Donnerstag, 28. März 2024

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Islamophobie
Polemik um das Kopftuch

Die Laizität und das islamische Kopftuch sind in den französischen Medien ein Dauerthema. Rechtspopulisten nutzen den Schleier, um vor einer Islamisierung der Gesellschaft zu warnen. Für junge Musliminnen ist er nicht nur Ausdruck der Glaubensfreiheit, sondern Symbol des laizistischen Prinzips.

Von Birgit Kaspar | 26.03.2020
Menschen versammelten sich gegen Islamophobie auf dem Hauptplatz von Toulouse, der Capitole. Ein Mann zeigt eine Zeitung mit dem französischen Motto "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit".
In Frankreich wird schon lange über das Kopftuch diskutiert - im Herbst 2019 wurde es wieder zum politischen Symbol. (picture-alliance / NurPhoto / Alain Pitton)
"Der Schleier ist in unserer Gesellschaft nicht wünschenswert. Man sollte sein Tragen nicht ermutigen, obwohl er nicht verboten ist. Was er über die Stellung der Frau aussagt, ist nicht mit unseren Werten vereinbar", sagt Bildungsminster Jean-Michel Blanqueur.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Laizität in Frankreich - Verschleierte Debatte".
Marine Le Pen, Parteichefin des Rassemblement National, stimmt dem zu. Für sie ist der Schleier nicht nur Zeichen der Unterwerfung, sondern auch Gradmesser der Radikalität. Und damit Signal einer islamischen Bedrohung: "Das alles zeigt, dass unsere Laizität in Gefahr ist. Die Laizität ist nicht nur eine Pflicht, sie ist ein Wert, um den wir jeden Tag kämpfen müssen."
Zeymmour: Entweder Islam oder Frankreich
Der für seine rassistischen und antiislamischen Äußerungen bekannte Journalist Eric Zeymmour ist häufiger Talkshowgast. Er warnt vor der Vertreibung der Franzosen durch die Muslime. Deshalb will er die Muslime vor die Wahl stellen: Entweder der Islam oder Frankreich.
In den französischen Medien sind die Kopftuchdebatte und der Islam ein Dauerthema. Für die Jurastudentin Bouchra führt die Häufung solcher oder ähnlicher Stellungnahmen dazu, dass bei ihr zu Hause Radio und Fernseher meist ausbleiben.
"Wenn wir muslimische Frauen fernsehen dann fühlen wir uns entmenschlicht, wir haben kein Rederecht, man nimmt uns die Sprache, alles, was uns ausmacht. Sie behaupten in unserem Namen, dass das Kopftuch für politische Forderungen steht, dass wir gegen die Republik sind: Wir werden einfach zum Objekt einer Debatte." Wenn sie dann abschalte und rausgehe, stelle sie fest, dass das wirkliche Leben anders aussehe.
Zeichen der Unterwerfung gegenüber Gott
Ein Brunnen plätschert in einer kleinen Grünfläche auf dem Campus der Universität Toulouse Capitole - ein Ort zum Durchatmen inmitten einer trostlosen Betonlandschaft. Bouchra gönnt sich eine Pause während ihrer Examensvorbereitungen. Die 21-Jährige trägt ein altrosa Kopftuch, das ihr Gesicht vollständig einrahmt, einen dunklen Mantel über einer langen Bluse und einer engen Hose.
"Einerseits werfen viele dem Kopftuch vor, uns Frauen zu verbergen, uns unserer Urteilsfähigkeit zu berauben. Aber gerade indem man uns diese Etikette anklebt, findet - in den Augen der Gesellschaft - erst diese Amputation statt: Der Fähigkeit zu denken, zu entscheiden oder ganz wir selbst zu sein, wird uns genommen. Einfach ein Wesen mit einem intakten Verstand zu sein."
Die junge Muslimin marokkanischer Herkunft trägt erst seit einem knappen Jahr ein Kopftuch. Früher habe sie sich das nie vorstellen können, sagt sie lächelnd. "Ich bin einen langen spirituellen Weg gegangen, habe religiöse Texte studiert bis mir klar wurde, dass ich das Kopftuch wollte. Es war eine bewusste Entscheidung. Für mich ist es ein Zeichen der Unterwerfung gegenüber meinem Gott. Genau wie das tägliche Beten oder das Fasten."
In Toulouse ist das Kopftuch vielen gleichgültig
Das Kopftuch entspreche aber auch ihrem persönlichen Bedürfnis nach Kontrolle über ihren Körper. Es beginnt zu regnen. Bouchra sucht Schutz in der warmen Uni. Am Eingang stehen zwei Sicherheitsleute. Sie halten ein Schwätzchen. Bouchra setzt sich auf eine Holzbank an der hellen Fensterfront. Ihr nächster Kurs beginnt erst in einer Stunde. Keiner stört sich an ihrem Kopftuch, obwohl nur wenige Studentinnen ihr Haar verhüllen.
"Hier in Toulouse sind die Leute gleichgültig. Das Leben ist sehr hektisch, niemand hat Zeit, den anderen genau anzusehen. An manchen Orten habe ich schon den Eindruck, man sieht mich ein wenig kritisch an. Aber überwiegend hat sich nichts verändert durch das Kopftuch."
Abwertende Blicke in Nîmes
Anders ist es, wenn sie zu ihrer Familie nach Nîmes fährt. In der 150.000 Einwohnerstadt in der Nähe des Mittelmeers wird die Partei Marine Le Pens zunehmend stärker. Das spürt auch Bouchra.
"Einmal gab es einen Zwischenfall mit einer sehr alten Person. Es war in einem Bus und die Person sagte mir sehr laut, wir seien hier schließlich in Frankreich – als ob ich nicht wüsste, wo ich war! Die Botschaft dahinter bezog sich natürlich auf mein Kopftuch. Ich musste beinahe lachen, denn ich weiß, dass ich das Recht habe, ein Kopftuch zu tragen. Also habe ich mich nicht darum gekümmert." Ansonsten sind es häufig abwertende Blicke oder Gesten, die ihr in Nîmes begegnen.
Viele Musliminnen fühlen sich ausgegrenzt
Über einen großen Bildschirm auf der Wand gegenüber flimmert ein Film mit Anweisungen, wie man sich am besten vor dem Coronavirus schützt. Zwei Studentinnen in Minirock und schwarzen Seidenstrümpfen gehen lachend an Bouchra vorbei. Die selbstbewusste Studentin fühlt sich nicht ausgegrenzt. Aber sie weiß, dass es einigen Musliminnen anders geht, und das regt sie auf.
"Es hat etwas geradezu Perverses, dass unter dem Deckmantel der Verteidigung republikanischer Werte ein Klima der Ausgrenzung und des Unbehagens geschaffen wird."
Laizität heißt auch Toleranz und Respekt
Doch die Entscheidung, wo sie in Zukunft leben und arbeiten möchte, werde das nicht beeinflussen. Denn mit ihren Freunden ganz unterschiedlicher Konfessionen erfahre sie täglich Toleranz und Respekt – ganz im Sinne des Prinzips der Laizität.
"Wenn ich in Frankreich bleiben möchte, dann werde ich das tun, egal wie das gesellschaftliche Klima ist. Ich fühle mich hier zu Hause. Vielleicht muss ich mich mehr anstrengen, als eine Frau, die kein Kopftuch trägt oder die einen Allerweltsnamen hat. Aber dann ist es eben so."