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IS-Terror
Aus Wolfsburg in den Dschihad

In Wolfsburg wurde Mitte Januar Ayoub B. verhaftet. Der Deutsche mit tunesischen Wurzeln soll im Juni 2014 ein Ausbildungslager der IS-Terrormiliz durchlaufen haben. Insgesamt sollen 15 junge Männer aus Wolfsburg sich dem IS angeschlossen haben. In ihrer Heimatstadt fragt man sich nun, wie es soweit kommen konnte.

Von Alexander Budde | 02.02.2015
    Ein gelbes Ortsschild von Wolfsburg.
    Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen den Wolfsburger Ayoub B. wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (picture-alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Das Islamische Kulturzentrum in Wolfsburg ist ein einladendes Bauwerk: Viel Glas, viel Licht: Die Tür zur Moschee steht offen. Mohamed Ibrahim, der Geschäftsführer, steht für einen weltoffenen Islam. In seiner Heimatstadt Wolfsburg fühle er sich vortrefflich integriert, versichert der Deutsch-Ägypter mit einem müden Lächeln im Gesicht.
    In Wolfsburg brummt das Stammwerk von Volkswagen, die Autostadt besteht im Grunde aus Zugewanderten. Wie konnten gleich 15 junge Wolfsburger auf die Idee kommen, für eine blutrünstig mordende Terrormiliz in den "Heiligen Krieg" zu ziehen? Die Frage plage auch ihn, sagt Ibrahim. Allerdings sei die Rekrutierung junger Menschen durch Salafisten ein Problem für die ganze Gesellschaft.
    "Wir haben die gleiche Problematik, die andere Einrichtungen auch haben, nämlich die jungen Menschen zu erreichen, und sie für unsere Arbeit zu begeistern. Da macht man sich schon Vorwürfe! Aber es ist einfach schwierig!
    Es gibt sehr viele interessante Dinge, vor allem durch diese fast unbegrenzten Kommunikationsmöglichkeiten. Und da verbringen halt die Leute ihre Zeit und tauschen sich aus, mit anderen Menschen in der ganzen Welt - und da ist dann halt die damit verbundene Gefahr, auf Abwege zu kommen."
    "Es gibt Aufnahmen, die zeigen wie Polizisten Ayoub B. aus dem Haus führen, man hört ihn den Schlachtruf der Islamisten brüllen. Ein Boulevardblatt hatte den 26-Jährigen kurz vor seiner Festnahme als Kopf einer islamistischen "Terrorzelle" beschrieben. In einem offenen Brief weist die Familie den Vorwurf zurück.
    "Ich hätte auch nicht erwartet, dass die einmal so eine Motivation kriegen, da hinzufahren
    Tatsächlich habe sich der Sohn von Hasspredigern manipulieren lassen, doch Ayoub B. sie geläutert aus dem syrisch-irakischen Kriegsgebiet zurückgekehrt. Er bereue seine Entscheidung zutiefst, habe gleich nach seiner Rückkehr den Kontakt zu den Behörden gesucht.
    "Und die Welle, die Leute zu verhaften: Das ist nicht nur in Deutschland, in Tunesien auch! Die müssen wahrscheinlich die Anweisung gekriegt haben, aus Washington oder irgendwoher: 'Jetzt müsst ihr die Leute verhaften",
    vermutet Hicheri Hattab, rundes Gesicht, kräftige Statur. Hattab sagt, er kenne Ayoub B. und dessen Familie gut. Auch er stammt ursprünglich aus Tunesien, Volkswagen hat ihn vor einer kleinen Ewigkeit angeworben, seit 42 Jahren lebt der Vater zweier erwachsener Kinder in Wolfsburg.
    "Ich kenne fast alle Leute, die da hingegangen sind, kenne ich alle. Und ich hätte auch nicht erwartet, dass die einmal so eine Motivation kriegen, da hinzufahren. Das habe ich nicht geglaubt! Und insbesondere Ayoub! Und habe ihn auch gefragt, ob das stimmt, was ich gehört habe. Da hat er gesagt: 'Nach Syrien hinzufahren, ist nicht immer das Kämpfen. Da gibt es auch humanitäre Gründe.'"
    Zwischen Abscheu und Verständnis
    Auch Mohamed Jifi betont, wie sehr er die Mordtaten der IS-Terrormiliz verabscheue. Doch wenn der Frauenarzt aus Syrien über die verlorenen Söhne von Wolfsburg spricht, klingt auch ein Stück weit Verständnis an.
    "Ich weiß es nicht, ob wirklich so eine Gefährdung für Wolfsburg ist. Die waren aggressiv, dass das bis jetzt nach vier Jahre nicht geschafft, dass diese Diktatur in Syrien und dieses Regime in Syrien zu stürzen. Und die Frage auch: 'Was hätte die Familie anders machen können?' Ich glaube, die Familie merkt erst, wenn das Kind nicht mehr zu retten ist!"
    Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen Ayoub B. wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Er soll in Syrien eine Kampfausbildung des IS durchlaufen, Tote und Verletzte vom Schlachtfeld geborgen, weitere Kämpfer für die Terrormiliz geworben haben.
    Eine konkrete Gefahr gehe von dem 26-Jährigen aber nicht aus, sagt Maren Brandenburger, die Präsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Von einer Terrorzelle in Wolfsburg könne keine Rede sein.
    "Polizei und Verfassungsschutz wissen seit Langem, dass es in Wolfsburg einen Schwerpunkt salafistischer Aktivitäten gibt. Die Personen, die sich dort im Rahmen des Salafismus betätigen, sind ideologisch sicherlich gefestigt. Sie sind auch bereit, für ihre Ideologie in die Kampfgebiete nach Syrien auszureisen. Es gibt aber auch Rückkehrer, die völlig frustriert sind, die zum Teil traumatisiert zurückkehren. Nicht jeder Rückkehrer ist eine potenzielle Anschlagsgefahr!"
    Freunde als Radikalisierungsfaktor
    Ayoub B. hatte einen Ausbildungsvertrag bei einer Volkswagen-Tochter. Auch der Vater arbeitet bei Volkswagen. Im Umfeld der Familie sagen viele, dass der junge Mann dem Klischee des ungebildeten, beruflich erfolglosen Verlierers so recht gar nicht entsprechen wolle.
    Der wichtigste Radikalisierungsfaktor seien Freunde, sagt Iris Bothe, in Wolfsburg Stadträtin für Jugend, Bildung und Integration. Einfache Erklärungsmuster gebe es nicht. Bothe spricht von einer extremistischen Szene, die insbesondere Jugendliche anspricht
    "Die sich in einer Lebensphase befinden, wo sie auch nach Orientierung suchen. Und dann gibt es etwas, was an dieser Stelle Bedeutung verschafft und was ihnen auch Macht an der Stelle scheinbar verschafft."
    Ein Aussteigerprogramm für traumatisierte Rückkehrer, fordert Bothe. Im Bereich des Rechtsextremismus habe die Stadt mit solchen Angeboten gute Erfahrungen gemacht.