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"Israel besetzt nicht einen Zentimeter von Gaza"

Israels Ministerpräsident Ehud Olmert hat seinen Willen zu einer Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern bekräftigt. Er glaube, dass man noch in diesem Jahr eine grundsätzliche Verständigung erzielen werde. Olmert unterstrich, er sei diesbzüglich zwar zu Zugeständnissen bereit, nicht aber zu einem Ausverkauf israelischer Intersessen. Eine Verantwortung seines Landes für die Lebensbedingungen im Gazastreifen wies er zurück.

Moderation: Christoph Heinemann | 14.05.2008
    Heinemann:60 Jahre Israel. Am 14. Mai 1948 wurde der jüdische Staat vom späteren Regierungschef David Ben Gurion ausgerufen. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten bereits in der vergangenen Woche. Heute wird der amerikanische Präsident seine Aufwartung machen. Zum Ende seiner Amtszeit will George Bush dem stockenden Nahost-Friedensprozess persönlich neuen Schwung verleihen. In Israel trifft er auf einen Gesprächspartner, der innenpolitisch schwer angeschlagen ist. Ministerpräsident Ehud Olmert steckt tief in einer Korruptionsaffäre - Rücktritt nicht ausgeschlossen. Mein Kollege Christoph Heinemann hatte zusammen mit Kollegen des französischen Rundfunks die Gelegenheit, in Jerusalem mit dem israelischen Ministerpräsidenten zu sprechen.

    Herr Ministerpräsident, wir möchten gern mit den jüngsten Meldungen beginnen, die Sie betreffen. Werden Sie demnächst zurücktreten müssen?

    Olmert: Ich hoffe nicht! In den gegenwärtigen Zeiten haben Ministerpräsidenten in den demokratischen westlichen Ländern mit Untersuchungen und Anschuldigungen zu tun, welche die Finanzierung von Wahlkämpfen betreffen. Das ist unangenehm, aber ich glaube, wenn alle Fakten richtig aufgelistet sein werden, wird das Bild ein vollständig anderes sein. Ich bin im Amt, und ich werde das auch weiterhin sein.

    Heinemann: Sind Sie in Ihrem Gespräch mit dem ägyptischen Geheimdienstminister General Suleiman einem Waffenstillstandsabkommen mit der Hamas näher gekommen?

    Olmert: Israel sagt immer wieder, wenn es von Gaza aus keinen Terror mehr gibt, werden wir nicht mehr darauf antworten. Es liegt an ihnen. Israel besetzt nicht einen Zentimeter von Gaza. Wir haben uns 2005 vollständig zurückgezogen. Es gibt für die Palästinenser keinen Grund, unschuldige Israelis tagtäglich mit Raketen zu beschießen oder Selbstmordangriffe und alle die anderen Arten der Gewalt anzuwenden.
    General Suleiman ist kein Verhandlungsführer zwischen uns und den Palästinensern. Er sorgt sich um die ägyptischen Interessen, weil er befürchtet, dass, wenn die Sicherheitsanlagen im Süden von Gaza überrannt werden, dies für die Ägypter zumindest mit Schwierigkeiten, wenn nicht mit Schlimmerem verbunden wäre. Das möchte er verhindern.

    Heinemann: Herr Ministerpräsident, wenn Sie sich die Lebensbedingungen in Gaza anschauen, gibt es einen besseren Nährboden für künftige Terroristen?

    Olmert: Wieso sollte ich für die Lebensbedingungen in Gaza verantwortlich sein? Für Gaza bin ich nicht zuständig, das ist kein Teil von Israel. Wir sind bereit, die Lieferung von Waren und humanitärer Hilfe jederzeit zu gestatten.

    Sie kommen aus Deutschland. Könnten Sie sich vorstellen, dass Dortmund an jedem Tag der letzten sieben Jahre mit Raketen angegriffen worden wäre, ohne dass Sie etwas gegen diejenigen unternommen hätten, welche die Raketen abfeuern? Die schwierigen Lebensumstände sind nicht gut, aber sie töten nicht. Raketen töten. Wir müssen verstehen, welche Wirkung erzielt würde, wenn wir mit Terroristen verhandelten, die, wie sie selbst sagen - das sind nicht meine Worte - absolut entschlossen sind, die Zivilisation zu zerstören, welche die Grundlage unseres und Ihres Lebens und des Lebens unserer Länder bilden.

    Heinemann: Rechnen Sie noch vor dem Ende der Regierungszeit von Präsident Bush damit, einen Vertrag mit den Palästinensern zu unterschreiben?

    Olmert: Als wir den Annapolis-Prozess begannen, sagte Präsident Bush: Wir wollen versuchen, eine Verständigung zu erzielen, welche die Grundlage für die Verwirklichung der Zwei-Staaten-Lösung bildet, die der Vision des Präsidenten entspricht. Und das innerhalb des zeitlichen Rahmens 2008. Das heißt nicht, dass die einzelnen Punkte dieser Verständigung bald darauf verwirklicht würden. Denn dies hat mit der Implementierung der "road map" zu tun, Und die "road map" wird mehr Zeit in Anspruch nehmen, wegen des Terrors in Gaza, wegen der Schwäche der palästinensischen Behörden, der Unsicherheit, des Mangels an Regierungsinstitutionen und einer Verwaltung. Zunächst sollen Einzelheiten einer Lösung für die beiden Staaten umrissen werden: Wo befinden sich die Grenzen, wie werden die Beziehungen gestaltet, wie lauten die Absprachen über Sicherheit, wie wird das Flüchtlingsproblem gelöst?

    Wir wollen erst ein Einvernehmen darüber erzielen und dann auf der Grundlage der "road map" die folgenden Schritte gehen, bis wir die letzte Phase der Implementierung erreicht haben. Das ist das Konzept. Den Teil einer grundsätzlichen Verständigung, der genau erklärt und definiert werden muss, hoffen wir noch innerhalb des Jahres 2008 zu erzielen. Wenn Sie mich fragen, ob das im Jahr 2008 erreicht werden kann, lautet die Antwort: Ja!

    Heinemann: Sie werden in vielen Punkten nachgeben müssen.

    Olmert: Ich werde Konzessionen machen und Abu Mazen ebenfalls. Ich bin zu Zugeständnissen bereit, aber nicht zu einem Ausverkauf.

    Heinemann: Mit wem wollen Sie einen Friedensvertrag unterschreiben? Es gibt die Palästinenser in Ramallah und in Gaza.

    Olmert: Nein, das haben Sie vollständig falsch verstanden. Nur eine Person wurde demokratisch von allen Palästinensern gewählt: Ihr Name ist Dr. Mahmud Abbas, also Abu Mazen. Er ist der einzige, der das palästinensische Volk formal und offiziell vertritt. Und er ist weltweit als solcher anerkannt.

    Heinemann: Beunruhigen Sie die Ereignisse im Libanon?

    Olmert: Wir verfolgen die Ereignisse im Libanon mit beträchtlichem Interesse.

    Heinemann: Gibt es mit Syrien Verhandlungen auf Kosten des Libanon?

    Olmert: Wir wollen mit Syrien verhandeln. Wenn diese Verhandlungen stattfinden werden, dann glauben Sie mir: Wir werden versuchen, die Einzelheiten dieser Verhandlungen nicht offenzulegen, sondern darüber Stillschweigen vereinbaren, um das ganze effektiver zu machen.

    Heinemann: Iran gilt heute als die größte Bedrohung Israels. Wo verläuft für Sie die rote Linie? Ab wann wird Israel reagieren?

    Olmert: Ich habe klar gesagt und kann wiederholen, was die wichtigen politisch Verantwortlichen dieser Welt seit einiger Zeit sagen: Wir können es nicht zulassen, dass Iran eine Atommacht wird. Das ist für uns die rote Linie. Israel kann es nicht hinnehmen, dass Feinde, die wiederholt erklärt haben, sie wollten Israel aus der Weltkarte radieren, über nicht-konventionelle Waffen verfügen. Ziel ist es, Iran daran zu hindern, in den Besitz nicht-konventioneller Waffen zu gelangen. Das hat Vorrang und das liegt in der Verantwortung der westlichen Staaten: Vereinigte Staaten, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, aber auch Russen, Japaner und Chinesen, aller großen Mächte dieser Welt. Ich glaube, dass sie die Gefahren erkannt haben. Und ich hoffe, dass sie das Erforderliche unternehmen werden, um das zu unterbinden.

    Heinemann: Herr Ministerpräsident, hier in Ihrem Büro gibt es zwei Fotos, die mit Deutschland zu tun haben: Eines von Ihrer Frau, die in Deutschland geboren wurde, das andere zeigt das Tor, durch welches die Züge in das Konzentrationslager Auschwitz rollten. Was geht Ihnen als erstes durch den Kopf, wenn Sie an Deutschland denken?

    Olmert: Für mich als israelischen Regierungschef, der in Israel geboren wurde, die Geschichte seines Volkes kennt und für diese Geschichte Sorge trägt, wird der Holocaust immer Teil meines Bewusstseins bleiben, und dieses während meines ganzen Lebens schmerzhaft durchdringen. Das war das Schlimmste, was jemals in einer Gesellschaft geschehen ist. Mir geht es nicht um Zahlen. Ich weiß nicht, wie viele weitere Opfer es in anderen Ländern in anderen Kriegen gegeben hat. Ich rede von dem Plan, ein Volk vollständig auszulöschen.

    Dieses Foto habe ich von dem Kommandeur der israelischen Luftwaffen bekommen. Sie können über Auschwitz drei israelische Kampfflugzeuge erkennen. Die Botschaft lautet: Wären die in den 40er Jahren dort gewesen, hätte es kein Auschwitz gegeben.

    Das andere Foto von meiner wunderbaren Frau Aliza ist ein Beweis dafür, wie man aus der Tiefe der Verzweiflung, des Schmerzes und des Elends aufsteigen kann und ein sinnvolles und schönes Leben führen kann, wie sie das tut. Und ich bin sehr stolz auf sie.

    Heinlein: Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert heute Morgen im Deutschlandfunk. Mein Kollege Christoph Heinemann hat das Gespräch vor dieser Sendung in Jerusalem aufgezeichnet.