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Italien, der Sparzwang und die geplante Rentenreform

Italien ist in Zugzwang. Mit Argusaugen verfolgen internationale Anleger und die Europäische Union die Schritte von Mario Monti. Mit seinem Sparpaket will er 24 Milliarden Euro in die Staatskasse spülen. Vorgesehen ist auch eine Rentenreform. Dagegen protestieren die Senioren und die drei großen Gewerkschaften.

Von Kirstin Hausen | 07.12.2011
    Die Fußgängerzone in Pavia, einer Kleinstadt südlich von Mailand. Emilia Bravetti und Renata Tronchi inspizieren die weihnachtlich dekorierten Schaufenster, schlendern in Richtung ihres Lieblingscafés. Typische Rentnerinnen, könnte man meinen, doch was wie Müßiggang wirkt, ist in Wirklichkeit eine kurze Atempause im straff organisierten Alltag.

    "Damen wie wir sind heutzutage doch Vollzeitenkelbetreuerinnen"

    "Das macht den Tag ganz schön turbulent. Meine Tochter bringt mir ihren Sohn um acht, Viertel nach acht am Morgen, mein Sohn zieht seine einjährige Tochter noch nicht mal selbst an, das mach ich. Und dann bringe ich die Kleinen in den Kindergarten, hole sie mittags wieder ab und behalte sie bei mir bis Mamma von der Arbeit kommt. Das Schöne ist, ich habe fünf Enkelkinder zum Hüten."

    Und damit ist Renata Tronchi im Grunde eine professionelle Tagesmutter. Allerdings übernimmt sie die Aufgabe der Enkelbetreuung gratis. So wie viele Italienerinnen, die mit Mitte 50 in Rente gegangen sind. Sie stellen sich ganz in den Dienst der Familie, von wegen Reisen und Nichtstun. Italiens Senioren gleichen aus, was der Staat nicht leistet.

    Es gebe viel zu wenige Kinderkrippen, sagt Renata Tronchi, die 40 Jahre in der Kosmetikabteilung eines Kaufhauses gearbeitet hat. Sie bezieht 1238 Euro Rente im Monat und fürchtet sich vor den von der Regierung Monti angekündigten Einschnitten. Bisher steht fest, dass für Renten über 930 Euro der Inflationsausgleich gestrichen werden soll. Ihre Freundin Emilia ist wegen der Kinder jahrelang zuhause geblieben und erhält deshalb nur eine Minimalrente, die unter dieser geplanten Grenze liegt. Obwohl sie selbst nicht unmittelbar betroffen ist, hält sie die Rentenreform für falsch. Die gesellschaftliche Rolle der Senioren werde nicht gewürdigt, meint sie.

    Darum wird es noch Streit geben, prophezeien die beiden Damen aus Pavia und in der Tat mehren sich die Anzeichen für soziale Konflikte in Italien. Die drei großen Gewerkschaften protestieren unisono gegen die Rentenreform, beanstanden vor allem das abrupte Anheben des Pensionsalters auf 66 Jahre. Nur wer in diesem Jahr noch 60 Jahre alt wird, bleibt davon verschont. Die anderen müssen noch ein ganzes Stück länger arbeiten, als sie gedacht hatten. Das sorgt für Ärger.

    "Ich arbeite seit 1974 und bin 58 Jahre alt. Ich fühle mich hintergangen, weil meine Rente plötzlich in weite Ferne gerückt ist."

    Der Frust ist groß unter den italienischen Senioren. Angelo Carmine, der als 17-Jähriger aus Süditalien in den Norden emigrierte, um Anstellung in einer Textilfabrik zu finden, ist mit 57 Jahren in Rente gegangen. Vom Ausland fühlt er sich zu Unrecht als Drückeberger verunglimpft.

    "Ich habe eine so niedrige Rente, dass ich davon gar nicht leben könnte. Ich bin gezwungen, weiterzuarbeiten, schwarz. Das schadet mir und es schadet dem Staat. Ich verdiene nur die Hälfte vom Marktpreis und der Staat bekommt keinen Cent Steuern von mir."

    Die dunkelbraunen Augen blitzen, Angelo Carmine redet sich in Fahrt. Mit den Maßnahmen der Regierung ist er sehr unzufrieden.

    "Weil sie wie immer die armen Leute treffen. Wer Vermögen hat oder ein extrem hohes Einkommen wird nicht zur Kasse gebeten. Den Mittelstand gibt es schon gar nicht mehr, wir sind alle arm geworden."

    Im Mittelpunkt der Kritik an den Regierungsplänen steht in Italien das Fehlen einer Vermögenssteuer. Zwar müssen Italiener, die bei einer unter Silvio Berlusconi in Kraft getretenen Steueramnestie auf nicht deklarierte Gelder nur eine Strafsteuer von fünf Prozent zahlen mussten, jetzt noch einmal 1,5 Prozent die eingebrachte Summe nachzahlen. Zwar werden die Besitzer von Zweitwohnungen und Yachten demnächst stärker zur Kasse gebeten, aber es herrscht doch der Eindruck vor, dass die Regierung nur punktuell vorgeht, anstatt generell Vermögen zu besteuern. Auch die zweitstärkste Kraft im Parlament, die Demokratische Partei, bemängelt das und fordert mehr Gerechtigkeit. Mario Monti wird sich mit diesen Vorwürfen auseinandersetzen müssen.