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Jäger sucht Mücke

Es war still geworden um die Mückenfauna in Deutschland. Seit den Fünfzigern, als es hierzulande die letzten heimischen Malariafälle gab, spielten sie keine Rolle mehr als Krankheitsüberträger. Doch die Sachlage hat sich geändert: 2007 erkrankten in Italien innerhalb kürzester Zeit 300 Menschen an Chikungunya. Übertragen hatte das Virus die Asiatischen Tigermücke, ein Einwanderer, der sich in Italien festgesetzt hat. Das Beispiel ist nicht das einzige: In dem Maße, in dem der Verkehr von Menschen und Waren in der globalisierten Welt zunimmt, wächst die Chance für Stechmücken und Viren, sich rund um die Welt zu verbreiten.

Von Joachim Budde | 29.01.2012
    "Die ist leer. Die ist auch leer. Wenn die Vasen so voll sind, kann man direkt von oben sehen, ob was drin ist, und da ist nichts drin. Können wir gleich weiter."

    "Es gibt in Deutschland 47 Stechmückenarten, davon sind 46 sogenannte bodenständige, autochthone Stechmückenarten und eine invasive, also eine Mücke mit Migrationshintergrund, wenn man so sagen will, Aedes japonicus, die hat sich etabliert im Süden Deutschlands, in Baden-Württemberg vorwiegend, etabliert heißt, sie hat hier eigenständige Generationen hervorgebracht, insofern müssen wir sie zur Mückenfauna jetzt schon zählen."

    "Hier ist noch ’ne Vase, hier haben wir wieder Culex-Larven drin, die schütte ich zurück."

    "Das ist die erste Etappe. In der zweiten Etappe bringen wir diese Arten ins Labor und testen ihre Kompetenz, Krankheitserreger zu übertragen. Wie das Westnil-Virus. Jedes Jahr gibt es in mindestens einem europäischen Land eine Westnil-Epidemie. Das Virus zirkuliert viel seit rund 20 Jahren."

    "Das ist eine Stechmücke, also sieht so aus, wie unsere heimischen Stechmücken auch, der Unterschied ist, dass sie schwarz-weiß geringelte Beine hat und sehr auffällig aussieht. Unsere heimischen Stechmücken haben meistens so eine bräunlichere Färbung, während der Asiatische Buschmoskito wirklich ganz schwarz ist mit ganz weißen Binden um die Füße. Ist einfach ein Lästling, ein aggressiver Stecher auch."

    Der Friedhof in Freudental, einem kleinen Ort im Regierungsbezirk Ludwigsburg nördlich von Stuttgart. Es ist früher Nachmittag an einem grauen Tag Ende August. Katrin Huber hält ein großes Einmachglas unter dem Arm und geht die Reihen der Gräber ab. Sie hält nach Blumenvasen Ausschau, vor und hinter den Grabsteinen, sie blickt in die Brunnen und die Gießkannen, denn sie sucht eine Stechmücke – oder eine Schnake, wie die Quälgeister in Süddeutschland heißen –, und zwar eine ganz bestimmte, eine für Deutschland neue. Sie sucht die Asiatische Buschmücke Aedes japonicus. Huber:

    "Hört sich im ersten Moment merkwürdig an, dass man Schnaken auf Friedhöfen sucht, aber Friedhöfe bieten für Schnaken einfach optimale Bedingungen. Die Weibchen finden hier viele Wasseransammlungen, wo sie ihre Eier reinlegen können, wo die Larven drin leben können, die Männchen haben viel Nektar zum Fressen wegen der vielen Blumen, die es hier gibt, und die Weibchen können die Besucher stechen. Also es ist wirklich optimal."

    Günstige Bedingungen bieten Friedhöfe auch der Mückenjägerin Katrin Huber: So gut wie jeder Ort hat mindestens einen, sie sind in jedem Stadtplan eingezeichnet, und es gibt immer Parkplätze. Es ist jahrelang still gewesen um die Mückenfauna in Deutschland. Seit den Fünfzigern, als es hierzulande die letzten heimischen Malariafälle gab, haben sie keine Rolle mehr als Krankheitsüberträger gespielt. Mit der Bedrohung für die Gesundheit verebbte auch das Interesse der Forschung, der Politik und der Öffentlichkeit. Um die Jahrtausendwende gingen an den Hochschulen die letzten Professoren in den Ruhestand. Ihre Lehrstühle wurden mit Genetikern oder Molekularbiologen besetzt. Lediglich beim Sanitätsdienst der Bundeswehr hielten sich einzelne Experten – die neuen Auslandseinsätze machten das Fachwissen erforderlich. Und sie wurden benötigt, als es um die Bekämpfung der Lästlinge ging. Am Oberrhein schlossen sich Mitte der Siebziger die Anliegergemeinden zur "Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage", kurz Kabs, zusammen. Die Kabs bekämpft die Mücken mit einem Eiweiß des Bacillus thuringiensis israelensis. Fressen es die Mückenlarven, sterben sie. Norbert Becker ist wissenschaftlicher Direktor der Kabs.

    "Nach einer Bekämpfungsaktion werden dann spezielle Fallen aufgestellt in bekämpften und unbekämpften Arealen, um abschätzen zu können, inwieweit die Mückenbekämpfung auch funktioniert hat. Sind mehr als 1000 Mücken in einer Falle, dann können wir davon ausgehen, dass es Klagen gibt, wenn weniger drin sind, hat es recht gut funktioniert, wir haben eine Reduktionsrate von 95 Prozent, und das können wir eben mit diesem Monitoring seit 30 Jahren dokumentieren."

    Jahrelang war dieses Monitoring das einzige in Deutschland. In jüngster Zeit ist das Interesse an den Mücken jedoch wieder gewachsen. Denn die Sachlage hat sich geändert. Ein Indiz dafür ist Katrin Hubers Arbeit. Die Doktorandin der Universität Heidelberg spürt seit 2009 einem Neuankömmling unter den Mücken in Deutschland nach.

    "Ah, da hinter dem Grabstein ist noch eine Vase. Die ist potenziell gut gelegen, direkt am Gebüsch und unter einem Baum. Ah ja, tatsächlich. Das sind ganz eindeutig Japonicus-Larven. Also der Friedhof ist positiv. Die nehmen wir jetzt mit."

    Der Friedhof ist positiv – das bedeutet ein weiteres Kreuz auf Hubers Baden-Württemberg-Karte. Jedes der rund 260 Kästchen umfasst ein Gebiet von 100 Quadratkilometern, in jedem hat die Biologin mindestens einen Friedhof überprüft.
    Atmo rasch ausblenden. Dass Katrin Huber überhaupt sucht, dafür ist ein Zufallsfund in der Schweiz verantwortlich:

    "Wir wissen nicht, wie die Asiatische Buschmücke eingeführt wurde. Als wir sie 2008 in der Schweiz und in Süddeutschland fanden, war sie bereits weit verbreitet. Es gab kein Monitoring in der Nordschweiz, eine Privatperson hat uns eine eigentümliche Mücke geschickt. Uns war schnell klar, dass das keine einheimische Art war, also haben wir sie uns vor Ort angesehen und Populationen von Aedes japonicus gefunden, die bereits stark wuchsen und sich ausbreiteten."

    Francis Schaffner arbeitet am Institut für Parasitologie der Universität Zürich an Schweizer Untersuchungen zur Mückenfauna. Er hat inzwischen viel Erfahrung mit invasiven Mückenarten: Die Asiatische Buschmücke Aedes japonicus ist nicht der erste neue Stecher in Europa. Bereits in den 90er Jahren etwa ist die Asiatische Tigermücke Aedes albopictus in den Mittelmeerraum gelangt: Sie ist die globalisierte Mücke. Die Asiatische Tigermücke profitiert nicht etwa in erster Linie vom Klimawandel, sondern vom weltweiten Warenverkehr. Ihr bevorzugtes Vehikel: gebrauchte Reifen. Schaffner:

    "Das sind keine normalen Autoreifen. Das sind Reifen mit ungewöhnlichen Maßen, von Lastwagen, Baugeräten oder Militärfahrzeugen, die man nicht überall findet, mit erheblichem Marktwert. Diese gebrauchten Reifen werden unter freiem Himmel gelagert, es sammelt sich Regen darin, und dort legen die Mücken ihre Eier hinein."

    Mit diesen Reifen gelangte die Asiatische Tigermücke aus ihrer Heimat in Malaysia zuerst nach Japan, dann weiter in die USA und schließlich in die Mittelmeerregion. Heute hat sie sich über ganz Italien ausgebreitet; sie kommt auch im Süden der Schweiz und in Südfrankreich vor, in den Staaten des früheren Jugoslawien – und vereinzelt sogar in den Niederlanden. Die Tigermücke ist nicht besonders wählerisch bei der Suche nach einem Brutplatz. Sie legt ihre Eier in kleinste Behälter. Das kann eine Baumhöhle sein, aber auch eine weggeworfene Cola-Dose oder eine Blumenvase – dunkel und feucht muss es sein. Diese Anspruchslosigkeit macht es schwer, die Mücke zu bekämpfen. Schaffner:

    "Diese Mücke sticht jedes beliebige Wirbeltier, das ihr zu nahe kommt. Sie kann also leicht Krankheitserreger von einer Gruppe Wirte auf eine andere übertragen."

    Im Labor ist es Wissenschaftlern gelungen, die Tigermücke mit mehr als 20 verschiedenen Viren zu infizieren. Auch in Deutschland hat sie bereits Spuren hinterlassen, als 48. Art: 2007 hat ein Doktorand aus Norbert Beckers Arbeitsgruppe Eier der Mücke auf einem Rastplatz an der Autobahn A5 bei Rastatt am Oberrhein gefunden.

    "Diese Art wird wohl immer wieder eingeschleppt, hat aber noch nicht so wie Japonicus eine eigenständige Population aufgebaut."

    Die Asiatische Buschmücke Aedes japonicus, nach der Katrin Huber fahndet, hat mit dem Wetter in Deutschland offensichtlich keine Probleme. Sie stammt aus Gegenden in Japan, Russland und Korea, in denen das Klima dem in Mitteleuropa ähnelt. Norbert Becker:

    "Wir sind eigentlich überrascht oder schockiert, wie weit verbreitet diese Mücke ist. Wir haben die Mücke massiv gefunden zwischen Lörrach und dem Bodensee bis hin in den Schwarzwald bis in Höhen von über 1000 Meter, wir haben sie massiv gefunden im Bereich von Stuttgart, es sind also große Areale besiedelt, fast jeder zweite Friedhof ist positiv, also da kommt die Mücke vor, sie ist bestimmt schon einige Jahre hier, aber einfach nicht erkannt worden."

    Erst im Frühjahr 2011 hatte eine Studentin die Asiatische Buschmücke zufällig in der Nähe des Stuttgarter Flughafens entdeckt. Das Insekt muss schon lange in dieser Gegend sein, denn inzwischen zeigt Katrin Hubers Karte: Die Mücke kommt rund um Stuttgart auf einem Gebiet von 4000 Quadratkilometern vor – zum Beispiel in Freudental. Katrin Huber hat alle Vasen, Brunnen und Blumentöpfe auf dem Friedhof des kleinen Ortes durchgesehen. Die Mückenlarven, die sie gefunden hat, nimmt sie mit für ihre Zucht.

    "Die Zucht zu etablieren gestaltet sich ein bisschen schwierig, weil die nur unbefruchtete Eier zurzeit ablegen, aber wir sind fleißig am Probieren. Da bringe ich ja die Larven hin, daraus schlüpfen dann die Adulten, aber denen gefällt es im Käfig scheinbar nicht so gut, als dass sie sich paaren würden, um befruchtete Eier zu legen. Da spielen wir jetzt noch mit den Parametern, Luftfeuchtigkeit, Temperatur und so weiter, und hoffen, dass es klappt."

    Es geht in ein Labor der Universität Heidelberg. Katrin Huber stellt ihre Beute auf den Tisch: Als kleine dunkle Stäbchen schwimmen die Larven im gelbstichigen Wasser.

    "Ich sammele die in Marmeladengläsern, und schütte dann den Inhalt in eine größere Dose, dass ich das sehen kann, und dann sieht man auch ganz deutlich, dass es sich dabei um verschiedene Arten handelt. Also mit dem längeren Atemrohr sind Culex-Arten und mit dem kürzeren Rohr sind die Aedes-Arten, und die brauche ich, und die pipettiere ich einfach raus, und tue sie in ein größeres Gefäß. Und dann kommt das nächste Gefäß. So jetzt habe ich die auseinanderpipettiert, jetzt kann ich die Larven in den Käfig setzen und warten, dass sie schlüpfen."

    Katrin Huber ist Doktorandin an der Universität Heidelberg. Sie gehört zur Arbeitsgruppe von Norbert Becker. 2011 hat sie begonnen, ein deutschlandweites Monitoring aufzubauen. Becker:

    "Es gibt in Deutschland 47 Stechmückenarten, davon sind 46 sogenannte bodenständige, autochthone Stechmückenarten und eine invasive, also eine Mücke mit Migrationshintergrund. Wenn man so sagen will, kann man auch von 48 Arten sprechen, weil wir eine andere invasive, also eingewanderte Mücke feststellen konnten, 2007 den Asiatischen Tigermoskito Aedes albopictus, wir sind recht gespannt, also wie gesagt, bisher haben wir 48 Arten feststellen können, vielleicht kommt noch die ein oder die andere neue Art dazu."

    Ebenfalls seit vergangenem Jahr fängt eine Gruppe um die Entomologen Doreen Werner und Helge Kampen Stechmücken. Auch Kampen vom Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit forscht seit Jahren in Medizinischer Entomologie.

    "Wir wollen wissen, welche Arten wann wo vorkommen, und wir wollen natürlich damit auch gucken, ob es Änderungen gegeben hat in den letzten Jahren. Wobei wir dazu zum Vergleich auf Literatur zurückgreifen müssen, die schon Jahrzehnte alt ist. Das Wissen soll auf den neusten Stand gebracht werden, und ganz interessant und wichtig ist natürlich auch zu erfahren: Haben wir möglicherweise potenzielle Überträger von Krankheitserregern unter den Stechmücken in Deutschland."

    Während Becker und Kollegen das Netz der Fallen noch aufbauen, ist Kampen in dieser Hinsicht bereits weiter.

    "Wir haben insgesamt circa 90 Standorte, wo wir Stechmückenfallen stehen haben, und darüber hinaus sammeln wir aber auch Stechmücken manuell, das heißt, wie der klassische Entomologe das macht, mit einem Kescher, und fangen fliegende Stechmücken, und wir sammeln aber auch Larven und Puppen, und ziehen die dann zum Teil bis zu den Fluginsekten heran."

    Darüber hinaus gibt es weitere, regional begrenzte Arbeitsgruppen. Manche sind eigentlich zu klein, als dass sie effektiv sein könnten. Doch Politiker und Vertreter der Gesundheitsbehörden möchten darauf verweisen können, dass sie etwas unternommen haben, falls es wieder unangenehme Überraschungen geben sollte. Wie im Jahr 2006. Helge Kampen:

    "Plötzlich und unerwartet brach in Deutschland die Blauzungenkrankheit aus, wir wissen bis heute nicht, woher das Blauzungen-Virus gekommen ist, die Blauzungenkrankheit war plötzlich da und hat sich massiv ausgebreitet in Europa, bis dahin war man sich nicht darüber im Klaren, dass es in Deutschland beziehungsweise in Zentraleuropa vektorkompetente Gnitzen, das sind kleine blutsaugende Mücken, dass es diese Gnitzen hier gab, das heißt Gnitzen, die in der Lage waren, das Virus zu verbreiten. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass diese Gnitzenarten nur in Südeuropa und in tropischen Regionen vorkommen."

    Tausende Schafe und Rinder erkrankten, viele mussten gekeult werden, und große Gebiete wurden mit Handelssperren belegt. Erst ein eilig hergestellter Impfstoff brachte wieder Ruhe. Durch die Impfungen sind seit Jahren keine akuten Fälle mehr aufgetreten, aber niemand weiß, ob sich das Virus noch irgendwo in Zentraleuropa hält. Bei der Tierseuche Blauzungenkrankheit kam ein tropisches Virus zu heimischen Mücken. 2007 zeigte sich in Italien, was es bedeutet, wenn ein tropisches Virus auf seinen eigenen Vektor trifft, also die passende Mücke. Ein Tourist aus Indien, mit dem Chikungunya-Virus infiziert, reiste in die Region von Ravenna ein. Die Asiatische Tigermücke Aedes albopictus war schon lange da. Norbert Becker:

    "Innerhalb kürzester Zeit sind etwa 300 Leute infiziert gewesen. Das hängt auch mit dem Stechverhalten von Albopictus zusammen, diese Mücke, die sticht nicht nur ganz solide nur eine Person, sondern sie kann in kürzester Zeit verschiedenen Personen anfliegen und stechen, und insofern kann sie auch die Krankheitserreger relativ schnell verbreiten, sie hat eine sehr hohe Vektorkompetenz und ist daher auch sehr gefährlich."

    Wie viele Viren, die von Insekten übertragen werden, löst auch Chikungunya Symptome wie eine Grippe aus: hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen. Bei Chikungunya können die Schmerzen in den Gelenken aber besonders schwer sein und monatelang anhalten. Sie haben der Krankheit in ihrer afrikanischen Heimat den Namen eingebracht, denn Chikungunya heißt übersetzt: Der gebeugt gehende Mann. In Deutschland ist die Gefahr von Chikungunya gering: Bislang ist keine heimische Mücke bekannt, die dieses Virus übertragen könnte.

    Nicht jede Mücke kann jeden Krankheitserreger übertragen. Selbst wenn eine Mücke infiziertes Blut gesaugt hat, der Weg durch das Insekt ist lang. Der wahrscheinlichste Kandidat für unangenehme Überraschungen ist deshalb das Westnil-Virus. Von Januar bis November 2011 hat es in der Europäischen Union 93 Westnil-Fälle gegeben. In Deutschland könnte die einheimische Nördliche Hausmücke Culex pipiens das Virus übertragen – und neuerdings die Asiatische Buschmücke. Francis Schaffner:

    "Die Buschmücke hat sich als sehr kompetent für das Westnil-Virus erwiesen. Sie sticht sowohl Vögel als auch Säugetiere, und ist darum ein guter Kandidat für die Rolle des Brückenvektors: Vögel anzustecken, das Virus zu vermehren und auf Säugetiere zu übertragen."

    Im Labor in Heidelberg schaut Hanna Jöst in ein Stereo-Lichtmikroskop. Mit einer Stahlfederpinzette und einer langen dünnen Nadel löst sie vorsichtig einzelne Mücken aus dem Knäuel, in das sich die Insekten in ihren Fallen verheddert haben. Anders als Katrin Huber fahndet sie nicht nur nach neuen Mückenarten. Sie versucht, ein umfassendes Bild von der Mückenfauna in Deutschland zu zeichnen. Darum bestimmt die Doktorandin jedes einzelne Tier.

    "Hier haben wir jetzt Culex-Mücken, die sind einfach hellbraun mit einem runden Abdomen. Und dann schauen wir uns einmal die nächste Mücke an, ja also hier haben wir auch wieder eine Culex-Mücke, erkennt man an dem runden Abdomen, und sie hat keine Ringe an den Beinen, das heißt, das ist Culex pipiens, also die Hausmücke, die in den Regentonnen brütet und, ja, eine Wasseransammlung braucht, um ihre Eier abzulegen."

    An solchen Wasseransammlungen fängt Hanna Jöst die Mücken. 2011 war ein gutes Jahr für die Mückenjägerin: 25.000 Mücken – und jede einzelne fasst sie an, jede einzelne bestimmt sie.

    "Wenn man die Augen zumacht, dann sieht man schon die Mückenbeine vor sich."

    Hanna Jöst hat die Mücken mit Trockeneis abgetötet und eingefroren. Denn zum einen will die Biologin feststellen, welche Mückenarten es in Deutschland gibt. Zum anderen interessiert sie das Gepäck der Insekten. Die Kälte konserviert die Erbinformationen der Krankheitserreger bis zur Analyse. Immer 25 Mücken einer Art von einem Fangort hat Jöst in ein Eppi gepackt, ein kleines Reaktionsgefäß aus Plastik so groß wie ein Fingerhut. Hunderte davon stecken jetzt in einer Styroporkiste.

    "Da ist Trockeneis drin, und da sind lauter kleine Plastikgefäße, in denen sich die Mücken befinden, die sind alle durchnummeriert, damit wir später auch noch wissen, welche Probe das so ist. Und auf diesem Trockeneis können wir die dann nach Hamburg verschicken. Per Post."

    In Hamburg laufen die Fäden zusammen. Katrin Huber und Hanna Jöst analysieren ihre Fänge beim Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Dort wurden in den vergangenen Monaten Labore mit den nötigen Sicherheitsstufen eingerichtet. Dort testet Katrin Huber, ob die Buschmücken aus ihrer Zucht in der Lage sind, das Westnil-Virus zu übertragen. Auch Hanna Jöst sucht in ihren Mücken nach dem Westnil-Virus – bisher vergeblich. Dafür hat sie andere gefunden, sagt Jonas Schmidt-Chanasit. Der Virologe betreut die Biologin am Bernhard-Nocht-Institut.

    "Wir haben also Viren entdeckt, von denen wir nie vermutet hätten, dass sie schon in Deutschland schon vorhanden sind, wie zum Beispiel das Sindbis-Virus, was wir 2009 nachgewiesen haben, das Batai-Virus, das wir auch 2009 gefunden haben, und jetzt 2010 das Usutu-Virus."

    Alle drei Viren sind zum ersten Mal in Afrika nachgewiesen worden und vermutlich über Zugvögel nach Deutschland gelangt. Das Beispiel Usutu zeigt, wie schnell sich die Lage zuspitzen kann, wenn ein Virus einen Vektor, einen Überträger findet. Schmidt-Chanasit:

    "Das war eine ganz erstaunliche Geschichte: Wir haben insgesamt 70.000 Stechmücken untersucht und in nur einer das Virus nachweisen können, das heißt die Infektionsrate in diesen Stechmücken war sehr gering. Ab Juni, Juli, August ist es nun zu einem Massensterben hauptsächlich der Amseln gekommen im südwestdeutschen Raum, betroffen waren die Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, und das war also eine ganz dynamische Entwicklung. Man muss sich ja vorstellen, wenn so viele Vögel daran verenden, muss jetzt viel, viel mehr Virus im Umlauf sein, damit das überhaupt funktioniert."

    Hunderte Anrufe gab es bei der Kabs wegen toter Vögel, 180 Amseln haben Jöst und Schmidt-Chanasit untersucht – 80 waren mit dem Usutu-Virus infiziert. In der Vergangenheit hat es bereits solche Vogelsterben gegeben, etwa in Österreich. In Italien sind auch Menschen an dem Virus erkrankt. Deshalb beobachten die Forscher den Erreger mit Sorge. Wie viele ihrer 44.000 Mücken das Usutu-Virus in sich tragen, das herauszufinden, ist Hanna Jöst in Hamburg eingetroffen.

    Die Mückensaison ist zu Ende, die Laborsaison hat begonnen. Hanna Jöst hat die Probenröhrchen mit den Nummern 4389 bis 4391 aus dem Tiefkühlschrank geholt und gibt unter einer Absaughaube 500 Mikroliter eines Trägermediums hinzu.

    "Und zu den Mücken mit Medium kommen jetzt noch die Stahlkügelchen, pro Probe werden zwei Stahlkügelchen dazugegeben, und diese Stahlkügelchen zerkleinern dann die Mücken. Das kommt jetzt hier in die Maschine rein."

    Das Mückenhomogenat, das aussieht wie rosarote Zahnspülung mit ein paar Insektenflügelchen, dient zu zweierlei: Erstens versuchen die Wissenschaftler Viren-RNA und damit bekannte Erreger darin nachzuweisen. Zweitens geben sie die Flüssigkeit auf eine Zellkultur. Enthält das Homogenat Viren, können die sich in den Zellen vermehren, sagt Jonas Schmidt-Chanasit.

    "Wir wissen ja jetzt gar nicht, was dort alles sozusagen auch an unbekannten Viren in diesen Stechmücken drin sein kann, und die würden wir also so finden, indem wir die eben anzüchten und das sehen wir, wenn die Zellen eben durch die Viren zerstört werden, und dann können wir die eben ins Elektronenmikroskop geben und denn kann man wieder gezielter vorgehen."

    Auf diese Weise sind die Wissenschaftler bereits auf etwas völlig Neues gestoßen, auf einen bisher unbekannten Stamm aus der Familie der Rhabdoviren. Schmidt-Chanasit:

    "Jetzt wollen wir also herausfinden, welche Relevanz diese Rhabdoviren in den Stechmücken also für die Bevölkerung haben, interessanterweise liegen sie zwischen den Tollwut-Viren und einer anderen Gruppe von Rhabdoviren, die also Tiere krank machen können, sodass wir hier davon ausgehen, dass vielleicht doch ein gewisses Potenzial da ist eben, dass Tiere erkranken oder dass Menschen erkranken, das muss aber eben jetzt genau herausgefunden werden, uns hat es aber schon verwundert, dass diese Rhabdoviren in sehr, sehr vielen Stechmücken vorkommen, auch in sehr viele Stechmückenarten, und weit verbreitet sind in Deutschland. Also ein ganz anderes Bild als bei Usutu, Sindbis oder Batai, wo wir ja wirklich nur einzelne Befunde haben, diese Rhabdoviren haben wir wirklich an fast allen Fangplätzen gefunden, in verschiedensten Stechmücken, also das ist ganz interessant dort zu schauen, welche Relevanz hat dieser Befund jetzt eigentlich."

    Auch Helge Kampen vom Friedrich-Loeffler-Institut und seine Mitarbeiter werten ihre Funde aus. Auch sie hatten im Sommer Fallen entlang der Autobahn A 5 aufgestellt.

    "Die stehen in einem Gebiet, das besonders interessant ist für invasive Mückenarten, weil man davon ausgeht, dass diese Arten aus dem Süden vorwiegend kommen und eingetragen werden mit dem Personen- und Güterverkehr, der aus Südeuropa nach Deutschland kommt."

    Tatsächlich war bei Weil am Rhein nahe der Schweizer Grenze ein Weibchen der Asiatischen Tigermücke Aedes albopictus in die Falle gegangen, das erste ausgewachsene Tier dieser Insektenart in Deutschland. Die Tigermücke kommt also weiterhin ins Land. Zudem haben sowohl Kampens als auch Beckers Gruppe Exemplare von Culiseta longiareolata identifiziert, eine Mückenart, die im Mittelmeerraum heimisch ist. Als Überträger von Krankheitserregern ist sie bisher nicht in Erscheinung getreten. Drei neue Mückenarten, vier neue Viren – schon bevor die Monitoringprogramme richtig angelaufen sind, haben sie eindeutige Ergebnisse geliefert. Francis Schaffner:

    "Je mehr man sucht, desto mehr findet man natürlich. Einerseits wächst der Transport von Touristen und Waren jedes Jahr und damit die Chance, neue Mücken und Viren einzuführen – rein statistisch. Und weil man weiß, dass das Risiko wächst, werden andererseits seit kurzem mehr Monitorings gemacht. Es gibt eine Reihe von Ländern, die nach jahrelangem Nichtstun seit kurzem in die Überwachung eingestiegen sind, und natürlich finden sie Sachen, und manchmal finden sie Mückenpopulationen, die schon lange etabliert sein müssen, also hat man sie übersehen, macht das Monitoring zu spät."

    Im Frühjahr, wenn die ersten neuen Mückengenerationen schlüpfen, werden auch die Mückenjäger wieder ausrücken, um ihre Fallen aufzubauen. Bis dahin bleibt ihnen der Blick durchs Mikroskop. Schmidt-Chanasit:

    "Hast Du schon irgendwas auffälliges gesehen, Alex?"

    "Nicht so wirklich."

    "OK. Also Alex hat jetzt, gestern hast Du die infiziert, ne?"

    "Vorgestern!"

    "Vorgestern also, da ist auch noch nicht zu erwarten, dass jetzt die Zellen schon durch das Virus zerstört werden. Ich denke, die brauchen drei, vier Tage, und wir lassen das jetzt maximal zwei Wochen stehen, und dann gucken wir mal, was passiert."