Freitag, 29. März 2024

Archiv

Istanbuler Flughafen
Schuften für Erdogans Prestigeprojekt

In nur dreieinhalb Jahren hat die Türkei den größten Flughafen Europas aus dem Boden gestampft. Zwei Monate nach der Eröffnung durch Staatspräsident Erdogan soll der reguläre Betrieb in Istanbul starten. Doch der Preis für dieses Tempo ist hoch. 35.000 Arbeiter schuften auf der Großbaustelle außerhalb von Istanbul unter miserablen Bedingungen.

Von Susanne Güsten | 29.10.2018
    Das Foto von September 2018 zeigt den neuen Flughafen von Istanbul.
    Flughafen Istanbul: Dutzende Menschen sind beim Bau ums Leben gekommen (dpa-Bildfunk / AP / Emrah Gurel)
    Protest auf der Flughafenbaustelle im September. Tausende Arbeiter sind im Ausstand, weil sie die Nase voll haben. Von einer Treppe aus spricht Özgür Karabulut, der Vorsitzende der Baugewerkschaft Dev Yapı-İş, zu den Streikenden:
    "Wir arbeiten hier unter Bedingungen wie im Mittelalter. Warum kümmert das niemanden? Weil wir nicht organisiert sind! Aber wenn wir Widerstand leisten, wenn wir uns organisieren, dann müssen sie uns hören."
    Kampf um Löhne und bessere Arbeitsbedingungen
    Die Forderungen werden der Bauleitung übergeben: Die Arbeiter wollen seit Monaten ausstehende Löhne ausgezahlt haben; sie wollen hygienische Unterkünfte; sie wollen nicht mehr stundenlang im Regen warten müssen, weil zu wenige Busse zwischen Lager und Baustelle verkehren; sie wollen, dass die vielen Todesfälle auf der Baustelle aufgeklärt werden; und sie wollen mittags zu essen bekommen. Dann kommt die Polizei und schießt mit Tränengas. In der Nacht gibt es eine Razzia, vermummte Polizisten treten die Türen der Unterkünfte ein und nehmen hunderte Arbeiter als Rädelsführer fest, vor allem die Gewerkschaftsmitglieder. Özgür Karabulut ist nicht darunter, weil er nicht im Lager lebt. Im Oppositionssender Artı Gerçek rauft sich der Gewerkschaftsvorsitzende die Haare:
    "Wir fordern nur die Einhaltung der Gesetze, aber statt einer Antwort schickt die Regierung Wasserwerfer. Das ist doch keine Lösung!"
    Özgür Karabulut schuftet selbst auf dem Bau und hat bis vor kurzem auch selbst auf der Flughafenbaustelle gearbeitet. Einen hauptamtlichen Vorstand kann sich die kleine Bau-Gewerkschaft nicht leisten, sind doch kaum drei Prozent der türkischen Bauarbeiter organisiert. Gewerkschaften haben in der Türkei schon seit dem Militärputsch von 1980 nicht mehr viel zu sagen, und seit die AKP regiert, noch viel weniger. Özgür Karabulut wird wenige Tage nach den Protesten auf der Flughafenbaustelle verhaftet. Eingriff in das Recht auf Arbeit, Beschädigung öffentlichen Eigentums, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Teilnahme an einer Demonstration mit verbotenen Gegenständen wirft die Staatsanwaltschaft ihm vor - einziges Beweismittel, so sagt sein Anwalt nach Akteneinsicht: Özgür Karabuluts Ansprache bei der Protestkundgebung. Seither sitzt der Gewerkschaftsvorsitzende hinter Gittern. Seine hochschwangere Ehefrau Ayla hat ihn bisher einmal besuchen können.
    "Er wird in Isolationshaft gehalten, das setzt ihm natürlich zu. Ich habe unserer fünfjährigen Tochter nicht sagen können, dass ihr Vater eingesperrt ist. Ich habe ihr gesagt, dass er auf einer Baustelle ganz weit weg arbeitet."
    Regierung ignoriert Proteste
    Seit drei Jahren arbeitet Özgür Karabulut für die Baugewerkschaft - ein besonders schwieriger Sektor für Gewerkschaftsarbeit, erzählt seine Frau der oppositionellen Internetplattform Özgürüz, sie sagt:
    "Die psychische Belastung ist groß, weil es beim Bau so viele tödliche Arbeitsunfälle gibt. Özgür ist dauernd unterwegs in Krankenhäusern oder bei den Familien getöteter Arbeiter - das lastet wirklich schwer auf der Psyche."
    27 Arbeiter sind auf der Flughafenbaustelle nach Regierungsangaben schon ums Leben gekommen, nach Zählung der Opposition sind es mindestens 38. Die Bauarbeiten gehen auch nach der heutigen Eröffnungsfeier mit Hochdruck weiter, damit der Flugbetrieb zum Jahreswechsel aufgenommen werden kann. Geändert haben die Arbeiterproteste offenbar nichts, sagt Karabuluts Ehefrau.
    "Unsere Freunde schicken mir weiter Fotos und Informationen von der Baustelle. Es sieht nicht so aus, als hätten sich die Arbeitsbedingungen verbessert. Und die festgenommenen Arbeiter und Gewerkschafter sind noch immer in Haft."