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Islamische Intellektuelle
Fern vom Volk der Moscheen

Didier Leschi, Leiter der Behörde für Einwanderung und Integration, geht mit islamischen Intellektuellen hart ins Gericht. Sie seien nicht gläubig und deshalb für Muslime nicht glaubwürdig.

Von Bettina Kaps | 15.02.2017
    "Nicht nur vor laufenden Kameras" - es gibt viel Kritik an muslimischen Geistlichen in Frankreich
    "Nicht nur vor laufenden Kameras" - es gibt viel Kritik an muslimischen Geistlichen in Frankreich (picture-alliance / dpa / Andreas Gebert)
    Hohe Staatsbeamte üben sich oft in Diskretion. Didier Leschi aber fühlt sich geradezu verpflichtet, seine fundierten Kenntnisse über den französischen Islam und dessen Blockaden publik zu machen. Denn er befürchtet, dass der staatliche Wunsch nach einer Reform des Islams in Frankreich misslingen kann. Der 58-jährige Leiter der Behörde für Einwanderung und Integration geht mit den muslimischen Vertretern harsch ins Gericht.
    "Der französische Islam steckt schon lange in einer Sackgasse, die Attentate haben die Versäumnisse stärker ans Licht gebracht. Sie haben gezeigt, dass die Religionsvertreter nicht genug dafür gesorgt haben, die Praxis der muslimischen Religionsausübung in der französischen Gesellschaft zu verankern."
    Als Beispiel dafür nennt er das Dauerthema Imam-Ausbildung: Sogar große und vermögende Moscheen holen ihre Geistlichen überwiegend aus dem Ausland. Marokko, Algerien und die Türkei übernehmen auch die Gehälter ihrer nach Frankreich entsandten Imame, kritisiert Leschi. Junge Muslime, die eine Ausbildung in Frankreich gemacht haben, sind die Ausnahme.
    Fehlendes Engagement der muslimischen Elite
    Leschi fordert die Moscheen auf, ihre Geistlichen aus eigener Tasche zu bezahlen und sie in der Sozialkasse für diesen Berufsstand einzuschreiben, das würde ihnen einen gewissen Schutz und auch einen Status verleihen. Als Vorbild nennt er die französische Übersee-Insel La Réunion, wo dies üblich sei.
    Didier Leschi nimmt auch die muslimischen Intellektuellen ins Visier.
    "In Frankreich engagiert sich die gesellschaftlich anerkannte muslimische Elite nicht in ihrer Religionsgemeinschaft. Diese Leute treten in den Medien als so genannte muslimische Intellektuelle auf, obwohl viele gar nicht gläubig sind. Und andere, die tatsächlich über den Islam und seine Praktiken reflektieren, pflegen keine Verbindung zum 'Volk der Moscheen'. Kein Wunder also, dass die Moscheebesucher glauben, was ihre Imame predigen. Deshalb gewinnen orthodoxe Ansichten die Überhand, die religiösen Praktiken verhärten sich, und dem wird nichts entgegen gesetzt."
    Um das zu ändern, müssten die aufgeklärten Vordenker am Freitagsgebet teilnehmen und auch über ihre religiösen Erfahrungen und Praktiken sprechen. Wichtig sei außerdem, dass Orte entstehen, an denen Muslime verschiedener Strömungen kontrovers über den Islam nachdenken und debattieren könnten.
    Einer der bekanntesten muslimischen Intellektuellen in Frankreich heißt Abdennour Bidar. Seine Bücher erreichen ein breites Publikum, in den Medien und sozialen Netzwerken ist der 48-Jährige auch präsent. Der Philosoph gibt Didier Leschi teilweise recht:
    Fehlen spiritueller Botschaften
    "Es stimmt: Wir können uns bei den gläubigen Muslime nur dann Gehör verschaffen, wenn unsere Aussage eine spirituelle Dimension hat. Aber es reicht nicht, zu sagen: Ich bete fünfmal täglich, ich gehe in die Moschee - das ist den Muslimen völlig egal. Das eigentliche Problem heute ist das Fehlen von Spiritualität. Wenn Intellektuelle die Sinnfrage aufgreifen, wenn sie den Kern des Islams thematisieren und mit wichtigen Werten wie Freiheit, Gleichheit, Demokratie in Zusammenhang bringen, dann werden sie auch gehört."
    Bei der Kritik an den muslimischen Geistlichen geht Abdennour Bidar sogar noch weiter als Didier Leschi.
    "Die muslimischen Geistlichen in Frankreich sind von erschreckender intellektueller Mittelmäßigkeit - zwei oder drei Rektoren nehme ich aus. Die anderen sind Hüter eines konservativen Islamverständnisses. Nach außen hin beteuern sie, dass der Islam mit der Republik vereinbar ist. Aber in ihren Moscheen sorgen sie nicht dafür, dass die muslimischen mit den französischen Werten in Einklang gebracht werden. Das muss jeden Freitag in den Predigten geschehen, nicht nur vor laufenden Fernsehkameras."
    In seinem Buch will Didier Leschi auch einen verbreiteten Irrtum ausräumen: Ja, das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat verbietet es dem Staat, die Religionsgemeinschaften direkt zu finanzieren. Aber die Kommunen dürfen trotzdem helfen und tun das auch. Indem sie den Muslimen ein Terrain für einen symbolischen Euro zur Pacht überlassen oder das Kulturzentrum einer Moschee subventionieren.
    "Der französische Staat hat dazu beigetragen, dass sich die Situation der muslimischen Gläubigen erheblich verbessert hat. Seit zehn Jahren wird durchschnittlich ein Gebetssaal pro Woche eröffnet."
    Fehlanalyse
    Leschi bedauert, dass diese Realität nicht bekannt gemacht wird.
    Der Muslim Abdennour Bidar gibt aber auch dem Staat Verantwortung dafür, dass es dem französischen Islam nicht gelingt, sich zu modernisieren. Erst im letzten Herbst habe die Regierung einen großen Fehler gemacht: Als Reaktion auf die Attentate wurde damals eine Islam-Stiftung geschaffen. Sie soll die islamischen Institutionen im Land neu aufstellen und so eine Radikalisierung von Muslimen verhindern. Zum Vorsitzenden hat das Innenministerium Jean-Pierre Chevènement ernannt, 77 Jahre alt, ehemaliger Innen- und Verteidigungsminister. Für Bidar eine Fehlbesetzung, ja sogar ein Affront.
    "Der Staat hätte einen Muslim ernennen müssen! Auf unsere Proteste entgegnete der Innenminister: 'Für diesen Posten brauchen wir eine neutrale Persönlichkeit, und die gibt es unter den Muslimen nicht, weil der Islam in Frankreich noch immer von den verschiedenen Herkunftsländern dominiert wird'. Aber das ist eine Fehlanalyse!"
    Alles in allem aber stimmt Bidar Leschis Analyse zu und hofft wie dieser, dass es endlich zu einer Emanzipation des französischen Islams kommt. Er befürchtet allerdings, dass der kritische Blick von außen bei den Betroffenen wenig Gehör finden wird.