Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Islamfeindlichkeit
Ein Beauftragter für alle

Muslime werden in Deutschland Opfer von Anschlägen und Angriffen. Daher fragen sich einige: Warum gibt es keinen Beauftragten gegen Islamfeindlichkeit, analog zum Antisemitismusbeauftragten?

Von Julia Ley | 10.04.2019
Gemeindemitglieder stehen nach einem Farbanschlag vor einer Moschee in Leipzig.
Im Jahr 2018 sind bundesweit 813 Übergriffe gegen Muslime und Moscheen registriert worden (dpa / Jan Woitas)
Erst vor ein paar Tagen, sagt Mulla Cetin, wurde wieder eine Bekannte von ihm in der Berliner U-Bahn drangsaliert:
"Und zwar stand vor ihr ein Mann, der mit 'ner großen Tasche auf dem Rücken sie sehr bedrängt hat, sie gegen die Tür gedrückt hat, mit seiner großen Tasche sie versucht hat klein zu machen, sie versucht hat zu erdrücken, sag ich jetzt mal, und währenddessen lief das Video vom Terroristen von Christchurch, das er so hochgehalten hat, dass sie es mitsehen konnte, während sie gegen die Bahntür gedrückt wird."
Nicht tatenlos zusehen
Der Jurastudent wollte irgendwann nicht weiter tatenlos zuhören. Im Oktober hat er deshalb eine Petition ins Leben gerufen: "Für einen Beauftragten gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit." Etwas mehr als 2300 Unterstützer hat sie bis jetzt.
Das ist nicht viel, doch das rassistische Attentat in Christchurch hat der Forderung neue Aufmerksamkeit verliehen. Bei dem Massaker in zwei neuseeländischen Moscheen hat ein Rechtsextremist Mitte März 50 Muslime erschossen. Kurz darauf griff der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Ayman Mazyek, Cetins Forderung öffentlich auf. Die Einsetzung eines solchen Beauftragten sei "notwendiger denn je", sagte Mazyek der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Denn es gebe in Deutschland eine "latent antimuslimische Stimmung".
"Neue Aufmerksamkeit"
Seit dem Attentat gebe es auch hierzulande erstmals eine breite öffentliche Debatte über Muslimfeindlichkeit, sagt Kai Hafez, Medienwissenschaftler an der Uni Erfurt:
"Ich sehe eine neue Aufmerksamkeit. Ob das bereits ein Umdenken ist, vermag ich nicht zu sagen, aber es ist ganz deutlich geworden, dass in den letzten Wochen etwas passiert ist, was ich so bei zwanzig Jahren Medienbeobachtung noch nicht gesehen habe."
Verzerrte Darstellungen von Muslimen haben in Europa eine lange Tradition, erklärt die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor. Viele Bilder, Erzählungen, Forschungen über den Orient seien schon zur Zeit des Kolonialismus entstanden. Muslime, insbesondere Araber, erschienen darin meist als exotisch, fremd, lüstern, unberechenbar, rückständig, unzivilisiert.
"Und die haben sich dann eigentlich weiter festgeschrieben in unser historisches Gedächtnis."
Nach den Anschlägen auf die Twin Towers vom 11. September 2001 wurden diese uralten Islam-Bilder im öffentlichen Diskus wieder abgerufen. "Der Islam", nicht radikale politische Ideologien, wurde zum Schuldigen erklärt. Immer wieder wird seither darüber diskutiert, ob Muslime per se gewalttätiger, radikaler, patriarchaler oder krimineller sind als andere.
"Kein Phänomen der Moderne"
"Ich würde deshalb niemals davon sprechen, dass antimuslimischer Rassismus oder Islamfeindlichkeit eine neue Erscheinung sei, dem ist so nicht."
Ähnlich sieht das auch der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez. Er forscht seit zwei Jahrzehnten zu Islamfeindlichkeit und sagt: Schon immer stimmt etwa die Hälfte der Deutschen islamfeindlichen Aussagen zu. Pegida und die AfD hätten diese Einstellungen zwar nicht erzeugt und auch nicht wesentlich verstärkt:
"Aber sie formulieren so etwas wie ein konkretes Handlungsprogramm, das wir bis vor einigen paar Jahren nicht hatten. Sowohl für den politischen Raum als auch für das, was ich mal als Alltagsradikalismus bezeichnen würde."
Dieses Handlungsprogramm bestehe darin, Tabus aufzubrechen. Dinge wieder sagbar zu machen. Auch zeige sich eine gewisse Enthemmung rechter Kreise. Gerade in Ostdeutschland - aber nicht nur dort - schlage das zunehmend auch in Gewalt um.
Erst vergangenes Jahr wurde ein ehemaliger Pegida-Aktivist in Dresden zu knapp zehn Jahren Haft verurteilt. Er hatte einen Sprengstoffanschlag auf die Fatih-Moschee in Dresden verübt. Der Imam und seine Familie blieben nur durch Zufall unverletzt.
Mehr als Tausend islamfeindliche Straftaten
Braucht es also einen Beauftragten im Kampf gegen Islamfeindlichkeit? Zumindest Innenminister Horst Seehofer wollte nach Christchurch in Deutschland kein islamfeindliches Klima erkennen. "Der Großteil der Menschen in Deutschland lebt friedlich miteinander. Davon bringen uns auch gewaltbereite Extremisten nicht ab", sagt er der BILD-Zeitung.
Auf Social Media kritisierten viele Muslime danach, dass Seehofer das Ausmaß des Problems verkenne. Tatsächlich erhebt sein eigenes Ministerium Zahlen, die in eine andere Richtung deuten. Schon im ersten Jahr der Zählung, im Jahr 2017, dokumentierte das Innenministerium mehr als Tausend islamfeindliche Straftaten.
Auch von Linken, SPD und Grünen erhielt die Forderung nach einem Beauftragten für Islamfeindlichkeit deshalb Unterstützung. So sagte etwa Linken-Chefin Katja Kipping der WELT, es sei "ein Ausdruck unserer freiheitlichen Grundordnung" Gläubige vor Hass und Diffamierung zu schützen. Ähnlich äußerte sich Lars Castellucci, Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion: Er will mit dem Zentralrat der Muslime das Gespräch darüber suchen, welche Maßnahmen geeignet sind, sich dem Problem gemeinsam zu stellen.
Kritische Stimmen kamen hingegen aus der CDU: Die gegenwärtigen Gesetze reichten aus, um islamfeindliche Übergriffe zu ahnden. Die AfD forderte ihrerseits einen Beauftragten - und zwar gegen Christenfeindlichkeit. Auf Facebook vermutete sie, ein Beauftragter gegen Islamfeindlichkeit solle vor allem "die Ablehnung derjenigen bekämpfen, die mit dem Islam nichts anzufangen wissen".
"Nicht der richtige Anlass"
Eine Befürchtung, die die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor nicht nachvollziehen kann:
"Natürlich muss es eine Religionskritik geben können. Aber wenn wir über Islamfeindlichkeit oder antimuslimischen Rassismus sprechen, dann meine ich wirklich abwertende Einstellungen gegenüber Muslimen, islamischen Institutionen, islamischer Kultur, zum Teil auch gegen Einrichtungen – um sich selbst, und das ist wichtig, um sich selbst zu erhöhen. Wenn selbst ein ideologisches Ziel damit verbunden ist, diese Gruppe von Menschen abzuwerten - dann würde ich von Islamfeindlichkeit sprechen."
Der Forderung nach einem Beauftragten würde sie sich dennoch nicht anschließen: "Ich glaube, es ist im Moment jedenfalls nicht der richtige Anlass, so etwas zu fordern. Und ich glaube, dass die Einsicht in der Gesellschaft und auch in der Politik noch nicht so groß ist, dass so eine Forderung für berechtigt gehalten wird."
Beauftragter gegen alle Rassismusformen
Auch Medienwissenschaftler Kai Hafez ist skeptisch: "Ich bin grundsätzlich von einem solchen Beauftragten nicht begeistert. Auf der einen Seite sind diese Beauftragten zwar ein wichtiges Zeichen dafür, dass man das Problem erkannt hat. Auf der anderen Seite ist die Bekämpfung von Islamfeindlichkeit eigentlich eine Querschnittskompetenz."
Und diese müsste sich eigentlich überall finden, so Hafez: in Ministerin, Schulen, Universitäten. Zudem gebe es viele Schnittmengen mit der Arbeit des Beauftragten im Kampf gegen Antisemitismus. Sinnvoller wäre es daher, die beiden Ämter zusammenzulegen.
Und Mulla Cetin, der Student, der die Idee zuerst in die Welt getragen hat? Er kann die Kritik verstehen - seine Petition will er deshalb aber nicht zurückziehen. Am besten, sagt Cetin, wäre es einen Beauftragten gegen alle Formen von Rassismus einzuführen. Aber den gebe es eben noch nicht.
"Solange es diesen noch nicht gibt, ist es glaube ich das Recht aller Minderheiten auf das Problem der Diskriminierung ihnen gegenüber aufmerksam zu machen. Und solange es keinen einheitlichen Rassismus-Beauftragten gibt, werden wir auch einen gegen Muslimfeindlichkeit fordern."