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Isländer möchten lieber noch nicht in die EU

Die isländische Bevölkerung wird wahrscheinlich bei der kommenden Parlamentswahl die regierende rot-grüne Koalition abwählen - und sich so auch gegen Europa und gegen den Euro entscheiden. Die derzeitige Opposition aus Liberalen und Konservativen will das Beitrittsgesuch auf Eis legen.

Von Tim Krohn | 26.04.2013
    Eine prominente Fernsehmoderatorin in Reykjavik hat die alte Frage nach Europa und dem Euro neulich mit einer Gegenfrage beantwortet. "Wer bitteschön", fragte sie zurück, wolle sich denn freiwillig "in ein brennendes Hotel einmieten?"

    Die Isländer wollen es nicht, zumindest nicht jetzt. Die Beitrittsgespräche mit der EU liegen deshalb auf Eis. Dem Europa-Kurs der rot-grünen Regierung droht bei dieser Wahl eine krachende Niederlage.

    "Man sieht hier nicht ganz, was es eigentlich bringen würde, in die EU einzutreten. Die meisten Gegner sagen, dass sie eigentlich nichts gegen die EU haben. Sie wollen nur nicht, dass Island Mitglied wird."

    Stefanía Oskarsdóttir ist Politikwissenschaftlerin an der Universität in Reykjavik. Europa, erklärt sie, habe vor dieser Wahl keine große Rolle gespielt, ganz anders als noch vier Jahren, direkt nach dem Bankencrash, als den Isländern die Staatspleite drohte.

    "Da hatte man noch gesagt: Wir Isländer sind offenbar zu blöde, uns selber zu regieren. Jetzt brauchen wir Hilfe von außen."

    Ein ziemlich kurzer Weg vom schützenden Dach Europa zum angeblich brennenden Hotel. Alle Meinungsumfragen über eine mögliche Euro- Einführung oder eine Vollmitgliedschaft in der EU haben sich in nur vier Jahren völlig gedreht. Die schlimmsten Folgen der Krise scheinen überwunden, der Fischfang und noch mehr der Tourismus aus aller Welt profitieren inzwischen vom schwachen Kurs der isländischen Krone. Gut, dass wir die behalten haben, meint auch der Schriftsteller Hállgrimur Hélgason.

    "Die Krise hat uns doch gut getan, weil die Menschen vorher in Luftschlössern gelebt haben. Nach dem Zusammenbruch kehren wir jetzt zu unseren Wurzeln zurück. Wie werden wieder Isländer."

    Gut 320.000 davon gibt es. Und viele von ihnen haben immer noch hohe Schulden. Auch fünf Jahre nach dem Kollaps der Banken hat sich der Schuldenstand der privaten Haushalte auf Island kaum verringert. Soll man sich da etwa von denen in Brüssel auch noch reinreden lassen – zum Beispiel bei den Fischereiquoten? Die Politologin Oskarsdóttir sieht den isländischen Streit über die EU auch als Generationenfrage.

    "Die älteren Leute hier betrachten die Souveränität an sich als sehr wertvoll. Sie können sich noch erinnern an die Zeit, als Island eben nicht selbstständig war. Diese Menschen sind stolz, unabhängige Isländer zu sein. Für die jüngere Generation ist das anders. Da wollen viele durchaus ein Teil Europas sein. Die finden es attraktiv, bei dieser großen Gemeinschaft dabei zu sein."

    Nach dieser Wahl allerdings werden die Beitrittsgespräche mit Brüssel wohl nicht wieder aufgenommen. Die wahrscheinlichen Wahlsieger, Liberale und Konservative, lassen daran bisher keinerlei Zweifel. Islands Beitrittsgesuch landet unten in der Schublade, bleibt dort aber – da ist sich Oskarsdóttir sicher - jederzeit griffbereit.

    "Ich glaube, wir müssen diese Frage über kurz oder lang beantworten. In Europa gibt es aber einige Ungewissheiten und deswegen ist es vernünftig, weiter abzuwarten. Wir sollten die Verhandlungen nicht abbrechen und irgendwann die Sache auch zu Ende bringen. Und eines sollte man bei Isländern nie vergessen: Wir sind neugierig, wir wollen irgendwann auch sehen, was dabei herauskommt."