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Italienische Regierung
Ziemlich beste Feinde

In der italienischen Regierungskoalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega Nord kracht es gewaltig. Ausgangspunkt ist ein unter Korruptionsverdacht stehender Staatssekretär aus den Reihen der Lega. Beobachter vermuten das Lega-Chef Matteo Salvini den Konflikt ganz bewusst anheizt.

Von Jörg Seisselberg | 08.05.2019
Der italienische Vize-Premierminister Luigi Di Maio (l) und Innenminister Matteo Salvini
Politische Gegenspieler in einer Koalition: Der italienische Vize-Premierminister Luigi Di Maio (l.) und Innenminister Matteo Salvini (picture alliance / AP Photo / Angelo Carconi)
Das Verhältnis zwischen den beiden Koalitionspartner in Rom war nie einfach. Mitten im Europawahlkampf aber entwickeln sich Lega und Fünf-Sterne-Bewegung zu ziemlich besten Feinden. Vor der heutigen Kabinettsitzung, die zu einem Wendepunkt für die Regierung werden könnte, winkt Lega-Führer Matteo Salvini nur noch ab, wenn er auf den Koalitionspartner angesprochen wird: "Von der Opposition sind Kritik und Beleidigungen in einem gewissen Maße natürlich. Von jemandem, der dein Verbündeter sein sollte, nicht."
Fünf-Sterne-Bewegung fordert Rücktritt von Lega-Staatssekretär
Das Klima in der populistischen Regierung nähert sich dem Gefrierpunkt. Anlass ist der Streit der Partner über den Umgang mit einem zweitrangigen Regierungsmitglied. Armando Siri von der Lega, Staatssekretär im Transportministerium, wird von der Staatsanwaltschaft Rom Korruption vorgeworfen. Er soll für einen Unternehmer von Windkraftanlagen ein maßgeschneidertes Gesetz auf den Weg gebracht und dafür 30.000 Euro kassiert haben.
Anklage ist noch nicht erhoben. Die Fünf-Sterne-Bewegung fordert trotzdem genauso lautstark wie die Opposition, der Lega-Politiker solle sofort zurücktreten. Salvini empfindet das öffentliche Drängen des Koalitionspartners unmittelbar vor der Europawahl als Provokation. Sein Gegenspieler bei der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, dagegen lästert über die Salvini-Partei: "Was für ein Geschrei die Lega veranstaltet wegen eines Staatssekretärs."
Dossier: Europawahlen
Alle Beiträge zum Thema finden Sie auf unserem Europawahl-Portal (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Provokationen und Beleidigungen
Auf der Internetseite hat die Fünf-Sterne-Bewegung nachgelegt und Salvini und die Lega mit derben Worten aufgefordert, endlich Mut zu zeigen und Siri rauszuwerfen. Wörtlich heißt es im Blog der Fünf-Sterne-Bewegung über den Regierungspartner: Die Lega solle endlich "Eier zeigen" ("tirare fuori le palle"). Was Salvini nur noch mehr auf die Palme bringt:
"Ich habe vor nichts und niemandem Angst. Aber Worte haben ein Gewicht. Wenn jemand sagt, ‚Salvini, zeig’ deine Eier‘, dann erinnere ich nur daran, dass ich als Innenminister Patronenhülsen zugeschickt bekomme, wegen des Kriegs, den ich gegen die Mafia führe. Also: Haltet den Mund, arbeitet, und hört auf damit zu nerven und Mitmenschen zu beleidigen."
Ministerpräsident Conte hat das letzte Wort
Für Di Maio wiederum ist dies Anlass, Salvini an die Kräfteverhältnisse in der derzeitigen Regierung zu erinnern. Aufgrund der Wahlergebnisse im vergangenen Jahre ist die Fünf-Sterne-Bewegung aktuell stärkste Partei und könnte damit nach Ansicht Di Maios eine Ablösung des umstrittenen Staatssekretärs auch im Alleingang durchsetzen: "Wenn es zu einer Abstimmung in der Regierung über Siri kommen sollte, dann ist es so, dass die Fünf-Sterne-Bewegung die absolute Mehrheit im Kabinett hat."
Und sie hat auch Ministerpräsident Conte auf ihrer Seite. Der ehemaligen Professor ist zwar formell parteilos, war vor der Wahl aber Teil des Schattenkabinetts der Fünf-Sterne-Bewegung. Conte hat angekündigt, er werde in der Kabinettssitzung heute die Entlassung des Lega-Staatssekretärs vorschlagen. Eine Kampfabstimmung im Kabinett aber will Conte nicht zulassen. Laut Verfassung hat der Regierungschef auch alleine das Recht, dem Staatspräsidenten eine Entlassung eines Ministers oder Staatssekretärs vorzuschlagen.
Medien spekulieren über Salvinis Kalkül
Dass die Lega bei einem Rauswurf ihres Mannes kurz vor den Europawahlen aus der Regierung aussteigt, gilt trotz der aufgeheizten Stimmung als unwahrscheinlich. Oppositionsführer Zingaretti von der Demokratischen Partei hält den Streit so oder so für inszeniert, sagt, es gehe beiden populistischen Parteien nur um mediale Aufmerksamkeit. Gegen diese Version spricht, dass der Konflikt mittlerweile zu einer verbalen Schlammschlacht und offensichtlich außer Kontrolle geraten ist.
In einigen italienischen Medien wird darüber spekuliert, dass Salvini diesen Konflikt ganz bewusst anheizt: Um einen Grund mehr zu haben, nach dem von ihm erhofften Sieg bei der Europawahl aus der Regierung auszusteigen. Um Neuwahlen zu provozieren - und dann möglichst in einem neuen Rechtsbündnis selbst Ministerpräsident zu werden.