Dienstag, 19. März 2024

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Israelischer Armeesprecher zu Angriffen auf Gazastreifen
Der Terror-Infrastruktur "sehr großen Schaden zugefügt"

"Wir wollen keine zivilen Opfer", sagte Arye Sharuz-Shalicar, ein Sprecher der israelischen Armee, im Dlf. Ziel der Streitkräfte sei es, die Infrastruktur von Hamas und Islamischer Dschihad zu zerschlagen. 70 bis 80 Prozent der Opfer im Gazastreifen stünden in Verbindung mit Terrorismus.

Arye Sharuz-Shalicar im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.05.2021
Nach einem israelischen Luftangriff auf den Gazastreifen sind Feuer und Rauch über Gebäuden zu sehen
Nach einem israelischen Luftangriff auf den Gazastreifen sind Feuer und Rauch über Gebäuden zu sehen (imago / Majdi Fathi)
Noch nie zuvor sei der Beschuss so heftig gewesen in einem Konflikt mit der islamistischen Hamas, erklärte das israelische Militär. Mehr als 3.100 Raketen seien auf Israel abgefeuert worden. Ähnliches sagt die palästinensische Seite über den israelischen Beschuss auf Ziele im Gazastreifen: Es seien die bisher schwersten Luftangriffe in dem dicht besiedelten Küstengebiet. Mehr als 200 Menschen kamen bisher ums Leben. In Israel wurden Rettungskräften zufolge zehn Menschen getötet, unter ihnen auch Kinder, im Gazastreifen sprechen die Gesundheitsbehörden von ungefähr 200 Toten, darunter fast 60 Minderjährige.
Eskalation in Jerusalem - Die Hintergründe der Gewalt
Israel und der Gazastreifen sind Schauplatz der schwersten Zusammenstöße seit Jahren. Aktuelle Auslöser waren angedrohte Zwangsräumungen palästinensischer Familien und auch jüdische Feierlichkeiten am Tempelberg. Aber auch Jahrzehnte zurückliegende Ereignisse spielen eine zentrale Rolle.
Die Hamas und der Islamische Dschihad seien Terrororganisationen, die alles in Raketenproduktion, Raketenabschussrampen und Raketenentwicklung investierten statt in das Wohl ihrer Bevölkerung, sagte Arye Sharuz-Shalicar, ein Sprecher der israelischen Armee, im Dlf. Israel versuche, zivile Opfer zu vermeiden. So würden vor Angriffen auf Häuser, die auch für Terror benutzt würden, Familien, die dort wohnen, gewarnt, um sich in Sicherheit bringen zu können. Israel nehme dabei auch in Kauf, dass Terroristen sich retten könnten. Der Terror gehe nicht nur von 30- oder 40-Jährigen, sondern auch von Heranwachsenden aus, sagte Sharuz-Shalicar mit Bezug darauf, dass auch etliche Jugendliche unter den Opfern der israelischen Angriffe seien.
Das seien alles Informationen, die die Medien so nicht überprüfen könnten, auch weil Israel Journalisten weiter nicht in den Gazastreifen lasse, sagte dazu Nahost-Korrespondent Tim Aßmann aus Tel Aviv . Auch die Informationen darüber, dass Hamas und Islamischer Dschihad aus der Nähe von Schulen, Moscheen oder Krankenhäusern schießen, seien für Außenstehende nicht überprüfbar. Die Arbeit von Journalisten sei sowieso schwieriger geworden, weil Israel das Hochhaus zerstört habe, in dem auch die Nachrichtenagentur AP und Al Dschasira gearbeitet hätten. Noch habe die israelische Armee für ihre Angriffe die politische Rückendeckung, sagte Aßmann. Das könne sich aber durch Druck aus dem Ausland verändern. Die Forderung nach einer Waffenruhe sei jetzt auch aus den USA gekommen.
Kommentar: Wir brauchen Differenzierung, Kontext und Empathie
Die Gewalt im Nahen Osten geht ohne Unterbrechung weiter. In einem Konflikt, der seit über 100 Jahren währt, gebe es keine einfachen Wahrheiten, kommentiert Benjamin Hammer. Wenn Außenstehende in diesen Tagen also irgendetwas tun könnten, dann sei es, genau das zu akzeptieren.

Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Ihr Premier Netanjahu hat davon gesprochen, dass die Kämpfe jetzt noch weitergehen werden, solange wie nötig. Was ist die Zielmarke? Was wollen Sie erreichen?
Ayre Sharuz-Shalicar: Mittlerweile und nach zirka acht Tagen Konflikt – Krieg kann man es tatsächlich nennen – sind über 3300 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert worden. Das ist eine enorme Zahl. Wenn man das vergleicht mit dem 2014er-Konflikt, dann kommen wir schon fast an die Zahlen heran, die 2014 innerhalb von 51 Tagen geschossen wurden. Das heißt, die Hamas und der islamische Dschihad – das sind zwei Terror-Organisationen, die all ihr Geld, all ihre Energie, all ihre Zeit investieren statt in die Verteidigung oder in das Wohl ihrer Menschen – investieren alles in Raketenproduktion, Raketen-Abschussrampen, Raketenentwicklung. Wir sehen das diese Tage und wir werden so lange weitermachen, sie zu bekämpfen und ihre Waffenlager, Raketen-Abschussrampen und sie selber auch, wenn es sein muss, zu erwischen, um hier wieder Ruhe reinzubringen für beide Seiten, für die Menschen in Israel, aber auch für die Menschen im Gazastreifen, die auch leider unter dieser Hamas und dem islamischen Dschihad leiden.

"Das ist eine Art unterirdische Parallelwelt"

Schulz: Können Sie uns das genauer sagen, um sie zu erwischen? Sie wollen sämtliche Infrastruktur beseitigen und auch alle Menschen, die Sie als Kämpfer ausgemacht haben?
Sharuz-Shalicar: Na ja. Es gibt keine Hundertprozent-Antwort. In den letzten Tagen haben wir ungefähr 100 Kilometer, etwas über 100 Kilometer an unterirdischen Tunnelsystemen der Hamas und des islamischen Dschihad zerstört. Das ist eine Art unterirdische Parallelwelt, die nur zugänglich ist für Terroristen. Das heißt, Zivilisten dürfen nicht runter in dieses Tunnelsystem. Wir haben über 100 Kilometer zerstört. Hinzu haben wir hunderte Abschussrampen zerstört aus der Luft, die natürlich nicht irgendwo in offenen Feldern positioniert sind, sondern ganz nah an zivilen Einrichtungen, ob Schulen, Krankenhäuser oder Moscheen. Je mehr dramatisch von Seiten der Hamas, desto besser. Sie wollen ein verdrehtes Bild, sage ich jetzt mal, in die Welt hinaustragen von wegen wir zielen auf Moscheen oder Schulen oder Unschuldige.
Schulz: Das besprechen wir gleich genauer. Aber ich hatte ja nach dem militärischen Ziel gefragt. Sie haben selbst auf Twitter geschrieben, dass die israelische Armee die Terror-Organisation Hamas innerhalb weniger Tage in Grund und Boden stampfen könnte, dass sie das aber nicht tut, weil sie zivile palästinensische Opfer vermeiden will. Wie vertretbar ist es dann überhaupt, Wohngebiete zu bombardieren?
Sharuz-Shalicar: Das ist unser Hauptproblem hier, weil die Hamas zu besiegen und den islamischen Dschihad ist eine Sache von wenigen Tagen. Aber wir wollen keine zivilen Opfer. Deswegen rufen wir auch vor Angriffen bei Familien an in Häusern, die auch für Terror benutzt werden, damit diese Familien sich in Rettung bringen können. Wir haben als israelische Armee auch das Knocking on the Roof eingebracht. Das heißt, bevor man einen wirklichen Angriff startet, anzuklopfen aus der Luft. Das macht nur Lärm, damit die Menschen in diesem Haus sich in Rettung bringen können. Wir nehmen auch in Kauf, dass Terroristen selber sich retten, aber uns ist wichtiger, die Terror-Infrastruktur zu zerstören. Ob wir es schaffen, jetzt alles an Terror-Infrastruktur zu zerstören – ich bin pessimistisch. Aber wir haben ihnen schon einen sehr großen Schaden zugefügt.

"Terror auch von Heranwachsenden"

Schulz: Aber die Frage ist ja wirklich zu welchem Preis. Die Zahl an Zivilisten, die getötet wurden, die habe ich gerade genannt. Von bis zu 60 Minderjährigen gehen die Behörden in Gaza aus. Sie haben jetzt keine Zielmarke genannt. Sie sagen, wir bombardieren das jetzt und wir gehen so weit wie wir kommen. An welchem Punkt wäre der Preis denn zu hoch?
Sharuz-Shalicar: Erst einmal: Wir werden so lange uns wehren und verteidigen, solange die Hamas und der islamische Dschihad Raketen auf Israel abfeuern. Gestern Nacht bis heute Früh waren es wieder um die 100 Raketen, die abgefeuert wurden. Von den 200 sogenannten Zivilisten, die Sie erwähnt haben, sind nach unserer Statistik 160 Hamas und islamische Dschihad Terroristen. 130 davon sind mit der Hamas identifiziert und 30 mit dem Dschihad. Das können auch 16-, 17- und 18jährige sein, weil Terror wird nicht von 30- oder 40jährigen, sondern insbesondere auch von Heranwachsenden dort geleistet. Diejenigen, die die Raketen abschießen, sind oftmals in diesen Altersgruppen und deshalb sind ungefähr 70, 80 Prozent derjenigen, die wir bis jetzt getroffen haben, das waren präzise Angriffe und nicht, wie die Hamas und der islamische Dschihad es von ihrer Seite aus machen, einfach so 3000, 4000 Raketen auf Israel abschießen und wen wir treffen, den treffen wir.
Jetzt würde ich gerne die Frage stellen. Stellen Sie sich vor, Israel hätte keine Sirenen, hätte keine Schutzbunker und hätte nicht das Iron Dome Anti-Raketen-Abwehrsystem entwickelt. Dann hätten wir hier auf israelischer Seite schon tausende Tote.

Medien als Schutzschild?

Schulz: Herr Sharuz-Shalicar, die Frage stellen wir natürlich der palästinensischen Seite, wenn wir im Interview mit ihnen verabredet sind. Aber wir wissen aus den letzten Tagen, es hat dieses Bombardement dieses Hochhauses gegeben, in dem auch Journalisten gearbeitet haben von der Agentur AP und von Al Jazeera. Sie haben sich darauf berufen, dass dort auch Hamas-Büros gewesen seien. Wann werden Sie die Beweise denn öffentlich machen? Da gab es ja auch Rückfragen von den USA.
Sharuz-Shalicar: Ja, absolut! Dieses Haus ist ein mehrstöckiges Hochhaus, in dem unter anderem auch AP und Al Jazeera sind. Das ist richtig. Es waren aber auch Hamas und islamische Dschihad Büros in diesem Gebäude positioniert, und das natürlich mit voller Absicht, um die Medien, ich sage jetzt mal, als Schutzschild zu benutzen. Ich nehme an, dass die israelische Armee, wenn sich die Lage beruhigt, in den nächsten Tagen hoffentlich schon – das ist mein persönlicher Wunsch. Ich denke, auch die israelische Armee an sich hat kein Interesse am Krieg hier gerade. Aber es hängt von den Terroristen ab. Sie wird dann im Nachhinein, nehme ich an, die Zeit finden, auch wirklich dann die Belege zu bringen und diese Situation zu schildern. Ich hoffe, dass dann auch die Welt aus dieser Situation ihre Schlussfolgerungen zieht, wie Terroristen sich hinter nicht nur ihrer eigenen Bevölkerung verschanzen, sondern auch internationale Medien und Organisationen für ihre Zwecke ausnutzen.

"Hamas und der Islamischer Dschihad zahlen gerade den Preis"

Schulz: Sie haben jetzt mehrfach gesagt, dass es auch Ihr Ziel ist, zivile Opfer zu vermeiden. Es gebe ja einen Weg, bei dem von jetzt auf gleich es null zivile Opfer zu beklagen gäbe, weder auf Ihrer Seite, noch auf der anderen Seite, nämlich eine Waffenruhe, die ja auch mehrfach schon angeboten wurde. Warum haben Sie das nicht angenommen?
Sharuz-Shalicar: Na ja. Sie müssen sich vorstellen, Sie würden 3300 Mordversuche über sich ergehen lassen, und eine Sekunde danach würde die Seite, die angreift, sagen, ich will jetzt Waffenruhe nach 3300 Mordversuchen. So läuft das hier nicht, sondern die Hamas und der islamische Dschihad ist gerade dabei, den Preis für ihre Verbrechen zu bezahlen. Das ist radikal-islamistischer Terror, der nichts anderes im Sinn hat, außer Menschen töten auf beiden Seiten der Grenze. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, aber von den 3300 Raketen sind ungefähr 500 im Gazastreifen selbst eingeschlagen.
Schulz: Sie werden sprachlich jetzt gerade sehr drastisch, wenn Sie von Mordversuchen sprechen. Das ist ja gerade der Sinn einer Waffenruhe, dass die Waffen dann schweigen.
Sharuz-Shalicar: Ja, ja! Aber wer muss denn schweigen, der Angreifer oder der Verteidiger? Und wer in diesem Konflikt angreift, ist zu 100 Prozent die Hamas, die vor sieben, acht Tagen Raketen über Jerusalem abgeschossen hat, die über Tel Aviv Raketen abgeschossen hat und die diesen Konflikt überhaupt herbeigerufen hat, und nicht, weil sie wirklich Krieg mit Israel sucht, sondern weil sie innerhalb der palästinensischen Szene das Ruder an sich greifen will.

"Ein souveräner Staat muss sich wehren können"

Schulz: Aber nach dieser Logik, Herr Sharuz-Shalicar, muss das jetzt ja ewig weitergehen mit dem Beschuss.
Sharuz-Shalicar: Nein, muss es absolut nicht. Radikal-islamistische Terroristen bekommen gerade einen Denkzettel verpasst mit der Hoffnung, dass sie die Waffen endlich ruhen lassen, weil eine Demokratie, ein souveräner Staat, eine westlich gesinnte Demokratie muss auch sich wehren können dürfen gegen Raketen, die auf die Zivilbevölkerung abgeschossen werden.
Schulz: Auf das Selbstverteidigungsrecht ist jetzt auch immer wieder hingewiesen worden. Aber wenn Sie jetzt sagen, die müssen einen Denkzettel bekommen, ist das dann noch das militärische Ziel der Selbstverteidigung?
Sharuz-Shalicar: Wie sonst sollte man sich selbstverteidigen. Wenn 3400 Raketen auf zivile Menschen abgeschossen werden, auf Zivilisten, dann muss doch die Armee einer Demokratie sich wehren dagegen. Das ist im Sinne der Menschen hier und das ist auch im Sinne der Menschen im Gazastreifen. Im Endeffekt wollen diese Menschen im Gazastreifen auch größtenteils keinen Krieg. Aber sie leiden unter der Hamas und unter dem islamischen Dschihad, die genau null Euro in Abwehr- oder Schutzmaßnahmen für ihre eigene Bevölkerung investiert haben, stattdessen all ihr Geld in Tunnelbau und Raketen investiert haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.