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ISAF-Kommandeur erwartet in Afghanistan "durchaus noch harte Kämpfe"

Heute stellt Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel die wirtschaftliche Situation in Afghanistan dem Bundestag vor - eine Debatte um die anstehende Mandatsverlängerung und den Abzug wird folgen. Generalmajor Fritz prophezeit dem Einsatz noch schwierige Monate.

21.01.2011
    Jasper Barenberg: Um ein weiteres Jahr verlängern will die Bundesregierung das Mandat der Bundeswehr in Afghanistan. Zugleich stellt sie in ihrem Beschluss zum ersten Mal in Aussicht, noch in diesem Jahr mit dem Abzug von Soldaten zu beginnen, sofern es die Sicherheitslage dort zulässt – ein wichtiger Punkt. Diese Sicherheitslage einzuschätzen, das ist eine der wichtigsten Aufgaben von Generalmajor Hans-Werner Fritz, dem verantwortlichen Regionalkommandeur der ISAF-Truppen im Norden des Landes. Rund 11.000 Soldaten aus 16 Nationen stehen unter seinem Kommando, er ist jetzt am Telefon. Einen Guten Tag nach Mazar-i Scharif.

    Hans-Werner Fritz: Einen guten Morgen nach Deutschland, in die Heimat, Herr Barenberg, an Sie und alle Zuhörer.

    Barenberg: Herr General, in den vergangenen Jahren sind die Kämpfe um die Wintermonate ja meist abgeflaut. Dieses Jahr ist es anders. Mit einer ganzen Reihe von Operationen geht die ISAF gegen die Taliban vor. Wie heftig sind die Kämpfe?

    Fritz: Uns ist es vor allen Dingen wichtig, dass wir die Erfolge, die wir bereits bis zum Ende des letzten Jahres erzielt haben, weiter fortsetzen. Militärisch ausgedrückt: Wir wollen also das Momentum halten, um auf jeden Fall zu verhindern, dass die Taliban, die Aufständischen in Bereiche wieder zurückkommen, die wir jetzt letztlich freigeräumt haben und wo ich glaube, dass das normale Leben, das zivile Leben einen sehr, sehr guten Start genommen hat.

    Barenberg: Und das gelingt?

    Fritz: Ich denke schon, dass das gelingt. Wir arbeiten hier alle sehr eng zusammen. Das betrifft nicht nur die ISAF-Koalition, das betrifft ganz wesentlich auch die Zusammenarbeit mit unseren afghanischen Partnern, also die afghanische Armee, die afghanische Polizei, und, was ganz wichtig ist, natürlich auch die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung vor Ort. Sie müssen sich das so vorstellen, dass wir, bevor wir eine Operation überhaupt anfangen, mit den Menschen sprechen, ihnen sagen, was wir dort tun, uns mit ihnen abstimmen, und wenn wir sozusagen drin sind, unmittelbar nach Ende der Gefechtshandlungen, auch Hilfestellung leisten, Aufbauarbeit leisten mit schnellen Projekten, aber auch mit mittel- und langfristigen Projekten.

    Barenberg: Herr General, Sie haben kürzlich gesagt, harte Wochen und Monate stünden den Soldaten im Einsatzgebiet bevor. Wird es im Verlaufe des Jahres noch gefährlicher werden, auch für die deutschen Soldaten?

    Fritz: Ich denke, nach meiner Einschätzung nähern wir uns einem Kulminationspunkt. Das heißt, ich glaube, dass wir zurzeit sozusagen noch nicht an der Spitze des Berges sind, sondern wir sind noch auf dem diesseitigen Hang. Insofern glaube ich schon, dass die nächsten Wochen und Monate durchaus noch harte Kämpfe bringen können, wie ich insgesamt glaube, dass das Jahr 2011 für uns ein sehr wichtiges, vielleicht sogar ein entscheidendes Jahr wird.

    Barenberg: Und Sie sind optimistisch, was die Erfolgsaussichten der Operationen angeht?

    Fritz: Also nach dem, wo wir jetzt stehen, und nach den Erfolgen, die wir bis dahin erzielt haben, bin ich das schon. Ich würde sagen, ich bin vorsichtig optimistisch. Es ist ganz sicherlich noch ein Stück Weg zu gehen, das kann ein steiniger Weg werden, aber wir sind auf diesem Weg, das ist der richtige Weg und wir werden ihn genauso fortsetzen, wie wir ihn begonnen haben.

    Barenberg: Und diesen Optimismus teilen auch die Soldaten vor Ort, mit denen Sie sprechen, die Leute aus der Truppe?

    Fritz: Ich kann nur sagen, wenn ich unsere Soldaten höre, sie sind aus meiner Sicht zurecht stolz auf das, was sie geleistet haben. Sie sehen Fortschritt, sie sehen, dass sich das Leben normalisiert in den Bereichen, in denen wir drin gewesen sind, wo auch die Taliban raus sind, und das ist eigentlich das Beste, was man hören kann. Wenn ich also Berichte bekomme und mir gemeldet wird, es ist wieder normaler Verkehr auf den Straßen, es werden kleine Verkaufsstände aufgebaut, die Leute bewegen sich frei, wissen Sie, was besseres kann man mir gar nicht sagen, und das ist auch das, wovon ich mir bei meinen Aufenthalten vor Ort in den Kampfgebieten selbst ein Bild machen kann.

    Barenberg: Sie haben die Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften angesprochen. Das gehört ja auch zur neuen Strategie der NATO, zur neuen Strategie der Bundeswehr in Afghanistan. Partnering heißt das Stichwort. Nun ist immer wieder zu lesen, dass diese Zusammenarbeit so wie geplant eigentlich noch kaum stattfinden würde, es gäbe zu wenig Sicherheitskräfte, zu wenig afghanische Kräfte seien ausgebildet für große Operationen. Ist das richtig?

    Fritz: Ich denke, man muss zwei Dinge auseinanderhalten. Zunächst mal ist für mich die Kritik am Partnering, die man gelegentlich gehört hat, nicht nachvollziehbar, zumindest nicht in der Schärfe, wie sie geführt worden ist. Was man sagen muss ist – und das muss man sich klar machen -, es stoßen hier zwei Bereiche aufeinander, völlig unterschiedliche Kulturen, Stichwort ist Sprache, Stichwort ist auch Verhalten in bestimmten Bereichen. Wenn ich aber sehe, welchen Weg wir jetzt haben, wie gut es läuft – und zwar nicht nur auf der Ebene sagen wir mal der Führer, sondern auch bis zu den Soldaten herunter; ich rede jetzt von den Kompanien, von den Zügen -, dann, muss ich schon sagen, sind wir auch in der Hinsicht auf einem sehr, sehr guten Weg. Sie müssen sich vorstellen: die Soldaten, die deutschen, die amerikanischen Soldaten, die ISAF-Soldaten, vertrauen ihr Leben den Afghanen an und – und das sage ich meinen jungen Soldatinnen und Soldaten auch – auch die Afghanen vertrauen uns ihr Leben an. Wir sind im Gefecht, es geht um Leben und Tod, und wenn man das Zusammenwirken sieht, dann muss ich sagen: alle Achtung.
    Was die Zahlen angeht, da muss man natürlich sagen, wir sind hier im Aufwuchs begriffen. Das heißt, wir werden mehr Soldaten noch bekommen in diesem Jahr für die afghanische Armee, aber auch für die afghanische Polizei. Und das ist auch genau das, was wir brauchen.

    Barenberg: General Fritz, uns alle in Deutschland beschäftigt heute und schon seit einigen Tagen der Tod eines deutschen Soldaten im vergangenen Dezember in Ihrem Verantwortungsbereich. Zuerst war von einem Unfall beim Reinigen einer Waffe die Rede, jetzt sieht es so aus, als hätte ein Kamerad fahrlässig mit seiner Waffe hantiert. Wie kann es denn eigentlich sein, dass nach so langer Zeit immer noch keine Klarheit herrscht?

    Fritz: Ich bitte einfach um Verständnis, Sie, Herr Barenberg, aber auch die Zuhörer. Es laufen in diesem Falle zurzeit staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Ich kann und möchte in der Sache nicht kommentieren. Ich möchte aber eines ganz klar sagen: Uns hat der Verlust unseres Kameraden sehr, sehr hart getroffen, wir waren alle sehr, sehr traurig, und ich kann auch nur sagen, unser Mitgefühl geht an seine Familie, an seine Freunde und an alle, die ihn gern gehabt haben.

    Barenberg: Zum Schluss, Herr General, noch eine Frage. Wie zuversichtlich sind Sie, dass ein Teil der deutschen Kampftruppen tatsächlich noch in diesem Jahr abgezogen werden kann?

    Fritz: Ich denke, das wird eine Frage sein der Entwicklung dieses Jahr. Wir werden eine vernünftige militärische Lagebeurteilung machen, wir werden sicherlich eine Empfehlung dann abgeben. Aber am Ende ist die Frage des Abzuges von Soldaten eine streng politische Entscheidung, die im Kontext gesehen werden muss natürlich mit der Sicherheit, aber auch mit den weiteren Operationslinien, wie wir es nennen, nämlich eine gute Regierungsführung und die Entwicklung des Wiederaufbaus des Landes.

    Barenberg: Generalmajor Hans-Werner Fritz, der Kommandeur des Regionalkommandos Nord der ISAF-Truppen in Afghanistan. Herr General, vielen Dank für das Gespräch.

    Fritz: Ich bedanke mich ganz herzlich und noch mal herzliche Grüße in die Heimat.

    Barenberg: Danke schön.