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Jagdszenen in Madrid

Zehn Jahre lang ist Spaniens Wirtschaft weit über dem europäischen Durchschnitt gewachsen. Die Ausländerquote ist in dieser Zeit auf heute über elf Prozent angewachsen. Dass mit den vielen Migranten auch viele Leute ohne Papiere ins Land kamen, übersah man großzügig: Die Wirtschaft benötigte die Arbeitskräfte. Doch jetzt ist es vorbei mit der Toleranz, nach den sogenannten Illegalen wird jetzt verstärkt gefahndet. Bei den betroffenen Einwanderern herrscht inzwischen Panik.

Von Hans-Günter Kellner | 18.02.2009
    Im Büro der spanischen Polizeigewerkschaft UDF stehen die Telefone nicht mehr still. Die Organisation hat eine interne Dienstanweisung publik gemacht, mit der die Polizisten zur verstärkten Festnahme von Ausländern ohne Aufenthaltsgenehmigung angehalten werden. Gewerkschaftssprecher Alfredo Perdiguero erklärt:

    "Uns werden wöchentliche Zielvorgaben je nach Stadtteil gemacht. Im Puente de Vallecas sollen wir 35 Leute ohne Papiere festnehmen, in Ciudad Lineal 100. Jede Woche! Das ist doch verrückt! Die Beamten werden zu diesen Verhaftungen gegen ihren Willen gezwungen. Die Polizisten würden lieber Kriminelle verhaften."

    Auch vor dem Büro der Migranten-Vereinigung Ibn Batuta im Madrider Stadtteil Lavapiés wird ein Marokkaner kontrolliert. Der Mann, der zum Spanisch-Kurs gekommen ist, hat Glück, seine Papiere sind in Ordnung. Die Sprecherin des Vereins, die Marokkanerin Samira Oukhiar, ist wütend:

    "Das hatten wir noch nie. Das Maß ist jetzt wirklich voll. Es wird immer mehr kontrolliert, aber direkt vor unserem Büro noch nie. Der Imam einer Vorstadt hat sich beschwert, dass die Polizei immer wieder die Gäste eines marokkanischen Cafés in der Nähe der Moschee um ihre Ausweise bittet. Das ist illegal, sie dürfen in geschlossenen Räumen ohne richterliche Anordnung keine Kontrollen durchführen. Außerdem: Die Spanier müssen sich bei solchen Polizeiaktionen doch denken, dass wir Marokkaner alle kriminell sind."

    Das spanische Ausländerrecht ist eindeutig: Wer illegal in Spanien lebt, muss mit einer Abschiebung rechnen, wenn er erwischt wird. Doch massive Kontrollen waren bisher selten. Niemand weiß, wie viele Migranten tatsächlich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Spanien leben. Aber das Land gewährt ihnen sogar einige Rechte: Sie dürfen die Ärzte des staatlichen Gesundheitssystems besuchen, ihre Kinder zur Schule gehen. Doch diese Rechte sind gefährdet, sagt Samira Oukhiar:

    "Die Leute fühlen sich nicht sicher, sind in Panik. Sogar vor den Schulen wird kontrolliert. Auch Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung haben ein Recht auf Schulbesuch ohne Polizeikontrollen. Soll das hier jetzt wie in Italien werden, wo sich die Leute nicht mehr zum Arzt trauen? Diese Kontrollen sind jenseits der Legalität!"

    Kinder spielen in einem nahegelegenen Park. Auf einer Bank sitzt Mustafa Kadouri. Auch seine Papiere sind in Ordnung. Aber er wurde heute auch noch nicht überprüft.

    "Das hier ist Lavapiés. Jeden Tag kontrollieren die. Jetzt haben wir schon die Wirtschaftskrise, viele sind arbeitslos, das Geld reicht vorne und hinten nicht, wir wissen nicht, wie wir die Mieten bezahlen sollen. Jetzt bekommen wir auch noch Probleme mit der Polizei."

    Groß ist die Aufregung auch im marokkanischen Café ein paar Ecken weiter im gleichen Stadtteil. Doch hier haben auch einige Verständnis für das Vorgehen der Polizei. Ein paar marokkanische Kriminelle seien für die vielen Kontrollen verantwortlich, sagt dieser Mann:

    "Die Leute, die hier nur stehlen, die muss man nach Hause schicken. Nicht die, die sich integrieren wollen. Aber nicht alle wollen das. Wir haben unter uns Probleme mit den Kriminellen. Mich stört es nicht, wenn sie nach meinen Papieren fragen. Die sind in Ordnung. Ich habe nicht den Eindruck, verfolgt zu werden. Aber diskriminierend ist es schon. Warum sind sie jetzt so sehr hinter den Marokkanern her?"

    Wer die Vorgaben nicht erfülle, dem drohe die Strafversetzung, sagt Polizist Alfredo Perdiguero. Das spanische Innenministerium dementiert die Vorwürfe, doch längst hat die spanische Presse die Dienstanweisung veröffentlicht. Marokkaner seien bevorzugt zu verhaften, da ihre Abschiebung leichter sei als beispielsweise die von Bolivianern. Die Verbrechensbekämpfung werde damit nicht erfolgreicher, meint der Sprecher der Polizeigewerkschaft

    "Es heißt zwar, dass man damit die Kriminalitätsrate senken möchte. Aber ich mir absolut sicher, dass 99 Prozent der Festgenommenen keine Vorstrafen haben und nicht einmal wissen, was eine Straftat ist. Es werden also keine Kriminellen festgenommen. Statt dessen verhaften wir Leute auf dem Weg zur Arbeit oder Hausfrauen, die das Mittagessen für ihre Familie einkaufen. Wir Polizisten haben das einfach satt."