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Israelische Armee
Autisten als Spezialisten

Jeder in Israel muss in die Armee, die Wehrpflicht gilt für alle. Autisten galten lange Zeit als krank und waren ausgeschlossen. Seit fünf Jahren können sie sich nun bewähren. Und Autisten bringen wertvolle Fähigkeiten für die Armee mit.

Von Mike Lingenfelser | 08.07.2018
    Soldaten in der israelischen Armeezentrale in Tel Aviv.
    Soldaten in der israelischen Armeezentrale in Tel Aviv. (Mike Lingenfelser/Deutschlandfunk)
    In das Gebäude der Armeezentrale in Tel Aviv kommen Außenstehende nur selten rein. Der Militärgeheimdienst. Eine Spezialeinheit wertet an Monitoren Satellitenbilder aus: Feindliche Truppenbewegungen, Waffendepots.
    Das Besondere: Die jungen Soldaten in diesem Raum haben die Diagnose Autismus.
    Autisten lange ausgeschlossen – auch gesellschaftlich
    Daniel macht gerade den Vorbereitungskurs für diese Einheit. Sein Handicap steht ihm vor allem bei der Kommunikation im Weg. Es fällt ihm schwer, die Gefühle anderer Menschen zu verstehen. Er sieht die Welt mit anderen Augen.
    Hier bei der Luftaufklärung kann er eine überragende Fähigkeit einbringen: sein enormes fotografisches Gedächtnis, kombiniert mit Detailversessenheit.
    "Wir suchen in Satellitenaufnahmen von einem fraglichen Ort zum Beispiel nach Veränderungen zwischen gestern und heute."
    Wenn er die Probezeit übersteht, wird Daniel schon bald zum Soldaten vereidigt. Für ihn ein Lebenstraum. Denn in Israel ebnet die mehrjährige Wehrpflicht für Männer und Frauen oft den Weg in die Gesellschaft. Lange waren Menschen wie Daniel von der Armee ausgeschlossen. Bis vor fünf Jahren das Programm für Autisten startete.
    Erst kürzlich hat eine Einheit von ihnen wieder einen Spezialauftrag durchgeführt. Kommandeurin Neta verrät, dass sie mithilfe von Satellitenaufnahmen jenseits der israelischen Grenzen empfindliche Ziele der Zivilbevölkerung ausfindig gemacht haben, bevor Kampfjets zuschlagen können. Also zum Beispiel in Syrien.
    "Sie haben eine Region im Feindgebiet unter die Lupe genommen, um dort Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser zu orten. Ziele, die wir als Armee nicht angreifen. Für das Militär war es unerlässlich, die Gegend ganz genau zu kennen, bevor man dort aktiv wird."
    Doch bis sie mit der Diagnose Autismus hochsensible Geheimdienstaufgaben in der Armee übernehmen können, müssen sie hart an sich arbeiten. Die psychischen Herausforderungen sind der Knackpunkt. Denn viele von ihnen waren bisher soziale Außenseiter, die sich jetzt in ein Team einfügen müssen.
    Nicht alle halten dem Druck stand
    Tal Wardi, der Leiter des Programm, hat nach langer Tätigkeit in Israels Sicherheitsapparat erkannt, dass es im Armeegeheimdienst Aufgaben gibt, für die sich Menschen im Autismus-Spektrum eignen. Doch längst nicht alle sind dem Druck gewachsen.
    "Einige im autistischen Spektrum sehen die Welt nur schwarz oder weiß. Einer war so weit, dass er dachte, wenn er nur einen Fehler macht, muss dafür ein Soldat mit seinem Leben bezahlen. Er konnte nicht ganzheitlich sehen, dass zwischen seinen Fotoanalysen und späteren Militäreinsätzen noch einige Zwischenschritte sind und verfiel in Ängste. Zusammen entschieden wir, dass er nicht geeignet ist."
    Die Armee stellt den autistischen Soldaten daher Psychotherapeuten an die Seite. Auch für Daniel ist die Armee eine große Herausforderung. Gleichzeitig hat das Programm ihm erst ermöglicht, sich professionell mit seinem Anderssein auseinanderzusetzen.
    Keine Wohltätigkeitsaktion für Autisten
    Was an ihm oft als verschroben galt, wird in der Armee nun wertgeschätzt: Dort braucht man Leute, die tagelang mit Satellitenbildern von Städten beschäftigen können.
    Die Macher des Programms betonen, dass es keine Wohltätigkeitsaktion ist. Trotz hohem Aufwand zahle es sich für die Armee aus, weil autistische Soldaten besonders akribisch und hoch motiviert seien, so Kommandeurin Neta.
    "Ich hoffe wirklich, dass sie wenigstens halb so viel von mir gelernt haben wie ich von ihnen."
    Dann kommen der Kommandeurin ein paar Tränen der Rührung. Weil die intensive Zusammenarbeit mit den außergewöhnlichen Rekruten auch ihr Leben verändert hat.
    Ihr Schützling Daniel hat mittlerweile die schwierige Probezeit bestanden. Für ihn vielleicht der einschneidenste Moment in seinem bisherigen Leben. Er ist endlich angekommen. Auch wenn er weiß, dass für die meisten nach gut drei Jahren Schluss ist - und es im Regelarbeitsmarkt noch immer kaum Jobs für Menschen wie ihn gibt.