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Israels Drohungen gegen Iran sind "ein Spiel mit dem Feuer"

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat offen über einen Militärschlag gegen den Iran nachgedacht. Verbales Säbelrasseln oder Ankündigung eines realen Krieges? Beides ist möglich, sagt der Politologe Herfried Münkler - doch könne es sein, dass Netanjahu "irgendwann Krieg führen muss, weil man so oft davon gesprochen hat".

Das Gespräch führte Stefan Koldehoff | 07.03.2012
    Stefan Koldehoff: Perverserweise hat es für den Krieg – das möglichst effektive, rücksichtslose gegenseitige Abschlachten aus irgendwie auch immer moralisch legitimierten Gründen – immer auch Spielregeln gegeben. Weihnachten zum Beispiel schwiegen im Ersten Weltkrieg die Waffen. Krankenhäuser werden nach Möglichkeit verschont. Wer also nicht direkt tot ist, soll in Gebäuden mit dem roten Kreuz dann auch möglichst nicht mehr getötet werden.
    Gestern Abend dann gab es – auch bei uns im Deutschlandfunk – eine ähnlich seltsame Meldung. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu, hieß es dort, habe noch nicht entschieden, ob sein Land den Iran angreifen werde. Früher fand ein Krieg statt, wenn mobilgemacht wurde – und dann gab es in der Regel schon aus logistischen Gründen kein Zurück mehr. Heute geschieht das offenbar mit Ansage oder Absage – jedenfalls aber nach öffentlicher Erörterung. Und ich frage den Politikwissenschaftler Herfried Münkler: Was hat sich da verändert?

    Herfried Münkler: Ich denke, dass dabei eine Rolle spielt, die Gegenseite auch ohne den Gebrauch von Waffen zunächst einmal durch die Androhung des Gebrauchs von Waffen beziehungsweise die Behauptung der Ernsthaftigkeit der eigenen Androhung dazu zu bringen, das zu tun, was man ansonsten mit Waffen erzwingen würde. Das heißt, es gibt sozusagen einen kommunikativen Vorkrieg, von dem man vielleicht auch sagen kann, er dient dazu, den sonst erforderlichen Gebrauch der Waffen zu verhindern. Das ist jedenfalls die etwas optimistischere Betrachtungsweise.

    Die pessimistische läuft darauf hinaus, dass man sich durch solche Erklärungen schließlich in eine Situation bringt – gegenüber den Verbündeten, gegenüber der eigenen Bevölkerung -, in der man irgendwann Krieg führen muss, weil man so oft davon gesprochen hat. Das ist im Augenblick mit Blick auf Iran und Israel schwer zu sagen, in welche Richtung es läuft – das kann in beide laufen.

    Koldehoff: Es weiß ja nun jeder, der schon mal ein Kind erzogen hat: Wenn man was ankündigt, dann muss man auch zur Konsequenz bereit sein, diese Ankündigung in die Wirklichkeit umzusetzen. Warum glauben Sie denn, erfolgt so was über die Medien und nicht über diplomatische Kanäle?

    Münkler: Na ja, gut: Es gibt auch sozusagen auf der einen Seite natürlich Erwartungen – Erwartungen innerhalb Teilen der amerikanischen Bevölkerung, wo man meint, man hat mit dem Iran noch eine Rechnung offen, die auf das Jahr 1979/80 zurückgeht, die andererseits auch in einer bedingungslosen Unterstützung für Israel besteht, auf der anderen Seite wachsende und sich aufbauende Ängste in der israelischen Gesellschaft. Also die Fragestellung, wie ernst ist es wem mit welchen Drohungen, die steht natürlich dahinter und die spielt in diesen Erklärungen allgemein eine Rolle.

    Koldehoff: Da klingt aber doch ein Satz, zumal noch in der dritten Person: Herr Netanjahu weiß noch nicht, ob sein Land angreifen wird. Das klingt ja nicht furchtbar entschlossen. Das ist nicht das klassische Säbelrasseln, oder?

    Münkler: Ja, das soll auch in dem Sinne noch nicht entschlossen gelten, sondern ich meine, man kann sich vorstellen, dass Herr Netanjahu Einfluss nehmen will auf die amerikanische Öffentlichkeit, aber nicht in der Weise, dass er die Amerikaner vor sich hertreibt, sondern eher in der Form, dass er deutlich macht, er möchte sich mit ihnen beraten, aber er hofft auf ihre Hilfe. Also das ist ein relativ kompliziertes Geflecht, das hier mit kommunikativen Mitteln, Erklärungen über die Öffentlichkeit gespielt wird, bei dem sozusagen immer mehrere Adressaten da sind und man sich das vielleicht auch vorstellen muss wie eine Billard-Kugel, die über Bande rollt und die wo ganz anders hin soll, als sie zunächst einmal sich bewegt.

    Koldehoff: Sie haben zu Beginn unseres Gespräches gesagt, das kann in die eine, es kann aber auch in die andere Richtung führen. Sind Ihnen Fälle in Erinnerung, in denen solche Drohungen, Ankündigungen Kriege verhindert hätten?

    Münkler: Ja, vielleicht schon. Also wenn man in den Anfang des 20. Jahrhunderts hineinschaut, dann ist es den Europäern ja zweimal gelungen, in dem ersten Balkankrieg und in dem zweiten Balkankrieg einen Krieg zu lokalisieren, das heißt zu verhindern, dass er aus dem engeren Bereich, in dem er geführt worden ist, ausbricht und ganz Europa ergreift. Ich glaube, das ist auch das Problem, um das es hier geht: Es ist ein Konflikt, der lokalisierbar ist, selbst dann, wenn es zum Gebrauch von militärischer Gewalt kommt - und das ist dann der Konflikt 1914, der nicht mehr der dritte Balkankrieg geblieben ist, sondern der zum Ersten Weltkrieg gekommen ist -, kommt es darüber zu Kettenreaktionen, zu wechselseitigen Loyalitätsadressen, die im Prinzip eine Welle von Mobilmachungen in Gang setzen. Insofern gibt es Möglichkeiten, Kriege darüber wenn nicht zu verhindern, so doch zu begrenzen, um die angestrebten politischen Ziele zu erreichen, aber es ist allemal ein Spiel mit dem Feuer, das hier begonnen hat. Nun muss man natürlich sagen, dass am Anfang dieses Spiels mit dem Feuer eine Reihe von Erklärungen von Ahmadinedschad stehen hinsichtlich der Bestreitung des Existenzrechts Israels und dem gelegentlichen demonstrativen Zeigen von schnell in den Himmel aufsteigenden Mittelstreckenraketen.

    Koldehoff: Der Politologe Herfried Münkler – vielen Dank – über verbale Kriegs- und Präventionsstrategien.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.