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Irland wagt sich wieder an die Finanzmärkte

Eine halbe Milliarde Dreimonatsgelder will Irland verkaufen. Das wäre nicht unbedingt nötig, da Irland noch bis zum Ende 2013 von der EU und dem IWF finanziert wird. Die Erfolgschancen dieses Projekts werden aber durch die aktuellen Beschlüsse des EU-Gipfels verbessert. t.

Von Martin Alioth | 05.07.2012
    Irlands Premierminister, Enda Kenny, stellte unmittelbar nach dem EU-Gipfel von letzter Woche geologische Vergleiche an.

    Ein Ruck von seismischen Dimensionen sei erfolgt: Das bisher Unerreichbare sei nun eine Tatsache geworden. Endlich hätte Kenny mit Fug und Recht beifügen dürfen. Sein Außenminister Eamon Gilmore meldete sich aus Brüssel telefonisch zu Wort.

    Irland habe einen massiven Durchbruch erzielt; die Spielregeln für den Umgang mit Bankschulden seien neu geschrieben worden. - In der Tat hatten die Europäische Union und die Europäische Zentralbank Ende 2010, als Irland die Hilfe internationaler Geldgeber akzeptieren musste, eisern darauf bestanden, die riesigen Löcher in den Bilanzen irischer Banken ausschließlich auf Kosten des irischen Steuerzahlers zu stopfen. Das neue Kapital kam großteils aus den angesparten Mitteln des irischen Staates, der Rest aus den internationalen Hilfskrediten, die Irland ja wieder zurückbezahlen muss. Diese Sozialisierung privater Spekulationsverluste kostete Irland bisher 63 Milliarden Euro - oder 41 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Der Mittelbedarf wäre bedeutend kleiner gewesen, wenn man die internationalen Gläubiger der bereits abgewickelten irischen Banken - zum Beispiel deutsche Landesbanken - hätte zur Kasse bitten dürfen. Doch das verweigerten Frankfurt und Berlin mit dogmatischer Sturheit. So trug der irische Steuerzahler zum Überleben deutscher, französischer und britischer Banken bei. Erst als die EU vor drei Wochen zur Rettung der spanischen Banken noch einmal exakt denselben Fehler machte - also den spanischen Staat belastete, um die spanischen Banken zu stärken - witterte die irische Regierung eine Chance.

    Jetzt habe der Ministerrat vereinbart, die fatale Verknüpfung von Staatsschulden und Bankschulden aufzuheben, bestätigte Premierminister Kenny. Die Rettungsfonds dürfen nun den Banken direkt helfen, die Kreditwürdigkeit des Staates wird dadurch nicht beeinträchtigt. - Das konkrete Vorgehen muss nun bis zum Ende des Jahres unter den Finanzministern der Eurozone ausgeknobelt werden. Es geht um eine Entlastung der irischen Gesamtschuld in der Größenordnung von einem knappen Viertel. Finanzminister Michael Noonan präzisierte seine Wünsche.

    Rückwirkend soll der Bankenanteil der Staatsschuld in einen Rettungsfonds ausgelagert werden. Das entlaste Irland und begünstige die Rückkehr in die Kapitalmärkte. Das ist das Ziel, wenn das Hilfsprogramm Ende nächsten Jahres ausläuft. Die Renditen auf irischen Staatsanleihen sind denn auch seit dem Gipfel auf ihren tiefsten Stand seit Beginn des Hilfsprogramms gesunken. Für die irische Regierung, die alle Sparvorgaben bisher peinlich genau erfüllt hat und sogar eine Volksabstimmung über den unpopulären Fiskalpakt gewinnen konnte, bringt das Umdenken in Deutschland eine späte Rechtfertigung: Die Opposition hatte ihr vielfach duckmäuserisches Verhalten vorgeworfen, doch sie wartete geduldig, bis sich für das ohnmächtige kleine Irland eine Chance bot. Finanzminister Noonan ist glücklich.

    Irische Banken können nun direkt unterstützt werden. - An der irischen Haushaltsarithmetik ändert der Durchbruch allerdings nichts Entscheidendes: Irland muss sein laufendes Defizit weiterhin durch Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen beseitigen. Doch die Erfolgschancen dieser Rosskur haben sich dramatisch erhöht: Irland ist nicht aus dem Schuldenturm entlassen worden, aber jemand hat den Zellenschlüssel gefunden.