Donnerstag, 28. März 2024

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"Ja, es kann einem schwindelig werden"

Das Rettungspaket für hochverschuldete Euroländer in Höhe von bis zu 750 Milliarden Euro ist nach Ansicht des früheren Bundesfinanzministers Hans Eichel (SPD) alternativlos. Im nächsten Schritt müsse man den Finanzmärkten endgültig Grenzen aufzeigen und den präventiven Arm des Stabilitätspakts schärfen.

Hans Eichel im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.05.2010
    Friedbert Meurer: Das waren dramatische Stunden in Düsseldorf und wahrscheinlich noch mehr in Brüssel, denn die EU-Finanzminister haben bis tief in die Nacht hinein verhandelt. Es war absoluter Zeitdruck vorhanden. Man wollte eine Entscheidung finden, einen Schutzschild für den Euro, bevor heute die Finanzmärkte öffnen. Das ganze Programm umfasst ein Volumen von 750 Milliarden Euro. Parallel tagte der Kern des Bundeskabinetts gestern Abend in Berlin.
    Mitgehört hat der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD), den ich jetzt begrüßen kann. Guten Morgen, Herr Eichel.

    Hans Eichel: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Kurz noch mal zusammengerechnet. 60 Milliarden aus dem EU-Gemeinschaftshaushalt, 440 Milliarden über eine Zweckgesellschaft und der IWF legt 250 Milliarden drauf, macht 750 Milliarden Euro. Wird Ihnen da schwindelig?

    Eichel: Ja. Es kann einem in diesen zwei Jahren jetzt seit Ausbruch der Finanzkrise, gut eineinhalb Jahren, bei den Zahlen wirklich schwindelig werden. Andererseits man muss immer wieder Garantien und frisches Geld auseinanderhalten. Bisher, zum Beispiel auch beim Rettungspaket für die Banken, sind die Garantien für den Steuerzahler überhaupt nicht teuerer geworden, sondern er hat noch Geld eingenommen. Das Problem ist die Rekapitalisierung der Banken, da geht es um wesentlich geringere Summen, aber um beträchtliche, wenn man an frühere Zahlen denkt, die sehr viel zurückhaltender gewesen sind. Ja, es kann einem schwindelig werden.

    Meurer: Die Telefonleitung wird leider etwas schlechter; wir versuchen mal, sie aufrecht zu halten. – Halten Sie das alles für verantwortlich, was jetzt beschlossen wird, und auch für vereinbar mit den EU-Verträgen?

    Eichel: Ja, und ich denke, es gibt in dieser Situation sowieso nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir marschieren zurück und sagen, die Einigung Europas war ein Irrtum, oder wir sagen, wir lassen uns das von den internationalen Finanzmärkten und insbesondere von der Wall Street in Washington nicht kaputt machen, wir gehen nach vorne. Dazu haben sich die Finanzminister und letztlich dann auch telefonisch die Regierungschefs in der letzten Nacht entschieden, und ich halte das für richtig. Das ist die einzig zukunftsgerichtete Politik. Wir müssen jetzt den Finanzmärkten endgültig zeigen, wo ihre Grenzen sind, und der Fehler der letzten beiden Jahre war, dass das bisher viel zu wenig geschehen ist.

    Meurer: Eben hat FDP-Generalsekretär Christian Lindner namentlich Sie, Herr Eichel, kritisiert. Sie waren damals Bundesfinanzminister, als Griechenland in den Euro-Club aufgenommen worden ist. Hatten Sie damals die Kriterien aufgeweicht?

    Eichel: Nein, natürlich nicht, sondern es gab einen Bericht der Europäischen Zentralbank und es gab einen Bericht der EU-Kommission. Wir haben ja nicht die Gerichte Griechenlands gesehen, sondern diese beiden Institutionen, die bekannt sehr seriös arbeiten, und sie haben uneingeschränkt die Aufnahme empfohlen, und genauso ist das dann auch passiert. Also das ist dummes Zeug. Aber es hilft ja auch nicht weiter, in der gegenwärtigen Situation, und Herr Lindner sollte endlich mal klar Farbe bekennen, wie er es mit der Regulierung der Finanzmärkte hält, oder ob er dem Treiben der Spekulanten doch zusehen und irgendwo dabei vielleicht noch ganz am Schluss ein Nutznießer sein will.

    Meurer: Im Nachhinein, Herr Eichel, hätten Sie das nicht trotzdem erkennen können mit Griechenland? Gab es keine Warnungen?

    Eichel: Nein. Ich sage noch mal: Die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission haben gesagt, uneingeschränkt geeignet, und genauso ist das damals auch von allen entschieden worden. Es gab später Probleme und das hat noch in meiner Amtszeit angefangen, Ende 2004 etwa. Da ist langsam auffällig geworden, dass die neue, damals neue griechische Regierung ganz offenkundig ziemlich leichtfertig mit dem Geld umging, und das hat sich ja dann im letzten Jahr auch dramatisch überschlagen. Da in der Tat kann man sagen muss man den Stabilitätspakt, und zwar den präventiven Arm, schärfen. Man muss im Vorfeld so etwas verhindern können, und da müssen wir sehr viel härter werden.

    Meurer: Wie groß ist die Gefahr, Herr Eichel, dass die Maßnahmen, die jetzt in Brüssel beschlossen worden sind, den Bundeshaushalt belasten werden?

    Eichel: Das kann keiner genau sagen. Ich sage nur im Umkehrschluss: Wer meint, er muss diesem Druck nachgeben und am Schluss die Eurozone wieder auflösen und letzten Endes damit auch den Binnenmarkt wieder auflösen, denn letzten Endes wird die Eurozone mal den ganzen Binnenmarkt umfassen, der macht das Schlimmste, was überhaupt passieren kann, denn ein Flickenteppich in Europa, der dann auch noch gegeneinander geht, das heißt, dass Europa in der Welt von morgen überhaupt keine Rolle mehr spielt und sich selber untereinander zerfleischt. Das kann nur jemand wollen, der mit Geld in einem solchen Flickenteppich viel Geld verdienen will, und das ist die Spekulation, und genau der müssen wir das Handwerk legen.

    Meurer: Werden andererseits EU-Länder nicht belohnt, die sich in ihrer Haushaltspolitik falsch verhalten haben?

    Eichel: Gucken Sie jetzt die Griechen an, da ist ja von Belohnung nun wirklich nichts zu sehen, sondern das ist ein derartig drastisches Sparpaket. Man muss das auf Deutschland mal übersetzen. Was da in Griechenland in einem Jahr gefordert wird, hieße für Deutschland 100 Milliarden Euro in einem Jahr, und ich bin gespannt – und dann kann Herr Lindner ja noch mal zeigen, was er kann -, ob denn die Bundesregierung wenigstens die 10 Milliarden, die sie angesichts der Schuldenbremse, die wir im Grundgesetz haben, und angesichts des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes im nächsten Jahr an Einsparungen bringen muss, ob sie das bringt. Das warten wir mal ab. Ich weiß, was ich in 1999, 2000 und den Folgejahren an Einsparungen zu Wege gebracht habe; das war mehr. Nun wollen wir mal sehen, was die jetzige Bundesregierung da leistet.

    Meurer: Der ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Schönen Dank, Herr Eichel, auf Wiederhören.

    Eichel: Ja, bitte schön. Auf Wiederhören!