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Italien
Mafia-Zeuge kämpft für Schutz und Anerkennung

Augusto di Meo hat 1994 den aufsehenerregenden Mord an einem Pfarrer in der Camorra-Hochburg Casal di Principe gesehen und angezeigt. Aber der italienische Staat hat Di Meo nie Schutz angeboten, obwohl dies seit einigen Jahren üblich ist. Seitdem kämpft Di Meo mit der Angst - und verklagt den Staat.

Von Riccardo Mastrocola | 20.08.2015
    Augusto di Meo zeigte den Mafia-Mörder seines Freundes an - und setzte damit eine Verhaftungswelle in Gang.
    Augusto di Meo zeigte den Mafia-Mörder seines Freundes an - und setzte damit eine Verhaftungswelle in Gang. (Deutschlandradio - Riccardo Mastrocola)
    Casal di Principe liegt rund 20 Kilometer nördlich von Neapel, in der "terra die fuochi", dem "Feuerland", berühmt geworden auch in Deutschland für die Entsorgung von Giftmüll im fruchtbaren Boden der Region. Die Kleinstadt ist eine Hochburg der Camorra. Hier hat bis in die Mitte der 90er-Jahre der mächtige Clan der Casalesi geherrscht. 1994 wurde der Pfarrer Don Peppe Diana ermordet, weil er offen Kritik übte. Augusto Di Meo war Zeuge, als der Killer in die Kirche kam, nur ein paar Meter entfernt.
    "Er schießt ihm fünf Mal ins Gesicht. Überall war Blut. Ich schaue genau hin und sehe, wie er die Pistole wieder in den Gürtel schiebt und gemütlich weggeht. Als ob nichts geschehen wäre. Sie fühlten eine unglaubliche Macht, sogar in die Kirche gehen zu können und Gott zu treffen. Es würde ja eh niemand reden."
    Augusto di Meo aber tat das Unerwartete: Er ging zu den Carabinieri, bezeugte einen Mord und zeigte den Killer an. Der Staat konnte reagieren, schickte Staatsanwälte, Antimafia-Einheiten, es folgten Verhaftungen, der ganze Clan der Casalesi wurde seiner Köpfe beraubt. Augusto di Meo hatte den Mord an seinem Freund gesehen und musste vor Gericht den Täter identifizieren:
    "Dann müsst du da reingehen, da sitzen alle in so einem Käfig, mit dem Finger auf den zeigen, der geschossen hat. Das sind Sachen, die ändern dein Leben. Was weiß ich, wie viele Tabletten ich genommen habe seitdem."
    Augusto di Meo wird noch heute rot vor Wut und Anspannung, muss im Interview immer wieder Pausen machen, einen Schluck trinken, seinen Kreislauf unter Kontrolle halten. Er hat einen Fotoladen, sitzt hinten im Büro, rechnet nicht mit Kundschaft. Nach seiner Aussage 1994 kam erst mal niemand mehr in sein Atelier. Freunde mieden ihn. Es wurde einsam um ihn, seine Frau und seine beiden Kinder. Di Meo fühlt sich alleingelassen von einem Staat, dem er einen großen Dienst erwiesen hat. Es geht ihm um Anerkennung, auch um finanzielle Absicherung seiner Familie, denn die Camorra vergisst nicht, erinnert Augusto Di Meo.
    "Ich habe ein zehn Jahre altes Gerät. Ich könnte investieren. Aber ich habe Angst. Wenn mir etwas passiert, dann muss ich an meine Familie denken. Es wäre gut, würde der Staat sagen: Wir sind da – investiere in Ruhe – wir kümmern uns, weil du einer von uns bist."
    Persönliche Ehrenauszeichnung, aber kein Schutz
    Im vergangenen Jahr hat Augusto di Meo vom italienischen Präsidenten persönlich eine Ehrenauszeichnung bekommen, für besondere Verdienste. Schulterklopfer, die er nicht braucht, sagt Di Meo. Antimafia-Organisationen fordern, dass Di Meo offiziell den gesetzlichen Zeugenschutz erhalten soll, wie ihn das Gesetz von 2001 vorsieht. Anwalt Alessandro Marrese vertritt seit 1994 die Belange der Familie des getöteten Pfarrers Diana und die von Augusto Di Meo:
    "Dass wir uns heute an Peppe Diana erinnern können als einen Mann, der die Camorra in den Hochzeiten bekämpfte, damals in Casal di Principe, das verdanken wir vor allem dem Mut von Di Meo, einem ganz normalen Bürger."
    Di Meo wünscht sich einen Staat, der ihn, diesen normalen Bürger in einer Stadt, einer Umgebung wie Casal di Principe, den Rücken stärkt.
    "Also dass man im Land der Camorra aussagen kann. Weil dir jemand beisteht. Und zwar richtig."
    Die Zeiten in Casal di Principe haben sich etwas geändert. Di Meo geht nach dem Interview noch einen Kaffee trinken in der benachbarten Bar, was er sich vor ein paar Jahren nicht getraut hätte. Sein Kampf gegen den Staat und um seine Anerkennung als wichtiger Zeuge der italienischen Justiz geht weiter. Der nächste Prozesstermin ist im März 2016.