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Jagd nach Likes statt Demokratie
Wie die Utopie des Internets zerstört wurde

Das Internet versprach einst Freiheit und Demokratie - doch viele Hoffnungen erfüllten sich nicht. Bei einer Podiumsdiskussion der Berliner Akademie der Künste zum Abschluss der Vilém-Flusser-Ausstellung wurde den utopischen Versprechen des Internets nachgegangen.

Von Jochen Stöckmann | 11.01.2016
    Facebook-Symbole wie die Abkürzung 'f' und der gesenkte Daumen für "dislike" auf blauem Grund und darüber steht Hass gesprüht, wobei der Buchstabe 'a' in Hass aus dem At-Zeichen besteht.
    Facebook steht seit Wochen in der Debatte um Hass-Kommentare im Netz. (Imago / Ralph Peters)
    Im multifrequenten Pfeifen, mit sinnfreiem "weißen Rauschen" endet bei Teresa Dillon – ja was? Jene utopischen Versprechen des Internets, die im Titel dieses wenig strukturierten, dafür aber ganz global auf Englisch absolvierten Podiums angekündigt waren?
    So könnte man Siegfried Zielinski interpretieren, Kurator einer Ausstellung über den Kommunikationsphilosophen Vilém Flusser und Initiator dieser Finissage: Immerhin altgedienter Medienarchäologe, erledigt er das Thema in seiner Begrüßung durch beredetes Beschweigen. Jemand, der das Internet seit seinen Anfängen erlebt, wohl auch erforscht hat, schweigt fortan vornehm in der ersten Reihe. Ist das Flusser-like?
    "Der Mensch ist ein Idiot, wenn er nicht gelernt hat, sich der Instrumente der Kommunikation (z.B. einer Sprache) zu bedienen. Idiotie, unvollkommenes Mensch-sein, ist Mangel an Kunst."
    Besinnungslose Hyperaktivität
    Dieser von Flusser beklagte Mangel nun drückt sich für die Medienwissenschaftlerin und -künstlerin Teresa Dillon in den sozialen Medien aus. Mit Kurz- und Kürzestmitteilungen von SMS bis Twitter, mit der Jagd auf Likes bei Facebook. Mit einer besinnungslosen Hyperaktivität, die für viele den Status definiert, ihre Identität ausmacht.
    Sache der Kunst wäre es nun, das unsichtbare Phänomen Internet, die geheime Macht der Black Boxes erst einmal sichtbar zu machen. Oder hörbar – im Frequenzrauschen der Mobilfunknetze und WLAN-Verstärker. Einige Ansätze, Projekte stellt die Künstlerin vor – um sich dann das unverbindliche "Spielen" mit den elektronischen Gadgets zu empfehlen.
    Keine Rede davon, dass die "Games", die Computer- und Internetspiele alles entscheidender Aktivposten in der Bilanz jener Branche sind, die als "Kreativwirtschaft" allerorten zur Wirtschaftslokomotive erklärt wird. Das ist eine harte ökonomische Internet-Realität, die dieser mit Theorie-Slang gespickte, im schlechten Sinne "akademische" Diskurs einfach ausblendet. Und auch wichtige soziokulturelle, ja höchst politische Aspekte blieben außen vor. Hat doch der französische Islam-Experte Gilles Kepel in einem Interview soeben darauf hingewiesen:
    "Im Gegensatz zu anderen islamischen Bewegungen ist der Salafismus technologiebegeistert. Die Fatwas aus Saudi-Arabien kommen direkt über das Internet. Das Modell dieses Internets, das das göttliche Wort weiterträgt, steht dem armen Lehrer in der laizistischen Schule entgegen, der kaum noch etwas ausrichten kann."
    Von Flashmobs zur organisierten Kriminalität
    Diese "Abirrung" aber dürfte Vilém Flusser kaum im Sinn gehabt haben, als er zu Beginn der Internet-Ära fast schon euphorisch schwärmte von der Möglichkeit, durch vielfältige Kommunikation dem jeweils "Anderen" zu begegnen, in seinem Gesicht auf geradezu messianisch-religiöse Weise eine Art Gottesschau zu erleben. So zumindest referierte es Baruch Gottlieb, Ko-Kurator der Berliner Ausstellung.
    Da kann der profane Beobachter nur entgegnen: Was einst mit "coolen" Flashmobs begann, könnte nun – vorm Kölner Hauptbahnhof – in einem massenhaften Akt organisierter Kriminalität sein Ende gefunden haben.
    Aber was war der Grund, die Ursache für all diese Formen des "Niedergangs" jenes Internet, das einst Freiheit und Demokratie versprach?
    Nicht Ingenieuren überlassen
    Da kommt Julian Oliver ins Spiel, ein Vertreter des "Critical Engineering". Die Entwicklung neuer Technik ist für ihn viel zu wichtig, um sie den Ingenieuren zu überlassen. Zumal schon die ältesten Instrumente der Menschheit eine bestimmten Gebrauch nahelegten. Der Hammer führt die Hand, so, wie jedes Interface dem User eine Art der Nutzung vorschreibt, "programmiert".
    Das wäre immerhin ein Ansatz, um zu klären, warum all die Black Boxes von der Fernbedienung über Smartphones bis hin zum "Internet der Dinge" uns beherrschen und oftmals blindlings agieren lassen.
    Mit schönen Worten wie etwa "Smart City". Die allen erdenklichen Komfort bietet – aber nicht nur das Leben, sondern vor allem ihre "User" um intimste Daten erleichtert. In jenem nicht entzifferbaren, "unlesbaren" Fluß der Datenpakete, den Teresa Dillon so prägnant und einfach nur spielerisch imitiert.