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"Iwanow" am Volkstheater Wien
Balance zwischen Langeweile, Bosheit und Verzweiflung

Der Staatsbeamte Iwanow gibt in Tschechows Stück aus purer Langeweile und Depression alles auf: Der Ungar Viktor Bòdo hat dieses Stück nun in Wien inszeniert.

Von Michael Laages | 19.03.2016
    Das ist tatsächlich neu: Das Volkstheater in Wien versieht die Aufführungen wohl nicht nur dieses Stückes mit ungarischen Untertiteln; und Iwanows letzte Worte erklingen magyarisch. Setzt das Haus nun etwa mitten in Anna Badoras bemerkenswertem Aufbruch verschärft auf Kundschaft aus dem EU-Nachbarland, die der extrem restriktiven, ja reaktionären Kulturpolitik dort durch die knappe Reise von Budapest nach Wien entfliehen möchte?
    Die interessanteren Regietalente Ungarns sind ja mittlerweile immer öfter jenseits der eigenen Landesgrenzen anzutreffen. Viktor Bòdo war mit der "Szputnik Shipping Company" aber schon lange zum Grenzgänger geworden; und sein Erfolg hatte auch viel mit dem sehr eigenwilligen Profil dieses Ensembles zu tun. "Iwanow" jetzt ist demgegenüber zuallererst eine Inszenierung mit dem weit weniger speziellen Ensemble des Wiener Volkstheaters.
    Wie ja überhaupt die Regiegrößen der freien Szene die Besonderheiten der eigenen Arbeit generell nicht immer bruchlos übertragen können ins Stadt- und Staatstheater; und so kommt auch dieser "Iwanow" jenseits einiger sehr überzeugender Behauptungen nicht sehr weit über sehr solides Mittelmaß hinaus. Was im Übrigen auch am Regie-Bemühen um die Komödie liegt: Tschechows Stücke sind ja immer welche, wie finster die Charaktere auch sein mögen - Iwanow ist sicher der mit Abstand finsterste - und wie nahe auch immer die Depression bis zum Selbstmord liegt.
    Bòdo lässt Stück so komisch wie möglich sein
    Bòdo lässt die Truppe nun so komisch wie möglich sein, mit vielen traurigen Trinkern, lustiger Witwe, geiziger Gattin und einer hingebungsvoll humpelnden Heiratsvermittlerin. Auch Arzt Lwow, der einzig Vernünftige unter all diesen abgründigen Provinzlern, wird zur Karikatur eines Mannes mit Helfersyndrom, der vor lauter gutem Willen kaum geradeaus schauen kann.
    Den Vogel schießt allerdings Gutsverwalter Borkin ab, der Iwanow regelmäßig mit immer neuen Kommerzideen fürs Geldscheffeln nervt und dem Affen darüber hinaus derart viel Comedy-Zucker gibt, dass die Inszenierung bei diesen Auftritten prompt und anfallsartig an Amüsiervergiftung zu leiden beginnt. Da rückt Iwanows liebend-leidende Gattin Anna Petrowna, beim Volkstheater-Shooting-Star Stefanie Reinsperger in besten Händen, fast in den Hintergrund.
    Und auch Jan Thümer müht sich in der Titelrolle nie um Sympathie oder auch nur Verständnis – in Unterzeug und Badelatschen hatscht er im dekorativ marode gebauten Bühnenhaus von Lorinc Boros herum; wenn er später die eigenen Niedertrachten referiert, wird ihm nicht nur vom Wodka schlecht.
    "Es ist noch nicht mal ein Jahr her, da war ich gesund und stark; voller Tatendrang, unerbittlich, feurig. Ich konnte Reden halten, dass sogar die Ignoranten hier zu Tränen gerührt waren. Und mit genau diesen Händen habe ich gearbeitet! – Und jetzt? Ich hab' keine Kraft mehr. Ich bereue nichts. Ich fürchte den morgigen Tag."
    Jan Thümer sucht und findet den gefährlichen Balancegrat zwischen Langeweile, Bosheit und Verzweiflung; das ist sehr sehenswert. Aber genau das ist halt auch der Kern des Stücks; wer den nicht erreicht, braucht gar nicht erst anzufangen. Und dieser Iwamow muss sich am Schluss auch nicht - wie in Tschechows zweiter Fassung des Stücks - erschießen; die Tragödie - oder eben Komödie - wird wohl weiter gehen.
    Stück spielt in jüngerer Vergangenheit
    Sie spielt ja in Wien auch ganz und gar in der jüngerer Vergangenheit irgendeiner rest-sozialistischen Magyaren-Provinz – alte Rippen-Heizkörper gibt's; Sperrholztüren, die auch mal aus den Angeln gehen; Plattenspieler mit richtigen Schallplatten - auf denen aber nichts zu hören ist; ein altes Kofferradio; eine noch viel ältere Badewanne - in der der Herr Doktor der sterbenskranken Anna nach der schlimmsten Enttäuschung mit dem Gatten Iwanow ein Eisbad bereitet; einen Uralt-Ventilator, der am Ende stilvoll zu Bruch geht; einen alten Wäschetrockner gar, der hier zweckentfremdet wird fürs Anmischen einer ganz besonders starken Wodka-Variante.
    All das ist immer ein bisschen zu neckisch und zu niedlich; von der fundamentalen Verwirrung, die – sagen wir mal - Dimiter Gotscheff - Gott hab' ihn selig - mit diesem grandiosen Theatertext anzustiften vermochte, bleibt Viktor Bòdos Wiener Fassung ein paar Welten weit entfernt.