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Jagd nach den Higgs-Teilchen

Physik.- Vor über einem Jahr wurde er offiziell in Betrieb genommen: der Teilchenbeschleuniger LHC in Genf. Dann allerdings gab es große technische Probleme und es wurde lange Zeit still um die Super-Maschine. Nun aber haben die Physiker ihr Gerät endlich soweit, dass es erste Daten produziert.

Von Jan Lublinkski | 15.02.2010
    "Das ist der Teilchenstrahl der hereinkommt, und das der andere – es kommt zu einer echten Kollision."

    Joseph Incandela von der University of California in Santa Barbara führt auf seinem Laptop ein kleines Video vor: Ein Teilchenstrahl Protonen, also Wasserstoffatomkerne, fliegt durch den kilometerlangen Ringtunnel unter der Stadt Genf. Aus der Gegenrichtung kommt ein zweiter Strahl aus Protonen – und jeweils zwei Teilchen stoßen frontal zusammen. Es entsteht ein Schauer aus neuen Teilchen, die in allen Richtungen davon spritzen. Diese Bruchstücke werden genauestens vermessen - im sogenannten CMS-Detektor, einem tonnenförmigen, hochhausgroßen Gebäude voller Messegeräte. Es war gar nicht so einfach, die ersten physikalischen Daten an der neuen Maschine zu gewinnen und auszuwerten, erzählt Incandela.

    "Es war so eine Art Mini-Manhattan-Projekt. Wir mussten dafür Spezialisten aus allen Bereichen zusammenbringen: Die Experten für Datenverarbeitung, die Leute, die den Beschleuniger technisch betreiben, und die Physiker, die den Weg des Strahls genau verfolgen. Wir wollten möglichst schnell verstehen, was genau vor sich geht. Das wird alles bald leichter werden, wenn wir die Maschine genauer kennen."

    Die ersten Kollisionen der Protonen lieferten noch keine neuartigen Erkenntnisse über die Grundlagen der Physik. Es handelte sich um sogenannte weiche Zusammenstöße, dass heißt: die Elementarteilchen die sich im inneren der Protonen befinden, die Quarks, sind noch nicht mit voller Wucht aufeinandergeprallt. Aber die Physiker müssen diese vergleichsweise harmlosen Ereignisse sehr genau verstehen, damit sie später die sehr seltenen Kollisionen erkennen können, bei denen völlig neuartige und unbekannte Teilchen entstehen. Nur wer den Heuhafen im Detail überblickt, kann auch die berühmte Nadel darin finden. Joseph Incandela vermutet, dass der große Tag bald kommen wird.

    "Wenn Sie sich die Geschichte der Entdeckungen bei den Elementarteilchen anschauen, dann sehen Sie, dass die neuen Teilchen immer sehr bald nach dem Start einer neuen Maschine gefunden wurden: Anfang der 80er-Jahre wurden in Genf, mit damals neuen Beschleunigern, gleich in den ersten Daten die W- und das Z-Teilchen entdeckt. Und am Beschleuniger Tevatron bei Chicago haben wir in den 90er-Jahren in einer sehr frühen Phase schon das Top Quark gefunden."

    Tatsächlich begeben sich die Physiker mit dem Beschleuniger LHC ab sofort auf neues Terrain. Sie lassen von nun an die Protonen mit Rekordenergien von sieben Teraelektronenvolt aufeinanderprasseln. Damit übertrumpft der LHC den US-amerikanischen, bislang größten Beschleuniger namens Tevatron. Die amerikanischen Physiker beherrschen ihre Maschine dafür noch um einiges besser als die Kollegen in Genf. Die Amerikaner wollen, wegen der Verspätung am LHC bis zum Jahr 2011, möglicherweise sogar bis 2012 weiter messen. Bis dahin haben sie eine gute Chance dem LHC ein Schnippchen zu schlagen und ein Partikel einzufangen, nach dem die Physiker schon lange fahnden: Das sogenannte Higgs-Teilchen. Am LHC in Genf findet derweil auch ein interner Wettlauf statt: Die Daten, welche die neue Maschine ab sofort liefert, stehen allen Physikern zur Verfügung – und natürlich geht es darum, wer zuerst etwas Ungewöhnliches, Neues entdeckt.

    "Das ist natürlich schon ein großer Wettbewerb. Es werden sich konkurrierende Gruppen bilden. Wir arbeiten in einer sehr freien Forschungsumgebung. Das heißt: Man muss sehen, dass man im richtigen Team dabei ist, mit dem richtigen Plan."