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J. C. Bachs Oper "Zanaida"
Einst verschollen - nun modern inszeniert in Mainz

Gut 250 Jahre war die Oper "Zanaida" von Johann Christian Bach verschollen. In New York wurde sie wiederentdeckt und 2011 in einer historisch informierten Aufführung dargeboten. Das Staatstheater Mainz geht einen anderen Weg: Barock trifft Science-Fiction - unterm Strich eine gelungene Inszenierung.

Von Ursula Böhmer | 11.11.2019
    Die Original-Partitur der Oper "Zanaida" von Johann Christian Bach (1735-1782), dem jüngsten Sohn des einstigen Thomaskantors Johann Sebastian Bach (1685-1750)
    Die Original Partitur der Oper "Zanaida" von Johann Christian Bach, dem jüngsten Sohn Johann Sebastian Bachs (imago/epd)
    Prozessauftakt im Palast von König Tamasse. Der König beschuldigt Zanaida, einen Mordkomplott gegen ihn geschmiedet zu haben. Um den Friedensschluss ihrer vormals verfeindeten Völker zu besiegeln, soll Tamasse die Prinzessin eigentlich heiraten. Doch er will sie loswerden, weil er die schöne Osira liebt. Seine Intrige geht auf: Auf Zanaida wartet nun die Guillotine, die wie ein bedrohliches Monster auf der Bühne im Staatstheater Mainz steht.
    Das Unfassbare geschieht: Zanaida bleibt, aller Schmach zum Trotz, gefasst, verzeiht allen – und wird Tamasse damit am Ende doch noch für sich gewinnen. "La clemenza di Zanaida"? Tatsächlich erinnert die Musik, die Johann Christian Bach 1763 zu seiner Oper schuf, stark an Mozart, der nicht von ungefähr ein großer Verehrer des Bach-Sohnes war.
    "Es ist sehr lebendig, voller Lebensfreude! Die Längen sind wunderbar. Es ruht sich nie zu lang aus", findet auch der Dirigent der Mainzer Neu-Produktion, Adam Benzwi: "Wir haben mal ein Vorspiel gestrichen - sonst hört man die Original-Längen, und das ist kurzweilig! Es ist ein Füllhorn an Melodien! Das ist ein Festessen für Sänger!"
    Barock trifft Science-Fiction
    Zu diesem "Füllhorn an Melodien" gehört auch diese temperamentvolle Arie des Tamasse, die der Countertenor Alain Deleanu in Mainz ansprechend singt. Gut 250 Jahre galt Bachs Oper als verschollen – dann kaufte ein New Yorker Reeder das Manuskript und ließ es in eine Aufführungsfassung bringen. 2011 wurde "Zanaida" beim Bachfest Leipzig wieder wachgeküsst – in einer historisch informierten Aufführung, mit barocken Kostümen, Handgesten und historischen Instrumenten. Der Theater- und Fernsehschauspieler Max Hopp geht am Staatstheater Mainz nun einen ganz anderen Weg. Barock meets Science-Fiction:
    "Wir sind in einer Welt, wo es keine Ressourcen mehr gibt, wo es kein Wasser mehr gibt, wo es auch keinen Wald mehr gibt! Und auch der Krieg, der in der ursprünglichen Partitur, zwischen Persien und der Türkei stattfindet, findet bei uns zwischen Punia und Numidien statt. Das sind also Fantasie-Planeten, könnte man sagen, wo der eine noch Ressourcen hat und der andere nicht."
    Der estnische Bühnenausstatter Madis Nurms setzt auf der fast leeren Mainzer Bühne fantastische Kostüme ein: Macho-König Tamasse und seiner Verwandtschaft wachsen mit Perlen und Gold verzierte Widderhörner aus den Schädeln heraus – als Zeichen rücksichtsloser Potenz. Zanaida und ihre Gefolgsleute hingegen tragen das dritte Auge auf der Stirn, das in spirituellen Welten für den Weg zu Intuition, Weisheit und Erkenntnis steht. Das Dreieck spielt auch im Symbol der Freimaurer eine Rolle, denen wiederum Johann Christian Bach 1762 in London beigetreten war. Nur ein Jahr später schafft er mit "Zanaida" eine Opernfigur, der Empathie und Verzeihen können alles ist. Unglaubwürdig fand Regisseur Max Hopp das zunächst - dann aber:
    "Wir haben dann entdeckt, dass diese Figur eine innerliche Arbeit vollzieht, weil sie immer in Reaktion auf das ist, was ihr wiederfährt und damit umgehen muss – dass sie also nicht, wie andere Figuren, von innen nach außen handelt, sondern sie muss durch äußerliche Einwirkungen nach innen handeln, um dem begegnen zu können! Und dadurch wird diese Frauenfigur unheimlich groß und zu einer wahren Kämpferin und nicht zu einer Leidenden!"
    Opferlamm in rotem Ballkleid
    Von Zanaidas inneren Kämpfen ist auf der Mainzer Bühne allerdings wenig zu sehen. Ein Opferlamm im liebesroten Ballkleid, bleibt die stimmlich gut aufgelegte Sopranistin Alexandra Samouilidou darstellerisch blass - wie Regisseur Max Hopp auch die übrigen, sonst so agilen Mainzer Sänger mehr dastehen als darstellen lässt. Überhaupt wird man den Eindruck nicht los, dass Hopp mit dem Genre Oper nicht viel anfangen kann. Das original italienische Libretto zu Bachs Werk hat er von Songwriterin Doris Decker ins Deutsche übersetzen lassen:
    "Und bei 60, 70 Prozent bin ich dem Inhalt treu geblieben, habe aber den Inhalt – da Max ja die Fassung geändert und die Charaktere verschärft hat -, den Inhalt auch verschärft, gewürzt, die Essenz der Aussage noch ein bisschen mehr hervorgebracht, persönlicher gemacht, emotionaler. Weil die Sprache im Barock ist ja ein bisschen distanziert, geheimnisvoll, symbolhaft, das sind 4-Zeiler- oder 8-Zeiler-Gedichte, das klingt dann manchmal wie Sprichwörter!"
    Ob Zeilen wie "Alles hängt ab von guten Argumenten" oder "Das Leben ist hart" allerdings die besseren Alternativen sind, sei dahingestellt. Verständlicher wird die Handlung hier immerhin - zumal Max Hopp zwei Nebenfiguren herausgekürzt hat und aus einer weiteren Tamasses Bruder gemacht hat. Die Brüder konkurrieren hier um den Thron, um die Mutterliebe – und um die Kriegsgeisel Osira, die mit strahlendem Sopran gesungen wird von Dorin Rahardja.
    Die Konflikte, die Max Hopp und Doris Decker aus der Bach-Oper herausgearbeitet haben, wären eigentlich abendfüllend genug. Doch Max Hopp will noch mehr – und holt zwischendurch immer mal wieder einen kriegstraumatisierten Feldherrn vor den Bühnenvorhang.
    Der Blechtrommler zitiert Jünger
    Zitternd, die nackte Panik in den Augen, rezitiert Schauspieler David Bennent hier unter anderem Texte von Ernst Jünger. Bennent, der 1979 als wachrüttelnder "Blechtrommler" in Volker Schlöndorffs Romanverfilmung berühmt wurde, ist zweifellos grandios – lenkt aber auch vom eigentlichen Bühnengeschehen ab. Ebenso die Tänzerin und der Tänzer, die hier immer mal wieder Geschlechterkämpfe austragen müssen - dabei auch begleitet werden von dem fantastischen Mainzer Mädchenchor am Dom.
    Wie ein antiker Chor kommentiert der Mädchenchor hier immer wieder die Szenerie – aber was bitte hat das Lied "Ave generosa" der Hildegard von Bingen in Bachs Musik zu suchen? Weniger Regie wäre ein "Mehr" an Oper gewesen. Dennoch gelingt in Mainz unterm Strich ein sehenswerter und - auch dank des sensibel begleitenden Philharmonischen Staatsorchesters – ein hörenswerter Abend.