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Islamistischer Terror an der kenianischen Grenze

In Kenia werden Attentate häufiger, seit kenianische Truppen in Somalia einmarschierten. Ins Flüchtlingslager Dadaab schicken die Hilfsorganisationen zum Beispiel keine eigene Mitarbeiter mehr, reduzieren ihre Hilfe immer mehr.

Von Bettina Rühl | 04.08.2012
    Garissa, eine kenianische Stadt in der Nähe der somalischen Grenze. Somalia ist nur 120 Kilometer entfernt. Auf beiden Seiten der Grenze leben ethnische Somali, fast alle sind Muslime. Auf diesem Markt wirkt die Stimmung sehr entspannt. Aber nicht jeder fühlt sich noch wohl.

    "In Garissa gibt es wegen der Granaten ein Problem. Hier ist es nicht mehr sicher. Bei unserem Beruf ist das richtig gefährlich, wir arbeiten mit unseren Motorrädern als Taxifahrer. Wegen der Unsicherheit hören wir neuerdings schon um sechs Uhr abends auf, aber bis dahin haben wir noch nicht genug verdient."

    Zakayo Kilonzo sitzt gegenüber einer Tankstelle auf seinem Motorrad und wartet auf Kunden. Um ihn herum stehen viele andere, die denselben Job machen wie er. Ihre zweirädrigen Taxen heißen in Kenia "Boda Bodas".

    "Vor ungefähr zwei Monaten hat jemand hier an diesem Platz eine Granate oder einen Sprengsatz abgelegt, da gab's dann auch eine Explosion."

    Der Anschlag habe gezielt den Boda-Boda Fahrern gegolten, meint Kilonzo. Die meisten von ihnen seien Christen, die aus anderen Teilen Kenias nach Garissa kamen, um hier zu arbeiten. Seine Kollegen pflichten ihm bei.

    "Sie wollen die Muslime und die Christen gegeneinander aufhetzen."

    "Sie" - damit meint er die Mitglieder der íslamistischen Shabaab-Miliz, die im benachbarten Somalia kämpft und zum Terrornetzwerk Al Qaida gehört. Auch in Kenia hat sie in den vergangenen Jahren immer wieder Anschläge verübt. Um gegen die Shabaab-Miliz vorzugehen, marschierte die kenianische Armee im letzten Oktober in Somalia ein. Die Islamisten drohten Kenia daraufhin mit Vergeltung. Seitdem hat die Zahl der Anschläge in Kenia drastisch zugenommen. Es traf die Städte entlang der Grenze, die Touristenhochburgen an der Küste, die Hauptstadt Nairobi. Ziel der Anschläge waren kenianische Polizisten, Touristenbars oder möglichst belebte öffentliche Plätze. Dann, am 1. Juli wurden zwei Kirchen in Garissa fast zeitgleich zum Ziel. Bisher starben 18 Menschen, rund 60 Verletzte sind zu beklagen. Zu dem Doppelanschlag bekannte sich die Shabaab-Miliz.

    "Wir haben mit den Muslimen in dieser Stadt immer friedlich zusammengelebt. Zu den Anschlägen kommt es erst seit dem Einmarsch der kenianischen Armee in Somalia. Unser Problem sind nicht die Muslime, sondern dass die Regierung und die Polizei sehr korrupt sind. Jemand, der einen Sprengsatz dabei hat, braucht einem Polizisten nur 500 Schilling zu geben. Und schon lässt der ihn ziehen."

    500 Schilling, das sind umgerechnet knapp fünf Euro. Die Korruption in Kenia ist notorisch und wird auch von Regierungsmitgliedern nicht geleugnet. Nach den Anschlägen von Garissa wechselte die kenianische Regierung das gesamte Führungspersonal aus, das im Grenzgebiet für die Sicherheit zuständig ist: den Provinzkommissar und seinen Stellvertreter, den Polizeichef der Provinz und seinen Stellvertreter, den Leiter der Kriminalpolizei. Ein Eingeständnis, dass die zuständigen Behörden bisher gegen den Terror nicht wirksam vorgegangen sind. Dass gezielt auch humanitäre Helfer bedroht und entführt werden, hat womöglich noch unabsehbare Folgen.

    Die bisherigen Opfer arbeiteten alle in dem Flüchtlingslager Dadaab, nicht weit von Garissa entfernt. Weit über eine halbe Million Menschen aus Somalia sind vor dem Krieg in ihrer Heimat dorthin geflohen - der aus drei Lagern bestehende Komplex ist der größte weltweit. Abdi Abudllahi Mohammed floh als Kind mit Nachbarn hierher, nachdem seine Eltern in den ersten Kriegstagen getötet worden waren. Seitdem, seit mehr als 20 Jahren, lebt er in Dadaab.

    "Ich fühle mich hier nicht wohl, weil es im Moment sehr unsicher ist. Das liegt daran, dass Fundamentalisten das Lager infiltriert haben."

    Shabaab-Mitglieder, heißt es immer wieder, sollen in den Lagern ungehindert ein- und ausgehen. Sie schüchtern die Flüchtlinge ein, stehlen, was sie haben wollen, strafen ihre Widersacher.

    "Ich erinnere mich noch an eine Sache, die ist einen Monat her. Sie haben einem Mann die Hand abgehackt, um sein Handy zu stehlen. Am nächsten Morgen lag die Hand auf der Lagerstraße. Und einer Frau, die ich gut kenne, haben sie ins Bein geschossen."

    Polizisten, die im Lager patroullieren, werden ihrerseits Opfer von Attentaten. Sie konnten in der Vergangenheit nicht verhindern, dass internationale Helfer entführt und deren kenianische Kollegen getötet wurden. Der Niederländer Johan van der Kamp leitet das Projektbüro der Deutschen Welthungerhilfe in Kenia. Die Organisation betreut auch Projekte in Dadaab.

    "In einer solchen Situation ist es unmöglich, unser Personal außerhalb von die Camps, die wir selber haben - wir leben selber da auch in einem Camp mit unserem Projektpersonal - und sich außerhalb von so einem Camp zu bewegen, ist lebensgefährlich."

    Die Welthungerhilfe und die meisten anderen Organisationen schicken deshalb nicht mehr ihre eigenen Mitarbeiter in die Flüchtlingslager, sondern arbeiten mit Vertretern der Flüchtlinge zusammen. Oder sie beschäftigen kurzfristig Kenianer aus den umliegenden Dörfern. Denn die sind ebenfalls ethnische Somalier, sprechen dieselbe Sprache wie die Flüchtlinge, sind aber für mögliche Attentäter nicht auf den ersten Blick als Kenianer zu erkennen. Die Helfer erklären ihnen, welche Aktivitäten geplant sind und schicken sie dann hinein in die Flüchtlingslager.

    "Das ist aber eine Stufe wo wir sagen: Auf lange Frist ist das fast unmöglich, das aufrecht zu halten. Weil wir müssen selber auch mit unserem eigenen Personal kontrollieren können, ob die Hilfemaßnahmen auch ankommen. Ob tatsächlich da verteilt wird, an wen es gedacht ist. Und in dem Moment, wo wir das für längere Zeit nicht mehr machen können, die Kontrolle nicht mehr ausüben können, das ist für uns eine Situation, die total eigentlich unakzeptabel ist. Das kann man akzeptieren für kurze Zeit, für eine Woche, zwei Wochen, aber wenn es um Monate geht, dann ist es eine Situation, wo wir sagen, auch hier sind wir an Grenzen gestoßen, wo wir als Hilfsorganisation nicht mehr das Gefühl haben, tatsächlich Hilfe leisten zu können."

    Die meisten Organisationen haben ihre Hilfsmaßnahmen auf das absolute Minimum reduziert, die Flüchtlinge werden in den drei völlig überfüllten Lagern nur noch mit dem Nötigsten versorgt. Ein Pulverfass, das jederzeit hochgehen kann.