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Islamischer Staat
"Diese Bilder wirken"

Offenbar wolle der IS mit seiner brutalen Vorgehensweise seine Gegner provozieren, einschüchtern und rekrutieren, sagte der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik im DLF. Ziel der Organisation sei es, die Allianz, die einen Luftkrieg gegen sie führe, in einen Bodenkrieg zu verwickeln.

Guido Steinberg im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 05.02.2015
    Guido Steinberg, Terrorismus- und IS-Experte, von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einer Talkrunde
    Guido Steinberg, Terrorismus- und IS-Experte, von der Stiftung Wissenschaft und Politik (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Nach der Veröffentlichung eines Videos, das zeigt, wie IS-Terroristen einen gefangengehaltenen jordanischen Piloten bei lebendigem Leib verbrennen, hat Jordaniens König Abdullah einen "gnadenlosen Krieg" gegen den Islamischen Staat ausgerufen.
    Die Reaktion Jordaniens, die eine inhaftierte irakische Dschihadistin und ein ranghohes Al-Kaida-Mitglied hinrichteten, könne nicht überraschen, sagte Steinberg. Jordanien sei bekannt für seine effektive Terrorismusbekämpfung. Die Hinrichtungen zeige, dass die Führung entschlossen sei, den IS "so effektiv und brutal wie möglich zu bekämpfen".
    "IS hat neue Grenze überschritten"
    Möglicherweise sei die Organisation mit der Tötung des Piloten aber zu weit gegangen, meinte Steinberg. Für die Verbrennung einer muslimischen Geisel gebe es keinen Präzedenzfall. Offenbar gehe es immer mehr um die Zurschaustellung brutalster Gewalt, die religiösen Motive seien in den Hintergrund getreten.
    Steinberg warnte vor der Wirkung dieser von der IS inszenierten Bilder. Journalisten sollten die Ereignisse schildern, aber keine Bilder zeigen, riet er. Vorsicht sei aber auch bei Standbildern geboten.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es sind grauenvolle Bilder, die wir in dieser Woche bekommen haben, Bilder, die sich viele wahrscheinlich gar nicht erst ansehen wollen. Die Terroristen des sogenannten Islamischen Staates haben eine jordanische Geisel bei lebendigem Leib verbrannt. Das scheint, noch eine Steigerung zu sein, nachdem der IS ja mehrere seiner westlichen Gefangenen enthauptet hat, so als ob das nicht schon grausam genug wäre. Welche Strategie verfolgt der IS nun mit solchen Bildern und solchen Videos und was sind das für Menschen, die so etwas in Szene setzen? Darüber kann ich jetzt mit Guido Steinberg sprechen, Islam-Wissenschaftler und Nahost-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schönen guten Morgen, Herr Steinberg.
    Guido Steinberg: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Steinberg, was will der IS mit solchen grausamen Bildern erreichen?
    Steinberg: Ich denke, dass der IS seine Gegner provozieren will. Sie führen ja im Moment einen Luftkrieg gegen die Organisation und haben dabei wahrscheinlich schon Tausende, ganz sicherlich aber Hunderte IS-Kämpfer getötet, und die Organisation kann sich nicht wehren. Sie möchte vielmehr die Amerikaner, aber auch die Jordanier und andere Gegner in einen Bodenkrieg verwickeln. Sie will, dass diese intervenieren, und das ist ein Ziel dieser Provokationen, und es kann ja durchaus sein, dass sie damit noch Erfolg haben.
    Armbrüster: Jetzt ist ja eine Strategie vieler Fernsehsender und auch vieler Zeitungen bei uns und in vielen anderen westlichen Ländern, solche Bilder und auch solche Videos gar nicht mehr erst zu zeigen. Kann man den Terroristen so, indem man sie quasi totschweigt, das Wasser abgraben?
    Steinberg: Nein, das kann man natürlich nicht. Die Organisation ist da und diese Bilder wirken auch. Sie haben natürlich auch den Effekt, uns zu terrorisieren. Deswegen nennen wir sie ja auch Terroristen. Das ist sicherlich auch ein wichtiges Ziel dieser Leute. Und dem kann man schon entgegentreten, indem man diese Ereignisse nur schildert, aber keine Bilder zeigt. Weil schon das Zeigen eines Standbildes dieses jungen Mannes in seinem orangen Overall führt natürlich schon dazu, dass das Kalkül der Terroristen bedient wird. Ich halte es also tatsächlich für richtig, auf keinen Fall bewegte Bilder zu zeigen, und auch sehr vorsichtig zu sein, wenn es um Standbilder geht. Eine kurze Beschreibung, die genügt, um den Schrecken und auch das Kalkül der Terroristen darzustellen.
    "Diese Videos bedienen Gewaltfantasien"
    Armbrüster: Könnte es denn sein, dass solche Videos auch zur Rekrutierung dienen, dass sozusagen Männer gezeigt werden sollen, die allmächtig sind, die Herrscher sind über Leben und Tod?
    Steinberg: Ja, das ist richtig. Mit solchen Videos werden tatsächlich auch Gewaltfantasien bedient. Man sieht das ja in den letzten Monaten immer wieder, dass dann auch Videos produziert werden, in denen westliche Rekruten der Organisation selbst Gewalt anwenden, sie zum Beispiel dabei gezeigt werden, wie sie Gefangenen die Köpfe abschneiden. Ich denke allerdings, dass das nur bei einem kleinen Teil des Rekrutierungspools wirklich wirkt, und es hat ja auch gestern schon einige Hinweise darauf gegeben, dass die Organisation da möglicherweise zu weit gegangen ist. Es gibt ja tatsächlich auch für solche Verbrennungen - einer noch dazu muslimischen Geisel - überhaupt keinen Präzedenzfall und die Organisation ist da in die Kritik geraten, weil sie ja immer wieder selbst vorgibt, sich an islamisches Recht zu halten, sich in der Tradition des Propheten und seiner frühen Gefährten zu befinden, und das ist hier ja so ganz offensichtlich nicht der Fall.
    Armbrüster: Das heißt, solche Bilder lassen sich gar nicht religiös erklären? Da schwingen keine religiösen Motive mit?
    Steinberg: Die Organisation versucht das natürlich, aber ich denke, dass gerade hier bei dieser Verbrennung doch sehr deutlich wurde, dass es hier um die Zurschaustellung möglichst brutaler Gewalt geht und dass die religiösen Motive da in den letzten Monaten zumindest etwas in den Hintergrund geraten. Ich denke, dass man trotzdem dieses religiöse Element ernst nehmen muss. Zumindest ein Teil der Führungsspitze der Organisation und ganz, ganz viele ihrer Mitglieder, die sind tatsächlich davon überzeugt, dass sie hier den einzigen wahren Islam vertreten und dass diese brutale Gewaltanwendung ein Teil dessen ist.
    "Keine Hinweise, dass der IS aus seinen Herrschaftsgebieten vertrieben wird"
    Armbrüster: Wenn nun der IS mit seinen Bildern, mit solchen Videos immer grausamer wird, heißt das dann gleichzeitig, dass diese Organisation, diese Terrororganisation auch unter zunehmendem Druck steht, möglicherweise, dass es sich hierbei auch um eine Art Verzweiflungstat handelt?
    Steinberg: Nein. Ich denke nicht, dass das eine Verzweiflungstat ist. Tatsächlich ist das sehr, sehr bewusst eingesetzte Gewalt, um Ziele zu erreichen, so wie wir es eben gesagt haben, den Gegner zu provozieren, den Gegner einzuschüchtern, zu terrorisieren und vielleicht auch zu rekrutieren. Die Organisation steht zwar einerseits unter Druck; andererseits gibt es überhaupt keine Hinweise darauf, dass es den Amerikanern und ihren Verbündeten gelingen könnte, sie aus ihren Herrschaftsgebieten zu vertreiben. Es hat einen kleinen Erfolg gegeben in den letzten Tagen in Kobane. Allerdings muss man ja sagen, dass diese Stadt, weil kurdisch, für den IS Feindesgebiet ist. In den anderen Städten und Gebieten, die von arabischen Sunniten besiedelt sind, ist die Organisation weiterhin stark und es deutet sich überhaupt nicht an, dass es ihren Gegnern gelingen könnte, sie aus diesen Gebieten zu vertreiben. Die Organisation ist unter Druck, es ärgert sie auch, dass sie gegen diese Luftschläge so wenig ausrichten kann. Gleichzeitig ist sie weiterhin stark und sie kontrolliert ihr Herrschaftsgebiet.
    "Jordanien fühlt sich in gewisser Weise bedroht"
    Der Vater des jordanischen Piloten Muath al-Kasaesbeh (2.v.l.) bei einer Trauerfeier für seinen Sohn
    Der Vater des jordanischen Piloten Muath al-Kasaesbeh (2.v.l.) bei einer Trauerfeier für seinen Sohn (picture alliance / dpa / Jamal Nasrallah)
    Armbrüster: Jordanien, Herr Steinberg, hat – wir haben das gestern auch gemeldet – als Reaktion auf diese grauenhafte Tat zwei mutmaßliche Terroristen hinrichten lassen. Hat Sie diese drastische Reaktion überrascht?
    Steinberg: Nein, die Reaktion hat mich nicht überrascht. Die Jordanier sind in ihrer Terrorismusbekämpfung sehr, sehr effektiv und auch in der Vergangenheit in vielen Fällen immer wieder sehr, sehr brutal gewesen. Allerdings haben sie doch versucht, etwas vorsichtiger zu agieren. Das liegt so etwas in der Tradition der jordanischen Politik. Das Königreich ist sich bewusst, dass es selbst schwach ist, dass es in einer sehr gefährlichen Region mit vielen Gegnern lebt, die stärker sind. Aber die Führung in Jordanien hat ganz offensichtlich jetzt entschieden, diese Organisation so effektiv und so brutal wie möglich zu bekämpfen. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass der IS von einem Jordanier, Abu Musab az-Zarqawi, im Jahr 2000 gegründet wurde, dass die Organisation sehr viele jordanische Gefolgsleute hat und dass Jordanien sich selbst bedroht sieht. In gewisser Weise hat da der König Abdallah zusammen mit seinen Gefolgsleuten die Kriegserklärung vom IS aufgenommen und ich erwarte tatsächlich noch weitere Gegenmaßnahmen. Wir können sehr gespannt sein, was da vor allem die jordanischen Dienste in den nächsten Monaten an Bekämpfungsmaßnahmen ergreifen.
    Armbrüster: Das aktuelle Gräuelvideo des sogenannten Islamischen Staates sorgt weltweit und auch in der arabischen Welt natürlich weiter für Entsetzen. Wir sprachen darüber mit Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank, Herr Steinberg, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Steinberg: Ich danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.