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Jahrelang vertuscht und verheimlicht

Irland wird seit 15 Jahren von immer neuen Enthüllungen über Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche erschüttert. Der irische Staat sah sich gezwungen, unabhängige richterliche Untersuchungsausschüsse einzusetzen, um das Ausmaß des Missbrauchs und der Vertuschung aufzuklären.

Von Martin Alioth | 16.03.2010
    Im Jahre 1975 befragte Seán Brady, damals ein Priester und Notar der Katholischen Kirche, im Auftrag seines Bischofs einen zehnjährigen Jungen und ein 14-jähriges Mädchen über ihren erlittenen sexuellen Missbrauch. Er verpflichtete sie eidesstattlich zum Schweigen über seine Untersuchung. Sein Bericht führte dazu, dass der Täter, der Priester Brendan Smyth, die Messe nicht mehr lesen und keine Beichte mehr abnehmen durfte. Aber Brady, inzwischen Kardinal, Erzbischof von Armagh und Primas der Katholischen Kirche Irlands, ging mit seinem Wissen nicht zur Polizei. Am Sonntag erläuterte er seine Gründe:

    Das könne nur die dazu bevollmächtigte Person tun, und das sei er nicht gewesen. Die Verantwortung für den Täter habe stets sein Abt getragen.

    Im letzten Dezember wurde der Kardinal vom irischen Fernsehen gefragt, ob die Dubliner Hilfsbischöfe, die bis 2004 pädophile Priester vor der irischen Justiz geschützt hatten, zurücktreten sollten? Das war damals seine Antwort:

    Wenn er selbst herausfände, dass seine Unterlassungen weitere Kinder dem Missbrauch ausgesetzt hätten, dann würde er zurücktreten.

    Brendan Smyth, dessen Verbrechen Brady vor 35 Jahren untersuchte, fuhr noch 18 Jahre lang fort, Kinder zu missbrauchen. Darauf angesprochen, meinte der Kardinal, seine Aussage habe sich nur auf Bischöfe bezogen. Deshalb werde er jetzt nicht zurücktreten.

    Bradys Kollege, der Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin, ist da vermutlich anderer Ansicht. In einem anderen Zusammenhang sagte er letzte Woche:

    Er habe mittlerweile begriffen, wie ausschlaggebend es im Kampf gegen Pädophilie sei, Informationen weiterzugeben. Andernfalls schlüpften die Täter durchs Netz.

    Der Dubliner Prälat bezog sich auf die irischen Erfahrungen seit der Verurteilung von Brendan Smyth. Zehntausende von irischen Kindern wurden in katholisch geführten Heimen und Anstalten misshandelt; der Staat drückte beide Augen zu und wurde zum Komplizen. Hunderte von Kindern wurden von Priestern sexuell misshandelt, die anschließend heimlich in andere Pfarreien versetzt wurden.

    Die Systematik des Missbrauchs und der Verschleierung wurden indessen nicht dank der Einsicht oder gar der Reue der Kirche aufgedeckt, sondern gegen ihren erbitterten Widerstand. Der Staat setzte unabhängige richterliche Kommissionen ein, die jahrelang unermüdlich ermittelten. Trotzig verkündete der irische Justizminister, Dermot Ahern, im letzten November:

    Wir sind eine Republik, das Volk ist souverän. Niemand, auch keine Kirche, steht darüber. Im irischen Kontext waren das ungewöhnlich klare Worte, ein Akt der Emanzipation, gewissermaßen. Denn im Kern der nicht abreißen wollenden Skandale, im Kern auch der gegenwärtigen Schwierigkeiten von Kardinal Brady, steht die Weigerung der Kirche, die Justiz des Staates anzuerkennen. Aber noch nicht alle irischen Bischöfe scheinen eingesehen zu haben, dass für die mächtige Kirche jetzt andere Regeln gelten. Bischof Christopher Jones von Elphin klagte letzte Woche die Medien an:

    Die Vertuschung ist jahrhundertealt. Nicht nur in der Kirche, überall. Sie dauert an. Warum stürzt ihr euch alle auf die Kirche?