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Islamischer Staat
Leonora - ein Vater kämpft um seine Tochter

Was bringt ein 15-jähriges Mädchen aus Sachsen-Anhalt dazu, nach Syrien zu gehen und sich dem Islamischen Staat anzuschließen? Maik Messing hat seine Tochter Leonora an den IS verloren. Seit vier Jahren kämpft er dafür, dass sie zu ihm zurückkehrt. NDR-Reporter konnten den Mann auf seinem Weg begleiten.

Von Lena Gürtler, Britta von der Heide und Volkmar Kabisch | 05.09.2019
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Die ehemalige IS-Anhängerin Leonora mit ihrer Tochter (NDR)
"Hallo Papa, ja, ich versuch euch jetzt ein Sprachmemo zu schicken. Also, mir geht’s sehr, sehr, sehr gut. Wir haben hier eine große Wohnung, sehr groß. Wir haben hier auch keine Sofas so wie in Deutschland. Wir haben hier so, wie so Kissen, so Sitzecken. Ich kann euch paar Fotos schicken."
Diese Nachricht schickt Leonora ihrem Vater 2015, kurz nach ihrer Ausreise nach Syrien. Der kann es nicht fassen, dass seine Tochter plötzlich eine IS-Anhängerin ist – vor ein paar Wochen erst hat sie als Funkenmariechen beim Karneval getanzt.
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Maik Messing mit seiner Tochter, bevor sie nach Syrien ging (NDR)
Vom Funkenmariechen zur Dschihadistin
"Du bist so allein, so mutterselenallein. Du bist so jeglicher Illusionen beraubt und du bist einfach...dein eigenes Kind geht lieber zu Terroristen als bei dir zu sein, und findet das auch noch cool, ja."
Insgesamt mehr als 1.000 Deutsche, so schätzen es Sicherheitsbehörden, haben sich der Terrormiliz in Syrien angeschlossen. Volkmar Kabisch hat damals zu ihnen recherchiert und ist so auf Leonora gestoßen.
"Was sofort in unserem Kopf kam, war so krass, das ist, glaube ich, gerade eine Ausreisewelle von jungen Frauen, die sich alleine, also ohne bereits verheiratet zu sein und sieben Kinder zu haben, aufmachen zum Islamischen Staat."
Vier Jahre Kontakt nur per WhatsApp
Von nun an begleitet er Maik Messing. Dessen einzige Verbindung zu seiner Tochter ist das Handy, vier Jahre lang. Schon nach ein paar Tagen in Raqqa ist Leonora verheiratet.
"Ich schick euch auch Fotos von meinem Geschenk von ihm. Ich hab Gold bekommen."
Mit 15 Jahren wird Leonora zur Drittfrau des deutschen Dschihadisten Martin Lemke, alias Nihad Abu Yasir. Der Schweißer aus Sachsen-Anhalt ist im sogenannten Islamischen Staat Geheimdienstmitarbeiter. Leonoras Vater Maik macht ihr keine Vorwürfe – er will den Kontakt nicht verlieren.
"Es stand für mich fest, sie gehört dort nicht hin. Das ist nicht ihr Land, das ist nicht ihr Krieg, das ist auf keinen Fall ihr zu Hause. Das ist nämlich hier. Und wir sind ihre Familie."
Heirat als Drittfrau
Und so chattet er mit ihr, während sie sich mitten im Krieg befindet. Sie berichtet von Bomben, syrischen Brötchenrezepten und den Gräueltaten des IS: Männern in Käfigen und einer Sklavin, die ihr Mann gekauft hat:
"Und dann hat er gesagt, ich hab die gekauft. Für 800 Dollar. Ich dachte mir so: 800 Dollar, das ist nichts. Ich mein, das ist ein Mensch. Sie tut mir so leid. Sie hat blaue Arme. Keine Ahnung. Sie sind überhaupt nicht gut mit ihr umgegangen."
Maik, der Bäcker aus Breitenbach, versucht Vieles, um seine Tochter dort rauszuholen. Er engagiert in der Türkei Schleuser und muss mit ansehen, wie der Fluchtversuch scheitert. Ein paar Tage später bekommt er die Nachricht, seine Tochter sei tot. Eine Falschinformation. Kurze Zeit später meldet sie sich wieder. Und immer dann, bekommt auch der Journalist Volkmar Kabisch die Nachrichten von Maik.
"Hier war es so, dass der Fall mich einfach auch als Mensch echt bewegt hat. Und da begann es halt, dass dieses distanzierte Verhältnis leichte Risse bekommen hat."
Leben im Krieg
Vier Jahre lang lebt Leonora im Islamischen Staat, flüchtet vor den Angriffen der Internationalen Anti-IS-Koalition, bekommt zwischen den Bombenangriffen zwei Kinder und überlebt schließlich die Flucht aus der letzten IS-Enklave. Im kurdischen Flüchtlingslager Al-Haul in Syrien treffen die Reporter die inzwischen 19-Jährige zum Interview.
"Und wie stellst du dir jetzt die Zukunft vor?" – "Meine Zukunft? Also ich will unbedingt, unbedingt nach Deutschland, zurück zu meiner Familie. Schon lange. Und ich will unbedingt Habiba und der kleinen Maria eine gute Zukunft geben."
Warten auf die Rückkehr
Sie habe sich vom IS distanziert, sagt sie und nie für die Terrororganisation gearbeitet. Über ihre Verantwortung für die Zeit beim Islamischen Staat spricht sie nicht. Ihr Vater Maik schon:
"Für uns ist es völlig klar, dass sie nicht nur alleine verführtes kleines Mädchen ist, sondern sie ist genauso auch Täterin. So muss man das einfach sagen und so realistisch sollte man auch sein."
Ob und wann Leonora und ihre Kinder nach Deutschland zurückkommen, hängt von der Bundesregierung ob. Und ob sie dann ins Gefängnis muss, ist auch noch unklar. Ihrem Vater Maik Messing bleibt, wie schon so oft in den vergangenen vier Jahren, nichts, als abzuwarten.