Montag, 01. April 2024

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Islamwissenschaftler zum westlichen Modell
"Man sollte die Aufklärung als Prozess verstehen"

Der Islamwissenschaftler Stefan Weidner fordert ein kosmopolitisches Denken, das den Glauben an kulturelle Überlegenheit hinter sich lässt. Weltanschauliche Modelle könne man nicht einfach universell durchsetzen, sagte er im Dlf. Man müsse sie im Dialog entwickeln - und für entsprechende Bedingungen sorgen.

Stefan Weidner im Gespräch mit Michael Köhler | 11.11.2018
    Buchcover: Stefan Weidner: "Jenseits des Westens. Für ein neues kosmopolitisches Denken"
    Stefan Weidner: "Jenseits des Westens. Für ein neues kosmopolitisches Denken" (Buchcover: Hanser Verlag, Foto: picture/alliance dpa Patrick Pleul)
    Der Islamwissenschaftler Stefan Weidner ist Autor des Buches: "Jenseits des Westens. Für ein neues kosmopolitisches Denken." Sein Leitgedanke sei die Suche gewesen nach "politischen, moralischen, wirtschaftlichen Lösungen in einer Zeit, in der man das Gefühl hat, dass die Modelle, die unsere Geschichte bis jetzt bestimmt haben, nicht mehr genügen und zu einer großen Unzufriedenheit, zu großen Problemen geführt haben", sagte er im Dlf.
    Die Globalisierung habe zwei Seiten: eine verheerende, eine entwurzelnde, eine katastrophenaffine oder katastrophenbewirkende, aber sie habe definitiv auch eine verbindene, eine vertrautmachende Seite, die Neugier und Spannung wecke, die interessant sei. Doch diese Öffnung der Welt, "dieses brutale Aufreißen von Welt" habe auch den Wunsch mit sich gebracht, sich dagegen zu wehren, sich zu verschließen. Man könne also nicht nur die positive Seite der Globalisierung vorantreiben, sondern müsse Kompromisse finden, sagte er im Dlf.
    Aufklärung als Prozess ohne anwendbare Ergebnisse
    Stefan Weidner wolle nicht die Aufklärung oder die Moderne zurückdrehen. Vielmehr gehe es ihm darum, Aufklärung als Prozess zu verstehen - ohne fertige Ergebnisse, die man unbesehen anwenden könne. Man müsse die gegenwärtigen Entwicklungen laufend durchdenken, eine fortwährende Selbstkritik und Infragestellung, ein Austesten der Vernunft und der Denkmöglichkeiten sei gefordert: "Das ist für mich Aufklärung und ich glaube, das ist auch der ursprüngliche Gedanke der Aufklärung."
    Stefan Weidner
    Stefan Weidner (Deutschlandradio / Manfred Hilling)
    Universalismus lehnt der Islamwissenschaftler ab. Er bedeute, eine gegebene Weltanschauung auf die ganze Welt ausdehnen zu wollen - doch wer das versuche, müsse zwangsläufig die Rechtssysteme, die Weltvorstellungen, die Weltanschauungen anderer Menschen mehr oder weniger kurzfristig beseitigen. "Und damit reißen Sie die Menschen aus ihrem Lebenszusammenhang. Und damit entrechten Sie sie meiner Ansicht nach und tun ihnen unrecht."
    Demokratie nicht einfach von außen zu implementieren
    Natürlich gebe es Unrecht, das man universell beseitigen müsse. Doch dazu brauche man einen Dialog, Verständigungsprozesse und internationale Kommunikation. So sei bis vor kurzem das Thema sexuelle Belästigung keine weltweite Bewegung gewesen - doch mittlerweile habe sie sogar nach Indien übergegriffen.
    Auch wenn vermutlich die meisten Menschen sich einen Rechtsstaat und Demokratie wünschten, könne man diese nicht einfach von außen implementieren. Vielmehr erfordere das spezifische Bedingung - und der Westen tue nichts dafür, diese Bedingungen herzustellen. Es werde sehr viel gefordert, aber sehr wenig Praktisches getan - vor allem, wenn es den eigenen ökonomischen und politischen hegemonialen Interessen widerspreche. "Ich glaube, die Ökonomie ist da entscheidend, aber auch sozio-kulturelle Umstände wie Bildung und ich sehe nicht, dass der Westen wirklich entscheidende Schritte dafür tut, um andere Länder da zu sich aufholen zu lassen. Und ohne wirtschaftliche Grundbedingungen wird das nicht gehen."