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"Ist Mubarak Freitag weg, oder fließt Freitag Blut?"

Nach den Freitagsgebeten in dieser Woche soll in Ägypten erneut demonstriert werden. Cilja Harders von der Freien Universität Berlin spricht nach Gesprächen mit Freunden vor Ort vom "unheimlichen Mut" der Menschen - die sich auch durch Gewalt nicht werden einschüchtern lassen.

27.01.2011
    Tobias Armbrüster: Aus Ägypten werden seit Tagen Unruhen gemeldet. Auch in der vergangenen Nacht sind wieder Hunderte von Demonstranten auf die Straße gegangen, trotz Demonstrationsverbots im ganzen Land. Die ägyptische Regierung ist inzwischen dazu übergegangen, soziale Netzwerke im Internet zu schließen. Das soll es für die Demonstranten schwerer machen, sich auszutauschen und auch zu verabreden. Ob das funktioniert, das können wir jetzt von Cilja Harders hören. Sie ist Politologin an der Freien Universität Berlin. Ihr Schwerpunktgebiet ist der Nahe Osten. Ägypten, das hat sie mir gesagt, betrachtet sie als ihre zweite Heimat und sie ist seit Tagen per Internet in Kontakt mit Freunden in Ägypten. Schönen guten Morgen, Frau Harders.

    Cilja Harders: Guten Morgen.

    Armbrüster: Frau Harders, was haben Sie seit gestern Abend aus Ägypten gehört?

    Harders: Na ja, ganz viel Aufregung, Nervosität, ziemlich viel Trauer und Frust auch über die Gewalt - gerade im Suez war die Situation ja sehr eskaliert – und zugleich ein unheimlicher Mut und ein Durchhaltevermögen zu sagen, wir hören jetzt nicht auf, wir lassen uns jetzt nicht einschüchtern, auch wenn die Polizeipräsenz massiv war, auch wenn Facebook, Twitter, zum Teil auch Vodafone, der wichtigste ägyptische Mobilfunkanbieter, immer wieder blockiert waren. Ich habe gerade gelesen, dass Facebook jetzt in Ägypten blockiert ist. Und es gibt so eine gespannte Aufmerksamkeit, so unter dem Motto, wir alle warten auf Freitag, weil für Freitag nach den Gebeten zu erneuten Großdemonstrationen oder Aktivitäten aufgerufen ist, und von daher ist die Situation auch angespannt, aufmerksam, alle sind nervös und fragen sich, was ist das Szenario, ist Mubarak Freitag weg, oder fließt Freitag Blut.

    Armbrüster: Haben Sie den Eindruck, dass die Leute Angst bekommen vor möglichen starken Repressalien der ägyptischen Führung?

    Harders: Das ist wirklich sehr beeindruckend. Ich denke nicht, obwohl klar ist, dass das passieren kann, und das ist ja im Iran auch passiert. Wir haben ja auch da eine ganz massive Mobilisierung gehabt und eine unglaubliche Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, und das wird als eine Möglichkeit einbezogen. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass es im Moment die Leute daran hindert, auf die Straße zu gehen.

    Armbrüster: Was sind das eigentlich Ihrer Ansicht nach für Leute, Ihres Eindrucks nach für Leute, die hinter diesen Protesten stehen?

    Harders: Das ist wirklich sehr interessant. Es sind vor allen Dingen junge Leute, das sieht man ja auch auf den Bildern. Es ist die Mittelklasse, aber auch viele ärmere Leute. Ich finde, was sehr gut zu sehen ist, dass ganz viele Frauen auch dabei sind, was sehr, sehr wichtig ist. Und es scheint mir doch eine ziemlich breite Bewegung zu sein, auch politisch. Alle politischen Kräfte in Ägypten sind beteiligt und setzen sich eben auch über Protestformen auseinander. Es gab halt für den Dienstag eine Verabredung, dass es keine Slogans geben sollte, außer solche, die sagen, Freiheit für Ägypten oder weg mit Mubarak, aber eben genau keine Parteipolitik. Das finde ich auch ein Novum und sehr interessant. Das hat eine Geschichte natürlich auch in Ägypten in den letzten 5, 6 Jahren. Aber das ist, glaube ich, ein sehr gutes Zeichen und auch die Tatsache, dass eben in den Provinzstädten auch eine sehr große Mobilisierung ist und ganz viele sich daran beteiligen, auch Leute, die bisher noch nie auf die Straße gegangen sind.

    Armbrüster: Kamen denn diese Proteste jetzt seit Anfang der Woche für Sie überraschend?

    Harders: Nein. Ich beobachte das in der gesamten arabischen Welt massiv und verstärkt seit 2000 eigentlich, damals Intifada in Palästina, dann die Proteste gegen den Irak-Krieg, wir haben den Regimewechsel im Libanon, die sogenannte Zedernrevolution, und speziell in Ägypten haben wir 2005 schon mal ein Jahr von massiver und sehr erfolgreicher Mobilisierung unter dem Stichwort Kifaya es genügend erlebt, wo es auch schon darum ging zu sagen, Mubarak darf nicht noch mal Präsident werden.

    Armbrüster: Frau Harders, vielen Dank. – Auf der anderen Seite hört Ruprecht Polenz zu, Frau Harders. Er ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Gibt es eine Frage, die Sie ihm gerne stellen würden?

    Harders: Was er antwortet denjenigen in Ägypten, die sich von Europa und auch Deutschland eine ganz klare Unterstützung der Forderung der Demonstranten wünschen, nämlich keine weitere Amtszeit für Mubarak, Rücktritt sofort, Wahrung und Schutz der Menschenrechte in Ägypten.

    Armbrüster: Dann auf Wiederhören Cilja Harders von der FU Berlin.