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Italienisches Flüchtlingsdorf Riace
Ein Modell auf der Kippe

Jahrelang holte der Bürgermeister von Riace Flüchtlinge in sein kleines Dorf in Kalabrien, auch um es vor dem Aussterben zu bewahren. Der rechtspopulistischen Regierung in Rom passt das überhaupt nicht. Der Bürgermeister wurde unter Hausarrest gesetzt - und muss nun sogar Riace verlassen.

Von Jan-Christoph Kitzler | 22.10.2018
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    Domenico Lucano, bisheriger Bürgermeister von Riace: "Ich kann mich in ganz Italien frei bewegen, nur nach Riace kann ich nicht." (Foto: Eberhard Schade)
    Sie haben demonstriert für "Mimmo" Ihren Bürgermeister - aber genützt hat es nichts. Zwar ist Domenico Lucano wieder auf freiem Fuß – aber Riace, das Dorf, wo er bis vor wenigen Tagen der Bürgermeister war, darf er bis auf weiteres nicht betreten:
    "Ich kann mich in ganz Italien frei bewegen, nur nach Riace kann ich nicht. Das ist paradox. Einerseits bin ich zufrieden, anderseits verbittert."
    Riace in Kalabrien ist in den letzten Jahren zu einem Beispiel dafür geworden, dass Migration auch ihre guten Seiten hat - wenn man sie denn beherzt gestaltet. Jahrelang hatte Mimmo Lucano zugesehen, wie seine Gemeinde immer weniger wurde. Immer mehr Menschen wanderten ab mangels Perspektiven. Läden, Restaurants machten zu, schließlich auch noch die Schule. Als Lucano dann Bürgermeister wurde und immer mehr Migranten, Flüchtlinge bei ihm auf der Durchreise waren, beschloss er das Schicksal von Riace in die Hand zu nehmen. Er stellte den Migrantenfamilien leerstehende Häuser zur Verfügung, gründete Kooperativen, die sie in Arbeit und Brot brachten und setzte europäische und italienische Fördergelder so geschickt ein, dass viele hierherkamen, um das "Wunder von Riace" zu bestaunen. Der Ort erwachte wieder zum Leben, sogar die Schule öffnete wieder. Domenico Lucano erklärt:
    Das "Wunder von Riace"
    "Anstatt dass das ein Problem ist für die Gemeinde und für ganze Gebiete im Landesinneren von Kalabrien, wo es eine starke Abwanderung gibt, haben die Migranten dazu beigetragen, das Problem zu lösen und über die Resignation zu siegen. Die Flüchtlinge haben Gemeinschaften wiederauferstehen lassen. Die Leute sagen: Wir wollen weiter denken, dass wir in dieser Gegend leben können."
    Doch nun hat Domenico Lucano massiven Ärger: Die Staatsanwälte aus Locri werfen ihm vor, dass er versucht habe, eine Scheinehe zu arrangieren, um zu verhindern, dass eine Nigerianerin abgeschoben wird. Außerdem soll er die Müllentsorgung von Riace ohne Ausschreibung an eine der Kooperativen vergeben haben. Eine Demonstrantin vermutet, Riace mit seiner positiven Geschichte von der Migration passt vor allem der neuen rechtspopulistischen Regierung in Rom nicht in den Kram, wo Innenminister Matteo Salvini eine harte Linie fährt. Deshalb wolle man in Riace das Rad zurückdrehen. Sie sagt:
    "Riace bedeutet so viel - und das ist der Grund, warum man es angreift, warum man es abwickeln will, um den Ort wieder in die Hände der Mafia, der Spekulanten und von Privatleuten zu geben, die Millionensummen verschieben - ein Geschenk an die, die uns bestehlen und uns jeden Tag hungern lassen."
    Wer auch immer den Anstoß gab, um Mimmo Lucano aus dem Verkehr zu ziehen: Innenminister Matteo Salvini bemüht sich kaum, seine Zufriedenheit zu verbergen:
    "Wenn jemand der Meinung war, man sollte den Champion der Gutbürger und der Aufnahme von Migranten einsperren, dann mache ich einen Schritt zur Seite, ich feiere nie, wenn ein freier Bürger festgenommen wird. Aber vielleicht ist das der Beleg dafür, dass die Migration außer Kontrolle, die von manchen Medien unterstützt wird, zum Verbrechen führt. Ich bin aber kein Richter und kein Rechtsanwalt. Die Staatsanwaltschaft von Locri wird ihre Gründe haben. Ich wünsche dem Bürgermeister und seinen Sponsoren viel Glück. Aber ich nehme das zur Kenntnis - mit Bedauern und Erschütterung."
    Die meisten Migranten sind schon wieder weg
    In Riace ist das Klima rauer geworden. Fördergelder wurden gestrichen; von den früher bis zu 400 Migranten, sind noch etwa 100 geblieben. Immerhin ist Matteo Salvini nach Berichten, sie sollten abtransportiert werden, zurückgerudert. Mimmo Lucano muss sich von Riace fernhalten; das Verfahren gegen Ihn läuft weiter. Aber er bekommt viel Solidarität aus anderen Gemeinden, die sich ebenfalls für Migranten einsetzen. Über 260 haben sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, 15.000 Menschen haben in Süditalien mit der Unterbringung von Migranten Arbeit gefunden.
    Giovanni Maiolo, der Präsident des Gemeindeverbundes hat einen Vorschlag:
    "Wir haben unsere Bürgermeister gebeten, Mimmo Lucano zum Ehrenbürger zu machen. Riace war in diesen Jahren das Zuhause für alle. Dank vor allem Domenico Lucano haben viele Obdachlose hier ein Zuhause gefunden. Hoffen wir, dass Riace durch die Entscheidung der Richter nur für kurze Zeit nicht mehr das Zuhause von Domenico Lucano sein kann - deshalb wäre es schön, wenn Mimmo Lucano die Solidarität der anderen Gemeinden spürt, indem sie ihn zum Ehrenbürger machen."
    Riace steht dafür, dass sich mit der neuen Regierung in Rom der Wind gedreht hat, aber gleichzeitig auch dafür, dass es immer noch viel Solidarität gibt für Migranten, die nach der Flucht über das Mittelmeer in Italien stranden.