Dienstag, 23. April 2024

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J.J. Voskuil: "Nicoliens Mutter"
Das Drama des Vergessens

Leser,die J.J. Voskuils Mega-Roman "Das Büro" mit Begeisterung gelesen haben, werden auch "Nicoliens Mutter" mögen. Der Kurzroman wurde bereits 1999 in den Niederlanden veröffentlicht. Ein Auszug ist nun im "Schreibheft" zu lesen. Das Personal ist schon bekannt, das Thema aber ein anderes: Demenz.

Gerd Busse im Gespräch mit Angela Gutzeit | 13.09.2019
Cover vom "Schreibheft", Nr. 93
Demenz - der Kampf gegen das Vergessen (Rigodon Verlag)
Johannes Jacobus Voskuil, kurz J.J. Voskuil, hatte sich das erste Mal in den 60er Jahren als Schriftsteller versucht. Ohne großen Erfolg. Der kam dann schlagartig, als der Niederländer, Jahrgang 1926, nach seiner Pensionierung in den 90er Jahren damit begann, seine dreißigjährige Tätigkeit im Amsterdamer Naturkunde-Museum literarisch zu verarbeiten. In sieben Bänden und auf 5200 Seiten schrieb Voskuil seine Büro-Erfahrungen nieder. Das autobiografische Romanwerk "Het Bureau/ "Das Büro" löste in den Niederlanden eine wahre Leser-Euphorie, eine Bureaumanie, aus. Fast eine halbe Million Mal gingen die sieben Bände über den Ladentisch. Auch in Deutschland feierte "Het Bureau" in der Übersetzung aus dem Niederländischen von Gerd Busse Erfolge.
Das Drama der Demenz
Nun hat Busse deutschen Voskuil-Fans einen weiteren Text des 2008 verstorbenen Niederländers zugänglich gemacht: 22 Seiten aus Voskuils 1999 in den Niederlanden veröffentlichten Roman "De moeder van Nicolien"/ "Nicoliens Mutter". Im Gespräch mit Angela Gutzeit erzählte Gerd Busse, dieser Kurzroman sei so etwas wie ein "Satellitenroman" von "Das Büro". Zentrale Figuren des Roman seien identisch, nur stehe in "Nicoliens Mutter" die Schwiegermutter im Mittelpunkt, deren schleichende Demenz von der Tochter und dem Schwiegersohn zunächst kaum bemerkt werde, dann aber immer mehr Raum greifen und schließlich jegliche Kommunikation zum Erliegen bringen würde.
Filmreifes Schreiben
Das Thema Demenz ist in der Gegenwartsliteratur mittlerweile häufig anzutreffen. So hat der Schriftsteller David Wagner gerade einen Roman mit dem Titel "Der vergessliche Riese" über seinen demenzkranken Vater veröffentlicht. Auf die Frage, was die Faszination des Voskuil’schen Schreibens gerade auch bei diesem Thema ausmache, meinte Busse: "Ich glaube, das Besondere an Voskuil ist diese unglaublich schlichte, nüchterne Art zu schreiben, zu versuchen, die Wirklichkeit abzubilden, mit sehr, sehr vielen Details." Die andere Seite sei, dass Voskuil ein unglaublich guter Dialogerzähler sei. "Seine Dialoge sind eigentlich filmreif", so Busse. So eben auch in "Nicoliens Mutter". Voskuil schaffe es, die sich immer mehr ausweitenden Löcher im Erinnerungsvermögen der Frau literarisch abzubilden. Nach der Veröffentlichung des Romanauszugs in der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift "Schreibheft" sieht Gerd Busse gute Chancen für die Veröffentlichung auch hierzulande. "Als Reaktion auf die "Schreibheft"-Veröffentlichung meldete sich ein kleiner, aber sehr feiner Verlag aus Berlin, der so begeistert war, so Busse, dass er sofort ein Angebot bei dem niederländischen Verlag van Oorschot abgegeben hat."
J.J. Voskuil: "Nocoliens Mutter"
Romanauszug in "Schreibheft" Nr. 93/ September 2019
Rigodon Verlag, Essen.