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Italien vor der Europawahl
Allianz der Populisten

Italiens Innenminister Matteo Salvini steht für eine nationalistische und europafeindliche Politik. Seine rechtspopulistische Lega könnte im nächsten Europaparlament die stärkste Einzelpartei werden. Salvini schmiedet bereits an einer europäischen Allianz rechtspopulistischer Parteien.

Von Sarah Zerback | 20.05.2019
Schulterschluss der europäischen Rechten: (v.l.) Geert Wilders, Matteo Salvini, Jörg Meuthen und Marine Le Pen im Mai 2019 in Mailand.
Rechter Zusammenschluss vor der Europawahl: Der italienische Innenminister Salvini sucht vor der Europawahl den Schulterschluss mit den europäischen Rechten: (v.l.) Geert Wilders, Matteo Salvini, Jörg Meuthen und Marine Le Pen. (*) (imago/Daniele Buffa)
"Darf ich dich kurz umarmen - für Europa?" Stutzen, Lachen, aber auch Kopfschütteln. Nicht alle Passanten auf der Piazza Maggiore in Bologna lassen sich auf diesen ungewöhnlichen Wahlkampf ein. Wer aber stehen bleibt, wird gedrückt und bekommt einen Werbezettel in die Hand, von Volt, einer jungen Partei, die vor allem eines ist: proeuropäisch und die es damit in Italien nicht leicht hat.
"Natürlich gibt es viele Italiener, die gegen Europa sind. Die europäischen Institutionen haben sie ja auch enttäuscht und viele Versprechen nicht gehalten. Im Moment ist die EU-Politik sehr weit weg von den Bürgern. Wir wollen dafür sorgen, dass sie wieder enger zusammenrücken."
In Bologna ganz vorne mit dabei ist Gillo Baldazzi, 36 Jahre alt, Unternehmensberater und wie seine Mitstreiter bei Volt kein Berufspolitiker. In allen acht Ländern, in denen die neue Partei antritt, können Bürger sie für dasselbe Programm wählen. Ein 200 Seiten starkes Manifest für mehr Europa auf allen Ebenen. Kleiner Schönheitsfehler: Im Gründungsland Italien darf Volt gar nicht antreten.
"Hier hätten wir dafür 150.000 Unterschriften gebraucht - das ist absurd. In Deutschland sind es nur 4.000. Daran sieht man: Die Parteien, die in Italien gerade an der Macht sind, wollen auf jeden Fall den Status quo verteidigen."
Neue Fraktion der Rechtspopulisten im EU-Parlament
Und das klingt in der italienischen Koalition aktuell so: Schuld sind entweder die Bürokraten in Brüssel oder "die Ausländer". Bei Matteo Salvini von der rechten Lega reicht die Klaviatur von europafeindlich bis nationalistisch. Und die "Festung Europa" will er nicht länger alleine verteidigen, sondern er schmiedet bereits Allianzen. Für eine neue Fraktion der rechtspopulistischen Parteien im Europaparlament. Enger zusammengerückt sind die am Wochenende bei einer gemeinsamen Demo in Mailand. Ein erstes Treffen gab es bereits Anfang April in Salvinis Heimatstadt ganz im Norden Italiens.
Die vier Politiker legen die Hände ineinander und lächeln in die Kamera
Innenminister Salvini (2.v.r.) posiert mit mit dem Finnen Olli Kotro (v.l.), mit AfD-Spitzenkandidat Meuthen und dem Dänen Anders Vistisen (AFP/Miguel Medina)
Gastgeber Matteo Salvini auf der Bühne neben Jörg Meuthen von der AfD und den Chefs der "Dänischen Volkspartei" und der "Wahren Finnen". Mit ihnen scherzt er, über die Presse lästert er, Brüssel attackiert er.
"Die Europäische Union repräsentiert einen Alptraum, keinen Traum. Und deshalb bin ich sehr froh, dass an diesem sonnigen Montagmorgen in Mailand Freunde gekommen sind, um neuen Saft, neues Blut, neue Hoffnung, neue Träume zu bringen. Am Tisch sind keine Extremisten und Rückwärtsgewandte. Diese ermüdende kleine Debatte Rechts-Links, Faschisten-Kommunisten, darauf habe ich keine Lust und darauf haben auch die 500 Millionen Einwohner Europas keine Lust."
"Prima gli italiani!", Italiener zuerst!
Zu wissen, was das "Volk" angeblich wirklich will, ganz im Gegensatz zur vermeintlichen Elite – eine Lektion wie aus dem Lehrbuch für Populisten. Salvini beherzigt sie und hat damit Erfolg. Seine Lega hat gute Chancen, im nächsten Europaparlament stärkste Einzelpartei zu werden. Die Rufe nach einem Austritt aus der Eurozone sind zwar mittlerweile verstummt – denn dafür gibt es auch in Italien keine Mehrheiten – umso lauter wirbt der Vize-Premier allerdings mit dem Slogan "Prima gli italiani!", Italiener zuerst!
Das Foto zeigt eine Kundgebung in Mailand, ein Mann hält einen Schal mit der Aufschrift (übersetzt): "Die Italiener zuerst".
"Die Italiener zuerst" - Kundgebung der rechten Allianz vor der Europawahl (dpa-Bildfunk / AP / Luca Bruno)
Für einen Schulterschluss auf europäischer Ebene ist das nicht nur auf den ersten Blick ein logischer Widerspruch, sagt der renommierte Politikwissenschaftler Giovanni Orsina, Professor an der römischen Universität Luiss.
"Diese Internationale der Nationalisten, das ist natürlich ein Paradoxon. Um das einzudämmen, muss man dafür sorgen, dass Europa funktioniert. Allerdings gibt es ein symmetrisches Paradoxon auch bei den Pro-Europäern, denn auch die sagen: Die EU funktioniert so nicht. Doch sie tun dagegen nichts."
Das habe den Frust in Italien enorm befeuert, spätestens seit der Regierungszeit des Technokraten Mario Monti 2011. Der ehemalige EU-Kommissar, der vielen als personifizierte Marionette Brüssels galt; einzig deshalb in den römischen Regierungspalast befördert, um den Spar- und Reformdruck weiter zu erhöhen.
Fehlende Solidarität der EU-Nachbarn
Gepaart mit fehlender Solidarität der europäischen Nachbarn in der Migrationspolitik ergebe das ebenjene toxische Mischung, die Salvini auch als Innenminister für sich zu nutzen weiß. Mit seiner sogenannten "Politik der geschlossenen Häfen" und seiner heftigen Kritik an privaten Seenotrettern hat er dafür gesorgt, dass die Migration deutlich zurückgegangen ist und den Italienern damit das geliefert, was er versprochen hat.
Der Politikwissenschaftler Giovanni Orsina:
"Salvini ist eine Bestie! Politisch gesehen. Mit sehr einfachen und klaren Botschaften. Das ist das Geheimnis seines Erfolgs. Salvini ist ein Anführer, sehr viel mehr als die Konkurrenz. Aber nicht, weil die Italiener per se einen starken Mann an der Spitze suchen. Vielmehr sind die Parteien in Italien enorm schwach. Die Parteienlandschaft ist extrem zersplittert. Und da sucht man nach einem Angelpunkt, einem Halt durch einen starken Anführer."
Der italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Partei Lega.
Innenminister Matteo Salvini führt die rechtspopulistische Partei Lega, die das "Nord" im Namen abgelegt hat (dpa / picture alliance / Leon Tanguy / MAXPPP)
Versäumnisse der letzten 20 Jahre spürbar
Erfolgreich kann Salvini auch deshalb sein, weil der parteilose Politikneuling Giuseppe Conte als Ministerpräsident blass bleibt. Und auch Luigi di Maio halten die wenigsten Italiener für einen echten Entscheidungsträger. Seine Fünf-Sterne-Bewegung hat nach einem Jahr in der Koalition mit der rechten Lega in Umfragen ein Drittel der Stimmen eingebüßt. Cinque Stelle hatte den Wählern alles Mögliche versprochen – unter anderem ein Grundeinkommen für alle. Durchsetzen konnte sie ihr Bürgergeld, das dem deutschen Hartz-IV ähnelt, dann nur mit vielen Abstrichen. Und das werde keines der vielen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Probleme lösen, sagt Michele Azzola, Chef der größten Gewerkschaft Europas CGIL in der Region Rom und Latium.
"Das Grundeinkommen hilft nur den ärmsten Familien, aber neue Arbeitsplätze werden dadurch nicht geschaffen. Dafür brauchen wir Investitionen, in den Verkehr, die Modernisierung der Industrie. Unser Land hat es für mindestens zwanzig Jahre versäumt zu investieren und die Konsequenzen sind jetzt überall deutlich."
Geld, das Italien gar nicht hat
Viele Italiener arbeiten unter prekären Verhältnissen, schwarz oder verlassen das Land gleich ganz. Jeder fünfte zwischen 15 und 34 ist arbeitslos. Auch damit für sie Jobs frei werden, hat die Regierung nun die Rentenreform von 2011 wieder zurückgenommen. Künftig gilt die so genannte Quota 100, das heißt: Lebensalter und Arbeitsjahre müssen zusammen 100 ergeben. Wer also 60 Jahre alt ist, muss 40 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Damit wurde ein weiteres wichtiges Wahlversprechen der Lega eingelöst.
"Es ist gut, dass so ein paar der Fehler der letzten Rentenreform ausgebügelt wurden, die dazu geführt hatten, dass die Italiener im EU-Vergleich mit am spätesten in Rente gehen. Aber das Widersprüchliche ist, dass wir einen Angestellten im Öffentlichen Dienst früher in Rente schicken als einen Maurer, der bis 67 durchhalten muss."
Eine Politik, die vor allem viel Geld kostet. Sieben Milliarden Euro sind für das Grundeinkommen veranschlagt, die Absenkung des Renteneintrittsalters kostet allein in diesem Jahr vier Milliarden und wenn es nach Salvini geht, dann kommt bald ein einheitlicher, niedriger Steuersatz, die so genannte Flat Tax. Finanziert mit Geld, das Italien gar nicht hat. Der Schuldenberg ist nach wie vor rekordverdächtig – daran ändert auch das minimale Wachstum im ersten Quartal nichts. Spätestens im Herbst dürfte das zum Problem werden, wenn das Urteil aus Brüssel kommt und Rom konkrete Zahlen zur Neuverschuldung vorlegen muss und die vereinbarten Ziele höchstwahrscheinlich verfehlen wird. Doch das ist eben erst nach der Europawahl.
"Salvini, das ist quasi eine faschistische Regierung"
Matteo Salvini Italian leader of the Lega Nord political party and member of the European Parliament during an election demonstration in Caserta, Campania region, southern Italy 21/02/2018 - Naples, Italy PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xSalvatorexLaportax/xIPAx/xKontrolabx
Salvini ist EU-Gegner und schmiedet rechte europäische Allianzen (imago stock&people)
Am ersten Mai, dem Tag der Arbeit, steht der Gewerkschaftschef auf der Piazza San Giovanni mitten in Rom - zusammen mit rund 30.000 Konzertbesuchern. Hinter ihm die Open-Air-Bühne vor der jahrhundertealten Basilika. Auch in diesem Jahr haben die Gewerkschaften am Primo Maggio zum Festival geladen. Kaum eine der Bands lässt es sich nehmen, die Gelegenheit für politische Botschaften zu nutzen.
In Zeiten, in denen das Land deutlich nach rechts rückt - da müsse man sich auflehnen. In denen die Attacken gegen Migranten zum Alltag gehörten und in denen es wieder salonfähig sei zu sagen: "Wir haben nichts gegen Ausländer, aber zu viele sollen eben auch nicht kommen." Studentin Chiara macht das wütend.
"Sagen wir mal so: Salvini, das ist quasi eine faschistische Regierung und das in einem Land, in dem Faschismus per Verfassung verboten ist. Das ist ja fast schon zum Lachen. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, das kommt alles zusammen in dieser einen Person."
Vom Verschleiß der Warnungen
Seine Lega schreckt nicht davor zurück, mehr oder weniger offene Allianzen mit der extremen Rechten einzugehen. All das befeuert Sorgen, Italien könnte erneut in den Faschismus abdriften – ein Land, das dieses dunkle Kapitel nach Ansicht von Historikern nie wirklich aufgearbeitet hat.
Politologe Orsina findet die Angst vor dem Faschismus verständlich, aber überzogen:
"Es gibt einen Anstieg verschiedener Intoleranzen, aber meiner Meinung nach ist der noch sehr marginal. Die neofaschistischen Parteien bekommen kaum Stimmen und die Rechte ist zwar rechts, aber noch im demokratischen Spektrum. Innerhalb der Lega sind zwar faschistische Elemente, aber auch die sind geringfügig. Auch zu Berlusconis Zeiten wurde immer wieder vor Faschismus gewarnt, doch auch nach all den Jahren ist Italien Demokratie geblieben. Deshalb glauben die Italiener die Warnungen nicht mehr. Je mehr man diese Waffe benutzt, riskiert man, dass sie nicht mehr funktioniert, wenn man sie wirklich braucht."
Die Lega punktet gegen Links
Unterdessen punktet die Lega, die erst vor kurzem das "Nord" aus ihrem Namen gestrichen hat, inzwischen auch im Süden des Landes. Und macht der Linken Schritt für Schritt ihre einstigen Hochburgen streitig.
Das lässt sich auch in Capalbio beobachten – nicht im Süden von Italien, sondern an der toskanischen Küste, gut zwei Autostunden von Rom entfernt. Auch Capalbio war mal fest in der Hand linker Politik. Am Tag der Europawahlen stimmen die 4.000 Einwohner auch über einen neuen Bürgermeister ab. Dass der künftig nicht mehr aus dem linken Lager kommen könnte, den Schock hat Maria Concetta Monaci noch nicht richtig verdaut.
In ihrem Lokal Frantoio – gleich neben der Kirche – trifft sich die so genannte linke Intelligenzia zum Aperitivo oder zum Abendessen. Es sind vor allem Politiker, Journalisten und Schauspieler aus Rom, die sich hier Pasta mit Wildschwein leisten, die zum Erholen in das mittelalterliche Städtchen kommen. Eine Klientel, die Salvini immer wieder zum Feindbild taugt – dieser "radical chic", den er "zum Kotzen" findet:
"Radikal? Mamma mia, das macht einem ja Angst! Vielleicht sogar noch extremistisch? Aber in Wirklichkeit sind das einfach denkende, kultivierte Menschen. Und chic? Bis zu einem gewissen Grad freut einen das ja sogar, wenn das heißt gebildet, sagen wir, mit Charakter. Ich lade Salvini ein, sich hier ein Bild davon zu machen, wie sehr Capalbio links ist oder 'radical chic' oder wie auch immer er das definiert."
Verlangen nach Rückkehr zum einstigen Wohlstand
Mit einem hat Salvini wohl recht: Die einstige linke Hochburg, die "Borgo rosso", Jahrzehnte lang erst fest in kommunistischer und dann in linker Hand, ist politisch nach rechts gerückt. Bei den Parlamentswahlen hat zuletzt auch hier die Lega gewonnen. Dabei hat die nicht mal eine eigene Sektion in Capalbio. Gastronomin Monaci erklärt sich das so:
"Capalbio ist von der großen Krise nicht verschont geblieben. Capalbio ist Italien. Es gibt das Verlangen nach einem Wandel oder auch nur einer Rückkehr zum einstigen Wohlstand. Offensichtlich haben wir in Capalbio Probleme damit, zu akzeptieren, also die Dinge zu akzeptieren, die diese nationale Krise mit sich bringt."
Keine Flüchtlinge nah am eigenen Ferienhaus
Italiens Innenminister Matteo Salvini in einer Fernsehdiskussion in Rom vor einem Bildschirm mit Schlauchboot und Flüchtingen, Juni 2018
Salvini bei einer Fernsehdiskussion zum Thema Flüchtlinge (imago / Samantha Zucchi)
Zum Beispiel, dass Flüchtlinge ins Land kommen. Die gibt es in Capalbio allerdings bis heute nicht. Kommen sollten 50, vor drei Jahren. Gescheitert ist das am Widerstand auch der linken Prominenz, an Leuten, denen das so nah am eigenen Ferienhaus dann doch nicht recht war. Und so ist Migration oder gar Integration kein Thema, an dem sich Valerio Lanzillo abarbeiten müsste.
Er legt Wert darauf, kein "Leghista" zu sein, also kein Kandidat der Lega. Der 66-jährige Zahnarzt tritt für die Liste "La nostra Capalbio" an. Dass Salvini ihn öffentlich unterstützt, dagegen hat er aber nichts. Und tatsächlich hat er gute Chancen, den Bürgermeister des sozialdemokratischen PD abzulösen.
"Der PD hat wohl einfach den Kontakt zu den Menschen verloren und stürzt deshalb ab. Während die Rechte, vor allem die Lega, zu ihnen hinabgestiegen ist und den Italienern die Zuversicht gegeben hat, die sie wollen. In Capalbio wurde vieles verschlafen, die Linke ist abgehoben und hat sich arrogant verhalten und das hat sie zum Absturz gebracht."
Das Dilemma der Fünf-Sterne-Bewegung
Landesweit liegt der Partito Democratico in Umfragen inzwischen wieder bei knapp über 21 Prozent. Wirklich erholt hat sich die Partei jedoch noch nicht, nach der krachenden Niederlage ihres Chefs Matteo Renzi. Monatelang ohne Anführer, ohne Wähler und ohne Gegenentwurf zu den Lautsprechern im Palazzo Chigi, wurde Nicola Zingaretti Anfang März zum neuen Chef der italienischen Opposition gewählt. Eher unbekannt, eher ruhig, sei der aber alles andere als ein Hoffnungsträger, meint Politikwissenschaftler Orsina.
"Zingaretti ist im Moment sehr schwach. Auch weil er kein starkes Charisma hat. Zingaretti versucht, die klassische Politik des PD zu konservieren, da kommt nichts Neues. Der PD versucht schlicht zu überleben, auf bessere Zeiten wartend, wahrscheinlich auf das Scheitern der Populisten."
Der Spitzenpolitiker der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi di Maio, gibt seine Stimme bei den Wahlen in Italien ab.
Luigi di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung bei einer Wahlveranstaltung 2018 - viele Italiener sind inzwischen desillusioniert (AFP / Carlo Hermann)
Ein Modus, den inzwischen auch die Fünf-Sterne-Bewegung kennt. Es zerreißt sie fast, dass sie auf nationaler Ebene die Politik des rechten Koalitionspartners mittragen muss – während sie die Lega auf regionaler und lokaler Ebene als politischen Feind bekämpft. Und dann ist da noch die Bürgermeisterin in Rom, die krachend gescheitert ist.
Statt "Onestá" vor allem Chaos
So sieht es der römische Journalist Massimiliano Tonelli, einer der größten Kritiker Virginia Raggis. Auf seinem erfolgreichen Blog sammelt er unter der Überschrift: "Roma fa schifo" – "Rom ist ekelhaft" – alles, was in der italienischen Hauptstadt nicht funktioniert:
"Das wird alles nicht mal mehr als Problem gesehen. Die Probleme mit dem Verkehr, der öffentlichen Verwaltung, der parkenden Autos – in dieser Atmosphäre leben die Römer, ohne dass ihnen mal jemand sagt, dass das gar nicht normal ist."
Das sei schon immer so gewesen, besonders schlimm sei es aber, seit die Bürgermeisterin der Fünf-Sterne vor drei Jahren übernommen hat. Und besonders enttäuschend. Schließlich hatten die versprochen, es so ganz anders zu machen als die vermeintlichen Altparteien. Statt "Onestá" – Rechtschaffenheit – gebe es nun vor allem Chaos:
"Kriminelle Energie gibt es auch, aber das sind vor allem erst mal Leute, die vollkommen unfähig sind. Da sind mir die korrupten lieber. Denn das Problem mit den Dummen ist, dass das nicht strafbar ist. Auf Idiotie steht keine Strafe. Und die richten dann Schaden an für Jahre."
Cinque Stelle "wie ein Chamäleon"
Ein gefundenes Fressen für den Koalitionspartner. Inzwischen fordert Lega-Chef Salvini sogar den Rücktritt der römischen Bürgermeisterin. Wohl auch als Retourkutsche dafür, dass sein enger Vertrauter kürzlich gehen musste. Staatssekretär Armando Siri wurde gefeuert, weil er verdächtigt wird, Bestechungsgelder kassiert zu haben; auch Kontakte zur sizilianischen Mafia werden ihm nachgesagt. Dass sich die personelle Schlammschlacht so zuspitzt: Für den Politikwissenschaftler Orsina ein Zeichen dafür, dass sich die Parteien kurz vor den Europawahlen profilieren und unterscheidbar werden wollen. Das habe vor allem die Partei von Vize-Chef Di Maio bitter nötig:
"Die Fünf-Sterne-Bewegung ist eine sehr viel komplexere Partei. Ihr Thema ist die direkte Demokratie und deshalb hat sie kein klassisches Parteiprogramm. Und so sind sie mal rechts, mal links, mal politisch in der Mitte, mal euroskeptisch, aber auch proeuropäisch. Pro und Contra Migranten. Wie ein Chamäleon."
Europawahlen elektrisieren nur die Wenigsten
Ein Chamäleon, das schon zu oft die Farbe des rechten Koalitionspartners angenommen hat. Auch im Kampf gegen teure Großprojekte sind die Fünf-Sterne immer wieder eingeknickt. Umso verbissener kämpfen sie derzeit gegen den Bau einer Hochgeschwindigkeitszugstrecke zwischen dem französischen Lyon und Turin. Doch auch hier zeichnet sich eine weitere Schlappe ab. Und so mehren sich die Stimmen derer, die vermuten, die Lega könnte die Schwäche des Koalitionspartners ausnutzen und die Regierung platzen lassen. Politologe Orsina gehört nicht dazu.
"Natürlich gibt es Spannungen und die sind groß. Aber seien wir vorsichtig, denn eine Alternative wäre sehr schwierig. Die Lega müsste eine Regierungskrise kreieren, danach wird es wohl auch keine anderen Mehrheiten geben, dann müsste es Neuwahlen geben. Das wäre wohl erst im Frühjahr. Und dann heißt das noch nicht, dass es dann ein anderes Ergebnis gäbe. Deswegen ist es gut möglich, dass die Regierung weitermacht nach den Wahlen. Nicht weil sie so gut wäre, sondern weil die Alternativen so schwierig sind."
Das helfe jedenfalls nicht gegen die allgegenwärtige Politikverdrossenheit, so Orsina. Und deshalb sei es auch kein Wunder, dass die anstehenden Europawahlen in Italien nur die wenigsten elektrisieren.

(*) Anmerkung der Redaktion: In der Bildunterschrift wurde die Bezeichnung der abgebildeten Personen korrigiert.