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Italien
Das Feuer des Protests

Der Tod ist politisch: Nationalisten propagierten im 19. Jahrhundert die Feuerbestattung, auch als Protest gegen den Papst. Bis heute sind die Folgen der Auseinandersetzung spürbar. Ein Forschungsprojekt untersucht diese Verbindung von letzter Ruhe und Risorgimento.

Von Thomas Migge | 03.05.2018
    Ein Sarg wird in die Glut des Ofens im Krematorium geschoben. Der Vorgang wird von den Mitarbeitern liebevoll und respektvoll begleitet.
    Feuerbestattung ist damals wie heute eine verbreitete Bestattungsmethode (dpa picture alliance / Sandra Gätke)
    "Bei uns entscheiden sich immer mehr Bürger für die Feuerbestattung. Inzwischen wird für mehr als 50 Prozent unserer Bestattungen das Krematorium gewählt. Außerhalb unserer Stadt, in der Provinz Brescia, sind nur etwa 17 Prozent aller Bürger dazu bereit, sich für Krematorium zu entscheiden", so Fulvio Frattini vom städtischen Amt für Bestattungen. Die norditalienische Stadt Brescia, hält einen italienischen Rekord. Nirgendwo sonst im mehrheitlich katholischen Italien entscheiden sich so wenig Bürger für eine traditionelle Bestattung im Sarg. Historiker sehen darin einen historischen Grund: schließlich, so argumentieren sie, sei Brescia eine der wichtigsten Städte des so genannten Risorgimento gewesen, der italienischen Einheitsbewegungen im 19. Jahrhundert. Doch was haben Krematorien und die Feuerbestattung mit dem Risorgimento zu tun, das den italienischen Nationalstaat geschaffen hat?
    Die deutsche Historikerin Carolin Kosuch forscht genau zu diesem Thema, am Deutschen Historischen Institut in Rom: "Es ist interessant, dass die Feuerbestattung vor allem in Italien im 19. Jahrhundert eine sehr starke politische Konnotation hat. Es verwundert vielleicht, deshalb muss man sich ein bisschen in die Geschichte hinein denken, die mit dieser Apparatur verbunden ist."
    Seit Beginn des 19. Jahrhunderts strebten in Italien verschiedene politische Gruppierungen die Schaffung eines zentralen Nationalstaats an. Unter diesen Gruppierungen gab es in Italien radikal antiklerikale Kräfte, die, so Carolin Kosuch, von fortschrittlichen und modernen Vorstellungen geprägt waren: "Die italienische Nation soll an die Spitze der modernen europäischen Nationen aufschließen, sie soll gesund und stark sein. Da sind vor allem Naturwissenschaftler und Ärzte, die sich dafür stark machen. Es sind radikal demokratische Politiker wie Mazzini und Garibaldi, die sich dafür einsetzen".
    Radikalisierung der Kirche
    Anfangs hatten Päpste, die bis 1870 von Rom aus ihren mittelitalienischen Territorialstaat regierten, Sympathien für die Idee einer italienischen Nation. Auch im katholischen Milieu gab es Risorgimento-Anhänger. Doch ihnen schwebte die Idee eines italienischen Staates unter der Herrschaft des Papstes vor. 1848 endete dieser kurze Flirt zwischen Katholiken und Risorgimentisten - und Papst Pius IX. verurteilte in seiner Bulle "Syllabus errorum" von 1864 entschieden die von den Nationalstaatsanhängern verfolgten politischen und gesellschaftlichen Ziele. Darunter auch die Feuerbestattung, für die sich das Risorgimento wie keine andere politische Bewegung einsetzte.
    In Folge der Ablehnung eines vor allem laizistisch definierten Nationalstaatsgedankens radikalisierte sich die Kirche in dogmatischer Hinsicht. Das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Marias von 1854 und von der Päpstlichen Unfehlbarkeit von 1870 sind, so Carolin Kosuch, eindeutige Hinweise auf diese Radikalisierung:
    "Die Feuerbestattung, die gegen Ende des Jahrhunderts immer lauter und besonders auch in freidenkerischen und freimaurischen Kreisen in Italien diskutiert wurde, bot eine Möglichkeit, ganz ostentativ Stellung zu beziehen gegen jene Theologisierung des Papsttums, und gleichzeitig gegen die kirchlichen Widerstände bezüglich der Nationswerdung."
    Mailands erstes Krematorium
    Die Verfechter eines italienischen Einheitsstaats, zumeist überzeugte antiklerikale Männer und Frauen, entschieden sich also für die Feuerbestattung. In einem Italien, in dem der Papst zunehmend politisch ausgegrenzt wurde und schließlich seine politische Territorialmacht verlor, nach der Eroberung Roms 1870 und der Schaffung der italienischen Hauptstadt, entstanden immer mehr Krematorien.
    "Wenn Sie so wollen ist das Thema also politisch aufgeladen, wie mit dem menschlichen Leichnam umzugehen ist. Das ist also ein politisiertes Thema, dass sich einfügt in einen gesamteuropäischen Antiklerikalismus, der im 19. Jahrhundert durchaus präsent ist, der aber in der italienischen Einigungsbewegung und der päpstlichen Frontstellung gegen den Nationalstaat eine zusätzliche politische Dimension erhält, die so in protestantischen Staaten nicht zu finden ist."
    In Deutschland, so Carolin Kosuch, sei die Feuerbestattung im 19. Jahrhundert eher ein Thema der protestantischen Bürgerkultur gewesen.
    Mitte des 19. Jahrhunderts entstand in Mailand das erste Krematorium – ein technischer Prototyp, der für seine Zeit so modern war, dass selbst deutsche Krematoriumsbauer zunächst nach Italien lugten, um dort zu lernen.
    1876 entstand die Mailänder Krematoriumsgesellschaft. Ähnliche von laizistisch eingestellten Bürgern organisierte Gesellschaften wurden in fast allen norditalienischen Städten ins Leben gerufen. In Mittel- und Süditalien hingegen konnten sich Krematorien bis heute nicht durchsetzen. Vor allem deshalb, weil in diesen Landesteilen bis heute ein gewisser Einfluss der katholischen Kirche anzutreffen ist.
    Garibaldis Vermächtnis
    Die katholische Kirche reagierte auf die vielen Krematorien: 1886 verkündete die oberste Glaubensbehörde in Rom, das Heilige Uffizium, dass die heilige Messe bei Feuerbestattungen verboten sei. Das Thema Feuerbestattung ja oder nein bewegte die Italiener lange. Der Fall des italienischen Nationalhelden und antiklerikalen Kämpfers für den Einheitsstaat Giuseppe Garibaldi beschäftigte die italienische Öffentlichkeit lange über dessen Tod 1882 hinaus.
    Carolin Kosuch: "Als Garibaldi verstarb, hat er in seinem Testament tatsächlich lanciert, verbrannt werden zu wollen. Seine Familie hat das aber nicht geduldet. Es gab eine große Auseinandersetzung was also mit diesem Körper geschehen sollte, und er ist letztlich erdbestattet worden, mit langen Nachwehen, weil eben seinem letzten Wunsch nicht entsprochen wurde."
    Erst während des Zweiten vatikanischen Konzils im Jahr 1963 änderte die katholische Kirche ihre Meinung in Sachen Feuerbestattung. Fortan werden sie nicht mehr als Akt gegen den Glauben und die Kirche verurteilt. Doch Repräsentanten der Kirche weisen immer noch und immer wieder darauf hin, dass nur eine Erdbestattung das ganze Wohlwollen der Geistlichkeit geniesse.