zölle oder wieder befestigte Grenzen zu Nordirland. Einziger Lichtblick: Internationale Finanzhäuser verlagern Teile ihrer Geschäfte nach Dublin, um innerhalb der EU zu bleiben.

Von Martin Alioth | 29.09.2017
    Blick über den Fluss Liffey auf den modernen Gebäudekomplex des Ulster Bank House.
    Blick über den Fluss Liffey auf den modernen Gebäudekomplex des Ulster Bank House. (picture alliance / zb / Frank Baumgart)
    Die Bürogebäude, die sich entlang dem Ufer des Flusses Liffey erheben, sehen aus wie ein Katalog für zeitgenössische Architektur. Eines der neuesten beherbergt die irische Zentralbank. Sie übernahm das Betonskelett, das vor der Finanzkrise zum Hauptquartier von Anglo Irish Bank hätte werden sollen. Allein, diese Bank ist Geschichte; sie hatte mit ihren skrupellosen Darlehen an Bauspekulanten die irische Krise mit verursacht. Eine pikante Ironie der Geschichte. Nun allerdings sind die Baukräne wieder am Horizont, der Standort Dublin ist plötzlich wieder in aller Munde, denn der Brexit zwingt Banken, Finanzfirmen und Versicherungen, Teile ihrer Geschäfte aus London zu verlagern, um weiterhin Zugang zur EU zu behalten.
    "Grundsätzlich hängt der Marktzugang zur EU damit zusammen, wo der Hauptsitz eines Unternehmens in der EU liegt, wo die meiste Substanz ist und wo die wesentlichen Entscheidungen getroffen werden für die Finanzinstitute."
    Dublin gilt als einer der vier Favoriten in der Finanzbranche
    Patrick Schmucki ist Direktor bei der irischen Filiale der Beratungsfirma KPMG. Der Schweizer Rechnungsprüfer hat derzeit viel zu tun: Er berät Finanzhäuser, die ihr Hauptquartier derzeit in London haben, über die Regeln und Vorschriften in Dublin. Seine Spezialität: Anlagefonds, für die Dublin der zweitgrößte Standort in Europa darstellt, und Asset Management. Dublin eigne sich für die Stabsfunktionen dieser Firmen:
    "Also, hier hat man vor allem die weniger wertschöpfenden Dienstleistungen, eben wie das Controlling, die Buchhaltung, Risikokontrolle, Compliance, die sind meistens die Funktionen, die wir hier sehen."
    Der eigentliche Handel mit Wertpapieren bleibe in der Regel in London. Schmucki zählt Dublin zu den vier Favoriten der Finanzbranche, neben Frankfurt, Paris und Luxemburg. Diese Entscheidungen sind zum Teil schon getroffen worden, zum Teil stehen sie unmittelbar bevor, denn:
    "Die meisten Unternehmungen wollen jetzt schon Klarheit haben, wie ihre zukünftige Struktur nach dem Brexit aussieht."
    Die Stärken der irischen Hauptstadt liegen nach Ansicht des Beraters im ähnlichen Rechtssystem, in der Nähe, den guten Flugverbindungen zu London. Die tiefen irischen Steuersätze seien seiner Erfahrung nach willkommen aber sekundär. Nachteilig seien die Kleinheit der Stadt und der knappe Wohnraum.
    "Der Brexit kann nicht hart genug sein"
    "Es gibt große Zweifel, ob eine große Anzahl neuer Mitarbeiter, ob das hier absorbiert werden könnte; im Gegensatz zu Frankfurt oder Paris, zum Beispiel."
    Neben der britischen Bank Barclays haben sich namentlich amerikanische Banken bereits für einen Ausbau in Dublin entschieden: Bank of America, Citi und JP Morgen. Warum gerade die Amerikaner?
    "Ja, es hat mit Sprache zu tun, es hat auch mit dem mehr oder weniger ähnlichen Rechtsraum zu tun, es hat damit zu tun, dass wirtschaftlich gesehen schon lange eine starke Zusammenarbeit mit den USA besteht, und schlussendlich darf man eben auch nicht vergessen, dass aufgrund der Migrationsgeschichte gibt es hier sehr starke Beziehungen zwischen Irland und den USA."
    Und so kommt Patrick Schmucki kaum überraschend zum Schluss:
    "Nur für den Finanzplatz, isoliert betrachtet, kann der Brexit eigentlich gar nicht hart genug sein, denn je härter er ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass noch mehr Firmen nach Dublin kommen oder ihre Präsenz noch stärker vergrößern müssen."
    Die Skepsis wird von der irischen Regierung geteilt
    Doch der Preis für ein derartiges Szenario sei hoch. Schmucki spricht von Landerechten für Zivilflugzeuge, vom Stromverbund zwischen den Briten und den Iren, vom Hafen in Belfast als Drehscheibe für irische Exporte.
    "Wenn man das alles betrachtet, ist es schwierig zum Schluss zu kommen, dass der Finanzplatz oder der Wirtschaftsraum ein Gewinner wäre."
    Diese Skepsis, so glaubt der Berater, werde auch von der irischen Regierung geteilt:
    "Man kann sicher sagen, dass die irische Regierung die Situation äußerst ernst nimmt und auch ein sehr realistisches Bild der Möglichkeiten hat."
    Der kleine Lichtblick im Finanzbereich kann also die trüben Erwartungen Irlands nach dem Brexit nur sehr beschränkt aufhellen.