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Italien
Politische Rückkehr der Katholiken?

Dass Italien von Populisten regiert wird, bereitet vielen Katholiken im Land Sorgen. Der katholische Einfluss auf die Politik ist seit Jahren gering – doch durch eine neue Partei könnte er nun wieder wachsen.

Von Thomas Migge | 18.10.2018
    Die italienische (l) und die EU-Flagge wehen 2001 am Palazzo di Montecitorio, dem Sitz des italienischen Parlaments in Rom.
    Die im Oktober neu gegründete Partei "Demos" will Katholiken eine Stimme geben (picture alliance/dpa)
    Die aktuelle politische Situation mit links- und rechtspopulistischen Parteien an der Regierung macht viele Menschen in Italien nervös. Sie schreie förmlich nach mehr gesellschaftlicher Aktivität von Katholiken, meint die Theologin und Schriftstellerin Mariapia Veladiano:
    "Papst Franziskus gibt uns doch den Weg vor, wenn er erklärt, dass uns die Welt anspricht und wir als Christen tatkräftig darauf reagieren müssen. Gründe genug für einen Dialog gibt es."
    Sie schreibt für "Vita e Pensiero" - zu Deutsch: Leben und Denken - jenes Blatt, das jahrzehntelang als DAS christdemokratische Hausorgan galt. "Tempi passato", vergangene Zeiten, wie die Italiener sagen. Die große Zeit der italienischen Christdemokratie scheint vorbei zu sein, eine Epoche, die vor genau 100 Jahren ihren Anfang nahm.
    "Aktion, das ist das Wort für den Fortschritt. Wiederaufbau muss der Motor sein für unsere Gesellschaft. Wie in den Zeiten der Kreuzzüge sind die besten Persönlichkeiten der katholischen Christenheit dazu aufgerufen, eine neue Gesellschaft zu errichten, die sich auf Gerechtigkeit, Recht und Liebe gründet. Sie soll der Ruf einen: Gott will es."
    Katholiken sollten nachfaschistisches Italien aufbauen
    Papst Pius XII. sprach mitten im zweiten Weltkrieg prophetische Worte aus. Der Papst legte den Katholiken Italiens die Hauptverantwortung für den moralischen, zivilen und politischen Wiederaufbau in die Hände - aus den Trümmern des faschistischen Regimes:
    Undatiertes Foto von Papst Pius XII.
    Papst Pius XII. (dpa / picture alliance / Files)
    "Die Katholiken müssen bereit sein, sich selbst zu opfern. Früher galt es, das Heilige Land zu befreien. Heute hingegen müssen wir das geistige Heilige Land befreien, um eine Gesellschaft zu errichten, mit ehernen Gesetzen für die Zukunft."
    Martialische Worte in martialischen Zeiten – die in weiten Teilen der Bevölkerung Italiens auf offene Ohren stießen. Je mehr sich das Duce-Regime dem Hitler-Reich angenähert hatte wurde den katholischen Kräften Italiens klar, dass sie mit dem Faschismus nichts mehr zu schaffen haben wollten. Der Papst wollte, dass politisch aktive Katholiken maßgeblich das neue nachfaschistische Italien aufbauen.
    Konservative Anfänge
    Nach 1945 wurde Italien fast 40 Jahre lang von der katholischen Partei Democrazia Cristiana regiert. Italiens christdemokratische Elite formierte sich ab 1918. Ein Schlüsseljahr für Italiens Christdemokraten: In Mailand wurde die katholische Hochschule "Cattolica" gegründet. Zu ihr gehörte von Anfang an der Verlag "Vita e Pensiero". Die Universität und ihr Verlag wurden zur wichtigsten Kaderschmiede der italienischen Christdemokratie. Bis in die 1980er-Jahre hinein. Luigi Cavagna, Kaplan und Historiker an der Mailänder Universität Cattolica:
    "Gegründet wurde dieser Verlag von damals wichtigen Personen des Mailänder Katholizismus. Ziel war die Zusammenführung von Wissen und Glaube."
    Und auch in die Politik mischte sich der Verlag ein. Das war 1918 etwas ganz Neues. Bis dato hatten sich Italiens Katholiken aus der Politik fernzuhalten.
    1874 zog sich Papst Pius IX. in Folge der Gründung des italienischen Nationalstaats und der Auflösung des Kirchenstaates sowie der Ernennung Roms zur neuen italienischen Hauptstadt in den Vatikan zurück. Er erließ die Bulle "Non expedit". Sie untersagte Katholiken die Teilnahme am politischen Leben des neugeschaffenen Staates. Doch noch bevor diese Bulle offiziell 1919 aufgehoben wurde, von Papst Benedikt XV., begannen Katholiken, sich politisch zu engagieren. Der römische Kirchenhistoriker Marco Garzoni:
    "Agostino Gemelli, Ludovico Necchi und Luigi Olgiati gründeten die Zeitschrift ‚Vita e Pensiero‘ zunächst in offenem Widerstand gegen die als materialistisch begriffene Moderne, gegen den antikirchlichen Idealismus und den von der wirtschaftlichen Entwicklung propagierten Positivismus, und gegen die Emanzipation der Bürger."
    Kaderschmiede der italienischen Christdemokratie
    Doch diese anfangs konservativen Einstellungen änderten sich rasch. Seit den 1930er-Jahren studierten an der Universität, publizierten im Verlag und schrieben für die Zeitschrift nicht nur die bedeutendsten katholischen Autoren Italiens, sondern auch jene Männer und Frauen, die nach 1945 zu den wichtigsten Christdemokraten des Landes wurden. Marco Garzoni:
    Ein Hörsaal der Università Cattolica auf einer Ansichtskarte aus den 30er-Jahren
    Die "Aula magna" der Università Cattolica auf einer Ansichtskarte aus den 30er-Jahren (imago stock&people/ Arkivi)
    "An dieser katholischen Universität studierte die zukünftige Elite der Christdemokraten, auch die Protagonisten der verfassungsgebenden Versammlung: darunter Dossetti, Fanfani, Lazzati."
    Noch während der Kriegsjahre spezialisierten sich die Universität Cattolica, ihr Verlag und ihre Zeitschrift auf eine ökonomische und eine politische Ausrichtung. Aus dieser Denkschule gingen jene Autoren und späteren Politiker hervor, die ihre Ideen für eine Christdemokratie als goldenen Mittelweg zwischen Kapitalismus und Kommunismus propagierten. Wer zwischen 1945 und 1970 wissen wollte, wie Italiens Christdemokraten ticken und was ihre gesellschaftspolitischen Ziele sind, musste "Vita e Pensiero" lesen.
    Neue linksliberale Ausrichtung
    Anfang der 1990er-Jahre brach die christdemokratische Partei in Folge zahlloser Korruptionsskandale zusammen. Der Vatikan verlor seinen parteipolitischen Bezugspunkt in der italienischen Politik. Der Einfluss der Università Cattolica und ihres Verlages tendierte fortan gegen Null.
    2003 änderte sich das. Die Uni und ihr Verlag öffneten sich gezielt neuen Denkströmungen in Gesellschaft, Politik und Religion, die eindeutig linksliberal ausgerichtet sind. Veröffentlicht werden seitdem auch Autoren, die nicht katholisch sind, wie etwa der jüdische Philosoph und Soziologe Zygmunt Baumann und die französische Feministin Julia Kristeva.
    So ist es kein Wunder, dass zu den Gründern der neuen linksliberalen "Demos", der "Partei für eine solidarische Demokratie", Anfang Oktober in Rom ins Leben gerufen, auch viele katholische Geistliche der gesellschaftspolitisch aktiven Vereinigung Sankt Ägidius gehören, und außerdem Dozenten der Universität Cattolica und Autoren des Verlages "Vita e Pensiero". Sie eint die Hoffnung auf eine neue, auch christliche inspirierte, politische Kraft für Italien.