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Islam in der Türkei
Viele Moscheen, wenige Gläubige

Innerhalb weniger Jahre hat der türkische Präsident Erdogan mehrere Großmoscheen bauen lassen. Doch die Gotteshäuser bleiben oft weitgehend leer. Selbst Erdogan-Anhänger sagen: Wir brauchen nicht noch mehr Moscheen, sondern Arbeitsplätze.

Von Marion Sendker | 21.07.2021
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan beim ersten Gebet in der zur Moschee umgewandelten Hagia Sophia.
Juli 2020: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan beim ersten Gebet in der zur Moschee umgewandelten Hagia Sophia (imago-images)
Ein Gebet in der größten Moschee der Türkei: Camlica. Übersetzt bedeutet das so viel wie "Ort der Kiefern". Die Moschee trägt den Namen des Istanbuler Stadtteils, in dem sie steht: Camlica, ein von vielen Kiefern und wenigen Menschen besiedeltes Viertel am Bosporus, auf der asiatischen Seite der Stadt.

Die "Erdogan-Moschee"

Seit 2019 gibt es die Camlica Moschee. Sie befindet sich auf dem höchsten Hügel Istanbuls und ist von da aus noch kilometerweit zu sehen. Den erhabenen Ort hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan selbst ausgesucht. Die Camlica-Moschee ist eines seiner Lieblingsprojekte. Schätzungsweise 70 Millionen Euro soll der Bau gekostet haben. Es gibt sechs Minarette, vier davon ragen mehr als 107 Meter in die Luft: So hoch wie nirgends sonst in der Welt.
Die Camlica-Moschee in Istanbul
Erdogans Großprojekt: Die Camlica-Moschee in Istanbul (YASIN AKGUL / AFP)
Erdogan habe sich damit bewusst ein Vermächtnis schaffen wollen, meint der Analyst Soner Cagaptay vom US-amerikanischen Thinktank Washington Institute:
"Istanbul ist eine Stadt der Moscheen, und die wichtigste ist die Hagia Sophia. Danach kommt Camlica. Sie heißt zwar so, aber inoffiziell wird sie die 'Erdogan-Moschee' genannt, und ich frage mich, ob Erdogan nach seinem Tod dort begraben werden möchte."

Platz für 34.000 Betende

Genügend Platz wäre jedenfalls da: Das Gelände der Moschee ist riesig. Allein im Gebetsraum der Moschee haben 34.000 Menschen Platz – das ist halb so viel, wie in ein mittelgroßes Fußballstadion passen. Für den zuständigen Imam, Yunus Balcioglu, ist die Camlica-Moschee deswegen Glück und Last zugleich:
"Mit der Anzahl der Menschen, die kommen können, wächst auch meine Verantwortung, sie alle glücklich zu machen."
Imam Yunus Balcioglu in der Camlica-Moschee (Deutschlandradio - Marion Sendker)
Schaut man sich im riesigen Innenraum der Camlica-Moschee um, hat der Imam meistens eher wenig zu befürchten. Auf den 17.000 Quadratmetern Teppichboden beten an normalen Tagen etwa 50 Menschen, während ein paar Kinder in der Weite des Innenraums ausgelassen Fangen spielen.
"Natürlich kommen nicht immer so viele Menschen, wie Platz ist. Aber: Wir haben zwei Feiertage im Jahr, Ramadan und Opferfest. Und an diesen Feiertagen füllt sich die Moschee schon."

"Die Moschee steht für Verschwendung"

Das könnte natürlich auch daran liegen, dass an diesen Feiertagen meistens Erdogan zum Beten kommt und jedes Mal standesgemäß ein paar Tausend Anhänger mitbringt. Die Camlica-Moschee wird dann auch jedes Mal zum Ort für Pressefotos, die das Bild eines tiefgläubigen Volkes suggerieren sollen, mit einem frommen Erdogan an ihrer Spitze. Schon bei der Einweihung der Moschee erklärte Erdogan entsprechend:
"Wo immer es eine Kuppel, ein Minarett gibt, wo immer unser Gebet mit dem Himmel vermischt wird, dort ist zweifellos ein muslimisches Land."
Viel Platz zum Spielen: Alltag in der Camlica-Moschee (Deutschlandradio - Marion Sendker)
Eine Mega-Moschee mache aber längst noch kein muslimisches Land, sagt dagegen die islamische Theologin und Parlamentsabgeordnete von der kurdischen Oppositionspartei HDP, Hüda Kaya. Die Linkenpolitikerin mit Kopftuch erinnert an ein wichtiges Glaubensprinzip - Verschwendungen und Angeberei seien verboten:
"Die Camlica-Moschee ist ein Ort, der nicht zur Anbetung, sondern als rein politischer Schauplatz geschaffen wurde. Sie steht für Verschwendung, nicht für das Gebet."

"Politische Show"

Die Camlica-Moschee habe für Erdogan einen ähnlichen politischen Wert wie die Hagia Sophia, die der Staatspräsident vor einem Jahr feierlich zur Moschee machte. Rund 350.000 Menschen kamen an dem Tag zusammen und feierten, dass die Hagia Sophia – erst Hauptkirche des byzantinischen Konstantinopels, dann Haupt-Moschee im Osmanischen Reich, dann Museum in der türkischen Republik – wieder zur Moschee gemacht wurde. Für die Pilger sei Erdogan der Held des Tages gewesen, meint Kaya:
"Diese politische Show hat die Hagia Sophia entwertet."
Gläubige vor der Hagia Sophia in Istanbul am 10. Juli 2020 nach der Entscheidung des des Obersten Verwaltungsgerichts, aus dem Museum wieder eine Moschee zu machen. 
Gläubige vor der Hagia Sophia in Istanbul am 10. Juli 2020 nach der Entscheidung des des Obersten Verwaltungsgerichts, aus dem Museum wieder eine Moschee zu machen (AFP / Ozan Kose)
Anders als die große Camlica-Moschee auf dem Kiefernhügel ist die Hagia Sophia in Istanbuls Altstadt zwar täglich gut besucht. Doch auch hier trügt der Schein: Viele von denen, die kommen, sind Touristen und beten gar nicht, sondern machen Selfies oder bewundern die Architektur.

Noch eine "Erdogan-Moschee"

Ortswechsel: Taksim-Platz, im Herzen der europäischen Seite Istanbuls. Es ist Ende Mai, Tag der Einweihung der neuen Taksim-Moschee. Noch so ein Herzens-Projekt von Erdogan. Er wollte sie schon in den 90ern bauen lassen, als er Oberbürgermeister von Istanbul war. Was die politische Lage damals nicht zuließ, kann er an diesem Tag vollenden.
"Unsere Moschee hat einen bedeutenden Platz unter den Symbolen Istanbuls eingenommen", tönt Erdogan, der in der neuen Moschee steht.
28.05.2021, Türkei, Istanbul: Menschen beten vor der neu eröffneten Moschee auf dem zentralen Taksim-Platz. Der türkische Präsident Erdogan hat die Moschee eingeweiht. Foto: Emrah Gurel/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Mai 2021: Gläubige beten vor der neuen Moschee auf dem Taksim-Platz in Istanbul. (AP Emrah Gurel)
Seine Rede ist über eine Leinwand draußen zu sehen. Davor haben sich etwa eintausend Menschen versammelt. Die meisten hocken auf Gebetsteppichen aus dünnem Papier und spielen am Handy oder machen Fotos von Erdogan auf der Leinwand. Als es Zeit für das Gebet wird, macht nicht einmal die Hälfte die üblichen Aufsteh- und Kniebewegungen mit.
Die wenigen, die wirklich zum Beten da sind, sind dagegen hin und weg. "Ich bin so glücklich", sagt zum Beispiel ein junger Mann in der ersten Reihe leise. Er will weitersprechen, doch die Emotionen überwältigen ihn und er bricht in Tränen aus.

"Als nächstes wird Jerusalem erobert"

Bei einem anderen Mann löst die Taksim-Moschee dagegen einen Redeschwall aus. Er heißt Imran, trägt ein streng islamisches Gewand, hat auf dem Kopf einen muslimischen Hut und auf der Nase eine moderne, dunkle Sonnenbrille. Diese neue Moschee sei ein Beweis dafür, wie stark der Islam geworden sei – und Gott sei Dank gebe es Erdogan, ruft Imran. Denn er habe den Muslimen mit der Takism-Moschee einen Sieg beschert:
"Es ist vollbracht. Wir werden nun für immer hier sein. Und da, wo eine Moschee ist, da ist auch der Islam. Einst war der Muslim schwach, nun ist er stark. Gelobt sei Gott, die Türkei wird aus Istanbul heraus auferstehen. Erst wurde die Hagia Sophia wieder geöffnet, nun diese Moschee und als nächstes wird Jerusalem erobert!"
Imran ist nicht der einzige Mensch in der Türkei, der so denkt und spricht. Es gibt eine zwar kleine, aber nicht unwichtige Gruppe von strenggläubigen Muslimen, die als politische Macht im Hintergrund nicht unterschätzt werden dürfen.

"Was wir brauchen, sind Arbeitsplätze"

Zugleich wächst die Erdogan-Skepsis unter seinen weniger überzeugten Anhängern. Etwa bei den beiden Männern, die am Tag der Taksim-Moschee-Eröffnung das Geschehen aus der Ferne beobachten. Der eine steckt sich eine Zigarette an und sagt:
"Gelobt sei Gott, wir sind Muslime. Aber alles, was wir brauchen, sind Arbeitsplätze. Und alles was wir kriegen, ist diese Moschee."
Für den Analysten Cagaptay vom Washington Institute ist Erdogan längst im Herbst seiner Karriere angekommen:
"Früher konnte er die Schuld immer der alten Elite anhängen, so hat er sich auch eine Basis aufgebaut. Aber nach zwei Jahrzehnten an der Macht weiß auch Erdogan, dass ihm das keiner mehr abkauft. Er ist ein Quasi-Sultan und die Menschen halten ihn für die Probleme des Landes verantwortlich."

"Die Türkei ist kein islamisches Land"

Seine Umfragewerte seien so niedrig wie nie zuvor und vor allem die junge Generation sehe ihn zunehmend kritisch, sagt Cagaptay:
"Er kann seine ursprüngliche Taktik nicht mehr verkaufen: Ich denke, Erdogan hat sich überlegt, jetzt mehr auf seine Ideologie zu setzen - Familienwerte und Religion - um seine Basis zu retten. Aber das wird nicht klappen. Denn die Türkei ist kein islamisches Land."
Auch die Politikerin Hüda Kaya meint, der AKP gehe es nicht wirklich darum, ein islamische Volk heranzuziehen:
"Sie nutzen Religion vielmehr als Werkzeug, um ihre Macht zu stabilisieren. Aber Islam bedeutet Gerechtigkeit und Frieden, und beides gibt es nicht, seitdem die AKP an der Macht ist."
Da helfe es Erdogan auch nicht mehr, eine Großmoschee nach der anderen zu bauen. Die meisten bleiben sowieso eher leer.