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Israel
Tanzen als politisches Statement

Tanzen hat in Israel nicht nur einen ästhetischen, sondern oft auch einen politischen Anspruch. Die ganze Vielfalt der israelischen Tanz-Szene - vom Modern Dance bis zur Folklore - war jetzt wieder auf zwei Festivals zu erleben. Selbsterforschung ist dabei oft ein Motiv der Inszenierungen.

Von Christian Gampert | 08.12.2015
    Israelische Tanz-Ensembles sind international bekannt. Hier die Gruppe Batsheva bei einem Auftritt in Prag.
    Israelische Tanz-Ensembles sind international bekannt. Hier die Gruppe Batsheva bei einem Auftritt in Prag. (imago/CTK Photo)
    Alle Welt redet von den Messerattacken in Jerusalem – was macht die "Dance Exposure"? Das Festival fährt mit 150 Gästen abends auf einen Jerusalemer Markt und lässt dort und in den angrenzenden Cafés mehrere Tänzer auftreten. Keine hundert Meter weiter wurden kürzlich Passanten niedergestochen. Aber das ist die israelische Art, damit umzugehen: offensiv.
    Tanzperformances im öffentlichen Raum, im religiösen (und im Moment ziemlich kalten) Jerusalem: Das ist ein politisches Statement – auch wenn die Darbietungen selber dann eher schräg waren. Buntbemalte Halbnackte wanden sich auf dem Markt, schwarze Gestalten lagen im Trockeneisnebel. Aber niemand erwartete hier ausgefeilte Choreografien. Die Youngsters, die hier auftraten, wollten einfach nur sagen: schaut, so verrückt ist Israel. In einigen Jahren werden manche von ihnen in den Big Companies tanzen, Batsheva, Kibbutz, Vertigo, oder in Tel Aviv eigene Projekte machen. Die israelische Tanzszene ist unglaublich breit aufgestellt – von den urbanen Beziehungskisten, die in den alten Schuppen im Hafen von Jaffa getanzt werden, bis zum streng ökologisch ausgerichteten ländlichen Kommune-Projekt der Vertigo Dance Company im Elah-Tal, wo angeblich einst David gegen Goliath kämpfte.
    Das Festival begann diesmal in der Oper von Tel Aviv, weil auch das klassische Ballett vorkommen sollte; es führte über die Alternativ-Spielstätte "Tmuna" und Jaffa ins Zentrum des israelischen Tanzes, das Suzanne-Dellal-Center im alten, nun aufstrebenden Tel Aviver Stadtteil Neve Zedek. Neben der staunenswerten Technik und manchmal brutalistischen Körperlichkeit, die den israelischen Modern-Dance auszeichnet, sind hier untergründige Entwicklungen und Nischen der israelischen Gesellschaft zu beobachten. Die einstmals avantgardistische Yasmeen Godder hat sich nun ganz auf Selbsterkundungstanz spezialisiert, stundenlange Betroffenheits-Installationen, die seltsam therapeutisch anmuten. Ethnische Communities – Israel ist wirklich multikulti – zeigen ihre Folkloretänze. Junge Choreografen erkunden schwule Selbstfindungsprozesse. Die renommierte Batsheva Dance Company trat mit einer Choreografie auf, deren erster Teil an Tanzverweigerung grenzte, an Esoterik und Mönchtum, um sich dann immer mehr in Gefängnis-Situationen und hysterisches Kriegsgebaren hineinzusteigern. Da sieht man dann, dass der letzte Gaza-Krieg Spuren hinterlassen hat.
    Wir würden am liebsten abhauen - nach Berlin
    Zu den schönsten Erfahrungen des Festivals gehörte eine Choreografie von Noa Shadur, die mit formalistischer Strenge die Notationen der israelischen Tanzpionierin Noa Eshkol nachzeichnete; daraus wurde dann ganz nebenbei auch eine sehr heutige Darstellung selbstbewusster junger Frauen. Diese Demonstration von Stärke ist die eine Seite der israelischen Gesellschaft; die andere, dunklere zeigten Yossi Berg und Oded Graf, die ironisch die verklärenden Selbsteinschätzungen der Israelis auseinandernahmen. Leider war das manchmal zu didaktisch; immerhin aber wurde hier zugegeben, dass manch einer am liebsten mal abhauen würde... und viele tun das ja auch – nach Berlin.
    Das Abhauen ist die Sache von Barak Marshall nicht. Der Leiter der "Inbal Dance Theatre Company" untersucht in seinem neuen Stück die Zeit um 1972, als verarmte orientalische Juden gegen die politische Übermacht europäischer Juden in Israel aufbegehrten. Daraus entwickelte sich eine wilde Jugendkultur in den Nachtbars und Tanzclubs, die Marshall nun auf die Bühne bringt, mit arabisch grundierter Musik und Retro-Kostümen der 70iger. Auch hier ist Selbsterforschung das Hauptmotiv der Inszenierung. Die Möglichkeit der Verständigung mit den anderen, den Palästinensern aber scheint im Moment verbaut. Und obwohl dieses Festival eindrücklich die Vielfalt des israelischen Tanzes demonstrierte, seinen hohen ästhetischen und auch politischen Anspruch, zeigte sich: manche Tänzer sind nicht mehr da. Sie leben, auch wegen der billigeren Mieten, in Berlin. Ob das auf Dauer für Israel neue Impulse bringt oder nicht doch zum Problem wird – das ist die große Frage.