Dienstag, 19. März 2024

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Jacinda Ardern und die sozialen Medien
Historische Siegerin

Neuseeland Premierministerin Jacinda Ardern ist mit einem historischen Wahlergebnis wiedergewählt worden. Eines ihrer Erfolgsrezepte ist ihre Politikkommunikation über soziale Medien, insbesondere Facebook-Live.

Anke Richter im Gespräch mit Mirjam Kid | 19.10.2020
Historischer Wahlsieg für Neuseelands Labour-Partei und ihre Chefin Jacinda Ardern am 17.10.2020
Historischer Wahlsieg für Neuseelands Labour-Partei und ihre Chefin Jacinda Ardern (dpa / XinHua / Zhao Gang)
Mirjam Kid: Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern nach ihrer Wiederwahl am Samstag: "Lasst uns weitermachen!"
Und dann der Jubel, Begeisterung und Partymusik bei der Labour Partei in Neuseeland, nach dem Blick auf die Wahlergebnisse. Premierministerin Ardern hat, man kann es nicht anders sagen, diese Wahl mit einem Erdrutsch-Sieg für sich entschieden. Es ist das beste Ergebnis für die Labour Partei seit 50 Jahren – wenn nicht sogar, in der gesamten Geschichte des demokratischen Mehrparteien Systems in Neuseeland.
Wie hat sie es geschafft, in Zeiten einer globalen Pandemie, in Zeiten von Corona, in Zeiten von Wohnungsknappheit und rechtsextremen Terroranschlägen – auch in Neuseeland – als amtierende Premier die Bevölkerung so für sich zu begeistern. Sprechen wir drüber, mit der Journalistin Anke Richter, die in Christchurch, in Neuseeland lebt – und die ich wegen der Zeitverschiebung, kurz vor unserer Sendung sprechen konnte.
Und sie habe ich zuerst gefragt, wie viel Jacinda Arderns Wahlerfolg mit ihrer Art zu Kommunizieren und mit ihrer Art der Politikvermittlung über die Medien und auch über die sozialen Medien zu tun hat?
Anke Richter: Ja, hallo, Frau Kid. Der Erfolg von Jacinda Ardern beruht absolut auf diesem sehr persönlich zugeschnittenen Führungsstil. Also ihr Erfolgsrezept ist ihre Kommunikation, die beherrscht sie, das ist auch schon in Umfragen und von Meinungsforschungsinstituten und PR-Agenturen und so weiter, sehr durchleuchtet worden, dass sie da wirklich weit, vorab fast allen anderen politischen Größen der Welt ist. Weil sie das hinbekommen, diesen Spagat zwischen ganz klaren, harten Maßnahmen, Entscheidungen, also Führungsstärke, das aber wiederum vermitteln können, transportieren können mit Güte, Herzlichkeit, Wärme und was man so als Volksnähe bezeichnet.
Authentizität und Nahbarkeit durch soziale Medien
Und sie haben es gerade schon gesagt, soziale Medien spielen da eine ganz große Rolle. Also, Jacinda Arderns junges Alter von vierzig Jahren, kommt ihr da wirklich zugute. Die beherrscht einfach die Klaviatur von Facebook. Die hat Facebook-Lives gemacht, immer wieder. Dazu kommt ja auch noch, wenn sie sich erinnern, jetzt, am Anfang der Corona-Epidemie, Neuseeland hatte jeden Tag ein Briefing, eine Pressekonferenz, aber auch übertragen dann an das Volk, wo Jacinda Ardern zusammen mit ihrem Gesundheitssprecher Ashley Bloomfield da stand und alles immer wieder ausgebreitet wurde, alles nach draußen transportiert wurde, das ist eine unheimliche Transparenz. Diese Kombination aus dem was erreichen, durch das, was sie an Tatsachen geschaffen hat, mit der richtigen Herzlichkeit und der richtigen Authentizität auch dahinter. Das hat bei vielen Leuten gezündet und gefruchtet, die vielleicht sonst gar nicht Labour gewählt hätten.
Kid: Sie sprechen in einer ihrer aktuellen Kolumnen von Jacinda Ardern auch als Anti-Trump. Wir schauen in den Medien ja oft auf Populisten und deren Erfolgsstrategien, also auf die von Donald Trump in den USA, Jair Bolsonaro in Brasilien oder auch Boris Johnson in Großbritannien zum Beispiel. Nach dieser Wahl in Neuseeland muss man aber sagen, dass es dort praktisch ein Erdrutschsieg für progressive Politikerinnen und Politiker gegeben hat. Woran liegt das? Wie unterscheiden die sich in ihrer Kommunikation? Und vielleicht jetzt auch noch mal mit Blick auf Jacinda Ardern, wie setzt sie sich ab von Populisten und deren Kommunikationsstrategien?
Erfolgsrezept: Emphatische Kommunikation und knallharte Maßnahmen
Richter: Ich glaube, es ist nicht verfehlt zu behaupten, das liegt auch daran, dass sie eine Frau ist. Zumindest ist das die Wahrnehmung auch der Welt und der Blickwinkel auf Jacinda Ardern. In den ganzen ersten Monaten der Corona-Epidemie und der anderen Herangehensweise von Jacinda Ardern ist sie ja auch international wahnsinnig abgefeiert worden. Also, es gab, glaube ich, kein großes amerikanisches Medium, was nicht eine große Jacinda Ardern Geschichte gehabt hat. Dass sie als Frau, da was verkörpert und Attribute vielleicht auch mit sich bringt – ob die ihr nun zugeschrieben werden oder ob das was Persönliches ist, oder ob das nun genderspezifisch ist, das kann man dahingestellt lassen. Wenn man sich anschaut, es ist ja nicht nur Jacinda Ardern, sondern das sind viele andere Frauen, die auch durch sie jetzt mit ins Parlament gekommen sind. Für Neuseelands Frauen oder für den Feminismus ist das auch wirklich ein großer Siegestag, nicht nur für die Linken und für die Labour-Fans. Eine weibliche Führungsmacht, eine weibliche Führungsstärke, kommt da zum Tragen. Und die hat sie ja schon ganz deutlich vor über einem Jahr, vor anderthalb Jahren, gezeigt, beim Terroranschlag in Christchurch. Als Jacinda Ardern damals die muslimischen Opfer umarmt hat, einen Hijab angelegt hat, mit Empathie, mit tiefem Einfühlungsvermögen und auch mit ganz klaren Ansagen, nämlich, dass es ein Terroranschlag war und dass die Waffengesetze geändert werden müssen und so weiter. Damit hat sie einfach auch einen Führungsstil gezeigt, den man bis dahin, vor allem nicht im Zusammenhang mit Muslimen und mit Terroropfern, jemals gesehen hat. Ich glaube, das war damals der ganz große Schritt nach vorne für sie, wo sie gezeigt hat: so bin ich, so mache ich das, ich bin diese Art von Mensch. Ich bin aber auch die knallharte, deutliche Frau, die hier Kannte zeigt, bei den Dingen, die geändert werden müssen.
Kid: In dieser Zeit der Jacinda-Begeisterung, die sich ja, glaube ich, auch im Land breitgemacht hat, in Neuseeland, schauen die Medien, schauen die Journalistinnen und Journalisten trotzdem noch kritisch genug auf die Arbeit der Premierministerin?
Trotz Jacinda-Mania: Neuseelands Medien behalten kritische Rolle bei
Richter: Ja, das ist eine gute Frage, denn Jacina-Mania hat es vor allem im Ausland gegeben. Und das wiederum ist Jacinda Ardern auch oft vorgeworfen worden, weil wir in Neuseeland das "Tall Poppy Syndrom" haben, das heißt, man darf auch nicht zu sehr abgefeiert werden. Und das Jacinda Ardern auf Vogue-Covern war und international auch viele Interviews gegeben hat, aber im Lande lange den hiesigen Journalisten eigentlich so gut wie keine Interviews gewährt hat, selbst nicht einer tollen investigativen Journalistin, die ihre Biografie geschrieben hat, das hat man ihr auch ein bisschen verübelt. Und natürlich, natürlich ist ihr hier sehr hart auch auf die Finger geguckt worden. Gerade als es dann wieder die ersten Covid- Fälle gab, weil bei der ganzen Quarantäne und der ganzen Grenzabsicherung halt doch auch Fehler gemacht worden sind, das ist ihr sehr um die Ohren geflogen. Und das war schon eine Diskrepanz zwischen der Außenwahrnehmung oder dem abfeiern von außen, "wow, Neuseeland, das Wunderland, das Corona-freie Paradies, alles richtig gemacht, die tollste Premierministerin der Welt" und im Lande wurde dann diese Halbgöttin, diese heilige Jacinda dann doch manchmal ganz schön auch angegangen und auseinandergenommen von den Medien. Und das wurde ihr dann wiederum von der Bevölkerung aber auch oft sehr vorgeworfen. Also, es wurde manchmal gar nicht mehr verstanden, dass die Rolle der Medien aber nach wie vor immer noch ist, dass sie kritisch zu sein haben. Natürlich sind die Medien nach wie vor kritisch mit Jacinda Ardern, es ist eher die Bevölkerung, die damit nicht gut klarkommt, wenn man mit ihr kritisch umgeht.