Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Islamische Extremisten
Rückschlag für Marokkos Terroristen-Jäger

Marokko gilt als relativ sicheres Reiseland. Seit 2011 gab es keine Terrorakte mehr. Um so größer war die Bestürzung über den Mord an zwei Touristinnen aus Skandinavien. Marokkos führender Terroristen-Jäger Abdelhak Khiame muss sich deshalb viele Fragen gefallen lassen.

Von Jens Borchers | 26.01.2019
    Abdelhak Khiame (l), der Chef des "Büros für juristische Ermittlungen" in Marokko
    Abdelhak Khiame leitet Marokkos wichtigste Ermittlungsbehörde für Terrorismus-Fälle (AFP / STR)
    Abdelhak Khiame ist ein Mann der Kontrolle. Als wir fragen, ob wir unser Gespräch aufzeichnen können, sagt er: "Sehr gerne! – Dann ist wenigstens klar, was ich wirklich gesagt habe." Und er knurrt einen kurzen, ätzenden Satz über "die Medien" hinterher: "Die Medien lassen mich Dinge sagen, die ich nie gesagt habe."
    Mord an zwei skandinavischen Touristinnen
    Was Khiame nicht daran hindert, viel öfter und viel intensiver mit den Medien zu arbeiten, als irgendjemand sonst in Marokkos sehr umfangreichem Sicherheitsapparat. Auch dann, wenn es mal nicht nur Erfolge zu verkünden gibt. So wie jetzt gerade. Der Mord an zwei skandinavischen Touristinnen hat ganz klar gezeigt: Auch Khiames "Büro für juristische Ermittlungen" hat bei der Terrorismusbekämpfung nicht alles im Griff.
    Das Bild zeigt Ermittler, die Spuren rund um ein mit Flatterband abgesperrten Zelt sichern.
    Ermittler sichern Spuren am Zelt der beiden Frauen im Atlas-Gebirge. (AFP)
    Täter kontrolliert, aber nicht aufgehalten
    Unumwunden räumt Khiame ein, dass einer der geständigen Täter wegen terroristischer Aktivitäten zuvor schon polizeibekannt war. Und dass die Terroristenzelle am Tag des Mordes in eine Polizeikontrolle lief, aber nicht aufgehalten wurde:
    "Sie wurden auf ihrem Weg von Gendarmen kontrolliert. Und sie hatten entschieden, die Beamten anzugreifen, wenn diese ernsthaft ihre Habseligkeiten kontrollieren würden."
    Was aber nicht passierte. Statt dessen konnten die vier Anhänger des sogenannten Islamischen Staates, des IS, unbehelligt weiterziehen, ihre Opfer identifizieren und ermorden. Abdelhak Khiame legt allerdings besonderen Wert auf Folgendes:
    "In diesem Fall gab es keinerlei Kontakt nach außen oder zu terroristischen Gruppen."
    Fehlschlag für Marokkos Sicherheitskräfte
    Der IS reklamierte das Attentat auch nicht für sich. Insofern ordnet Abdelhak Khiame den Anschlag als Tat einer allein operierenden Extremisten-Zelle ein. Die allerdings dem IS Treue geschworen hatte. Khiame ist stolz auf die Fähigkeit seiner Behörde, Terroranschläge zu verhindern. Aber diesmal ging etwas schief. Die Täter gestanden im Verhör, dass sie die Terrorzelle bereits 2017 gegründet hatten.
    Abdellah Rami ist einer der besten Kenner der Salafisten- und Dschihadisten-Szene in Marokko. Rami spricht von einem Fehlschlag für Marokkos Sicherheitskräfte. Mindestens ein Täter war ihnen zuvor schon als IS-Anhänger bekannt. Andere als Salafisten. Abdellah Rami sagt, er sei sicher, dass Marokkos Ermittler sie alle überwacht haben. Gerade deshalb müsse gefragt werden:
    "Wie kommt es, dass sie diese Terror-Zelle nicht vor dem Anschlag gefasst haben - trotz ihrer bisher zu 100 Prozent erfolgreichen Präventionsstrategie? Nach der Tat gab es dann sehr schnell viele Festnahmen. Die sollten wohl vor allem dazu dienen, genau diese Frage nicht zu laut werden zu lassen."
    Viele Informanten in der Szene
    Seit der Gründung des Büros für juristische Ermittlungen vor vier Jahren haben die Ermittler nach eigenen Angaben 61 Terror-Zellen aufgelöst. Immer, bevor sie einen Anschlag verüben konnten. Die Ermittler haben viele Informanten in der Szene, eine extrem gut gefütterte Datenbank und sie nutzen die elektronische Überwachung. Dennoch: Diesmal konnte das Attentat nicht verhindert werden. Aber Abdelhak Khiame sagt: "Ich sehe keinen Fehlschlag!".
    "Meine Leute haben so gearbeitet, wie sie es tun sollen," verteidigt Khiame seine Mitarbeiter. "Wir haben das Anschlagsrisiko in den vergangenen Jahren gemindert!"
    Nach dem Mord an zwei skanidnaivischen Studentinnen halten Marokkaner vor der dänischen Botschaft Plakate mit der Aufschrift:"Pardon & Sorry" in den Händen
    Hunderte Menschen kamen zur Botschaft, um ihre Anteilnahme am Mord an zwei skandinavischen Studentinnen zu zeigen (AFP / Fadel Senna)
    Keine vom IS gesteuerten Anschläge in den letzten Jahren
    Das bestreitet auch Abdellah Rami, der Extremismus-Experte, nicht. Er sagt, man müsse sich nur anschauen, in wie vielen Ländern IS-Terroristen Anschläge verüben konnten. Die Ausnahme war bisher – Marokko. Eben weil die marokkanischen Sicherheitsdienste sehr gut gearbeitet hätten. Deshalb gab es in Marokko in den zurückliegenden Jahren keine vom IS gesteuerten Anschläge.
    Abdellah Rami meint aber auch: Es gibt in Marokko viele Salafisten, die für den Dschihad, für den sogenannten Heiligen Krieg sind. Die Extremisten sind teils Anhänger des ID, teils der Al Kaida. Die Schwierigkeit für die Sicherheitsdienste sei, einzuschätzen, ob und wann solche Extremisten tatsächlich terroristisch aktiv werden, also Anschläge verüben:
    "Einzelaktionen oder die sogenannten 'einsamen Wölfe' – die sind sehr gefährlich. Und das wissen der IS und Al Kaida. Deshalb rufen sie zu solchen Einzelaktionen immer dann auf, wenn sie selbst als Organisation eine schwierige Phase erleben. Dann rufen sie zum individuellen Dschihad auf."
    Sorgen, dass die Touristen ausbleiben
    Der Anschlag auf die beiden Touristinnen war so eine Aktion. Und Marokko macht sich Sorgen, weil der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig ist. Elf Millionen Besucher kamen 2018 ins Königreich. Wenn es weitere Anschläge gäbe, könnte sich das ganz schnell ändern.
    Auch deshalb steht das marokkanische Büro für juristische Ermittlungen unter Druck. Jetzt meldet es wieder Fahndungserfolge: Im laufenden Monat habe man schon wieder zwei Terroristen-Zellen ausgehoben. Abdelhak Khiame, der Chef, gibt sich nach außen hin gelassen: Er weiß, dass der Terrorismus in Marokko angesichts des existierenden Extremisten-Netzwerks nicht so schnell zu besiegen sein wird. Aber er sagt auch: "Ich mag meine Arbeit."