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Islamische Theologie in Deutschland

Imame ausbilden, Fachdiskussionen anstoßen, Muslime an Hochschulen repräsentieren: Das haben die Graduiertenkollegs Islamische Theologie an sieben deutschen Universitäten zum Ziel. Während Vertreter der Islamstudien die islamische Theologie erst einmal als wissenschaftliche Disziplin etablieren, erwartet die Politik auch einen Beitrag zur Integration.

Von Jan Kuhlmann | 05.12.2011
    An Konflikten zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen mangelt es in Deutschland nicht. Da ist die mangelnde Bereitschaft von Muslimen, sich auf die Gesellschaft einzulassen. Das erschwert das Zusammenleben ebenso wie anti-muslimische Ressentiments, die den Islam zu einem Feindbild aufbauen. Auch das neue Studienfach islamische Theologie bewegt sich in diesem Spannungsfeld. Geht es nach der Politik, dann soll das Fach maßgeblich dazu beitragen, den Islam in Deutschland besser zu integrieren. Das jedoch bereitet den Vertretern der Islamstudien an den Unis Bauchschmerzen. Sie wollen die islamische Theologie erst einmal als wissenschaftliche Disziplin etablieren und nicht darauf ausrichten, Muslime zu integrieren, sagt Ömer Özsoy, Professor für Islamische Religion in Frankfurt:

    "Das kann sich nur als Nebeneffekt ergeben, und das wird sich ergeben, da will ich die Verantwortlichkeit der Wissenschaftler nicht kleinreden. Aber das würde ich nicht zum Ziel setzen und nach Vordergrund rücken, weil das dann drohen würde, dass die islamische Theologie schon in der Entstehungsphase ungerechterweise kritisiert wird und als bestellte Wissenschaft angesehen würde."

    Keiner der Wissenschaftler will in diesen Verdacht geraten – auch nicht die Hamburger Islam-Professorin Katajun Amirpur. Sie sieht unterschwellige Erwartungen an die islamische Theologie, einen demokratiefähigen Islam herbei zu interpretieren – damit behandle die Politik aber nur ein Scheinproblem, sagt Amirpur:

    "Weil man wohl behaupten kann, dass der Großteil der Muslime, die in Deutschland leben, sowieso schon mit einem demokratiefähigen Islam für sich selber leben. Also die haben im Alltag keine Probleme mehr damit, ob der Islam demokratiefähig ist oder ob er für Menschenrechte ist oder nicht. Also insofern ist das eine theoretische Debatte, die für die Lebenswirklichkeit, den Lebensalltag der Muslime eine relativ geringe Rollte spielt."

    Lebensnah aber will die islamische Theologie sein. Nicht zuletzt gehört auch die Ausbildung von Imamen zu ihren Aufgaben. Denn was den Moscheen in Deutschland fehlt, sind Geistliche, die Deutsch sprechen und die hiesige Kultur kennen. Die meisten Prediger kommen aus dem Ausland und bringen andere Normen, Werte und Traditionen mit – ein Hindernis auf dem Weg zur Integration. Die Geistlichen der nächsten Generation sollen ein deutsches Hochschulzeugnis besitzen – so zumindest der Plan in der Theorie. In der Praxis könnten die Universitäten diese Aufgabe allein nicht bewältigen, sagt der Frankfurter Professor Özsoy:

    "Weil wir viele Kompetenzen, die ein guter Imam haben soll, an der Universität nicht vermitteln und beibringen können, zum Beispiel Koranrezitation, die im muslimischen Ritualgebet sehr zentrale Rolle spielt. Das kann man an der Universität nicht vermitteln, weil Studienalter zu spät ist für so eine Ausbildung. Und zweitens, weil das so viel Zeit erfordert und die Universität diesen Luxus nicht hat, so viel Credit Points dafür einzuräumen."

    Bei der Imamausbildung sind die Hochschulen also auf die Zusammenarbeit mit den Moscheen und muslimischen Verbänden angewiesen – diese sollen nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates über Beiräte an den neuen Studiengängen beteiligt werden. Kritiker befürchten einen zu großen Einfluss der Organisationen und ihrer Funktionäre. Der Münsteraner Islam-Professor Mouhanad Khorchide sieht für diese Sorge jedoch keinen Grund:

    "Die Verbände haben nur ein Vetorecht aus religiösen Gründen. Also wenn sie sagen, dieser oder jener Professor ist nicht religiös genug. Oder das Curriculum widerspricht Grundsätzen des Islam. Somit haben sie wenig Einfluss, was Inhalte betrifft."

    Im Moment kämpft die islamische Theologie erst einmal mit ganz praktischen Problemen. So fehlen noch qualifizierte in Deutschland ausgebildete Wissenschaftler, um alle Lehrstühle und Stellen zu besetzen. Die Unis wollen es vermeiden, viele Dozenten aus anderen Ländern zu holen, um sich nicht zu stark dem Einfluss aus dem Ausland auszusetzen. Abkoppeln können und möchten sich die deutschen Wissenschaftler von den Debatten in den klassischen islamischen Ländern aber auch nicht – obwohl dort häufig ein sehr konservativer und traditioneller Islam gelehrt wird. Khorchide schwebt für die Islamische Theologie in Deutschland ein Weg der Mitte vor:

    "Ein Weg der Mitte bedeutet, dass man nicht die islamische Tradition verwirft, aber auch nicht zu sagen, wir beharren auf die Tradition, sondern Weg der Mitte ist zu sagen: Wir bearbeiten diese Tradition, aber wir bleiben nicht dabei stehen, sondern aus dieser Tradition heraus führen wir weitere Ansätze fort im Sinne einer modernen islamischen Theologie, die im Einklang steht mit der Moderne heute."

    Schon jetzt sind bestimmte Prägungen der islamischen Theologie in Deutschland zu erkennen. Die Stiftung Mercator aus Essen und sieben Universitäten haben ein Graduiertenkolleg ins Leben gerufen, das Nachwuchs fördern soll. Sieben Doktoranden nehmen bislang an diesem Studienprogramm teil – gleich zwei junge Musliminnen beschäftigen sich in ihren Arbeiten mit islamisch-feministischer Theologie. Ihre Kernthese lautet: Der Islam hat ein starkes emanzipatorisches Potenzial, erklärt Nimet Seker, Doktorandin an der Uni Münster:

    "Und der Islam oder die islamische Botschaft, die koranische Botschaft hat als Ziel, das Patriarchat zu überwinden. Das ist deren Hauptthese. Und sie können sehr gut auf Basis von koranischen Aussagen argumentieren. Und auch auf Basis des prophetischen Vorbilds. Es gibt sehr viele Aussagen und auch Handlungen des Propheten, die zeigen, dass der Prophet Frauen mit größtem Respekt behandelt hat."
    Könnten die islamischen Theologen aus Deutschland so etwas wie die Avantgarde der internationalen islamischen Religionslehre werden' Nein, sagt die Hamburger Professorin Katajun Amirpur – schon allein deswegen nicht, weil es Reformer längst in allen muslimischen Ländern gebe, auch wenn diese auf große Widerstände stießen.

    "Es ist zumindest der Fall, dass bestimmte Themen, die einigermaßen heikel sind heutzutage in der islamischen Welt nicht diskutiert werden können. Oder wenn sie diskutiert werden können, dann haben die Leute, die sie diskutieren und die eventuell zu Schlüssen kommen, die der Obrigkeit nicht passen, ein ziemlich große Problem. Hier kann Deutschland natürlich einfach die Möglichkeit bieten, einen Denkraum zu schaffen. Also, man kann sich hier hinsetzen und eine Theologie betreiben und in Ruhe nachdenken über solche heiklen Themen, ohne dass es einem passiert, dass man gleich verketzert wird."