Donnerstag, 18. April 2024

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Jahresbilanz des Presserats
Fast jede zweite Rüge wegen Schleichwerbung

Der Presserat hat seine Jahresbilanz vorgelegt, und besonders Schleichwerbung hat das Kontrollorgan der deutschen Printmedien im vergangenen Jahr beschäftigt. Aber auch die Herkunftnennung von Tätern und die Berichterstattung über den G20-Gipfel hätten zu vielen Beschwerden und Rügen geführt.

von Silke Ballweg | 07.03.2018
    Gelesene Zeitungen auf einem Stapel
    Der Presserat kontrolliert die deutschen Printmedien seit 1956 (imago / Chromorange)
    Es ist ein schöner, großer Artikel. Er geht über zwei DIN A4-Seiten und ist mit bunten Fotos aufgemacht. Inhaltlich handelt er davon, wie man lästige Pfunde loswerden kann. Im Text wird dann mehrmals ein Produkt genannt, mit dem eine Diät angeblich besonders gut gelingen soll. Als zusätzlichen Service nennen die Redakteure auch gleich den Link, der auf die Seite des Herstellers führt. Für Lutz Tillmanns, den Geschäftsführer des Presserats, ist diese Form der werblichen Berichterstattung ein klarer Verstoß gegen den Pressekodex:
    "Wenn über dem Beitrag stünde: 'redaktionelle Anzeige', dann wäre das okay. Dann erfährt der Leser, dass darüber Fremdinteressen herrschen. Das ist aber hier nicht der Fall und deshalb ist das Schleichwerbung - man kennzeichnet es falsch und geriert sich, als sei es ein redaktioneller Beitrag."
    Denn für den Leser heißt das: "Der wird belogen, wir sagen, in die Irre geführt."
    Meiste Beanstandungen in Lokalzeitungen
    Der Presserat sprach eine Rüge gegen die Zeitschrift aus. Die stand mit dem Verstoß jedoch keineswegs alleine da. Fast jede zweite der insgesamt 21 vom Presserat verhängten Rügen im vergangenen Jahr wurde wegen Schleichwerbung ausgesprochen (*), die meisten der beanstandeten Artikel wurden in Lokalzeitungen veröffentlicht. Jede zweite Beschwerde richtete sich gegen regionale Blätter, sagt Lutz Tillmanns. Aber nicht, weil sie weniger sorgfältig arbeiteten, sondern:
    "Vielleicht ist es bei Regionalzeitungen auch so, dass die Leserschaft ein besonders kritisches Interesse aufbringt und wenn das aus ihrer Sicht nicht gut gelöst ist durch die Redaktionen, sich dann auch melden, Kritik üben - gegenüber der Redaktion, aber auch gegenüber dem Presserat."
    Im sogenannten Pressekodex legt der Presserat Richtlinien für die Berichterstattung der deutschen Printmedien fest. Im vergangenen Jahr wurde die Richtlinie zur sogenannten Herkunftnennung heftig diskutiert - also zur Frage, ob und wann Medien die nationale oder ethnische Zugehörigkeit mutmaßlicher Straftäter nennen können oder sollen. Aus dem bis dahin geltenden, sogenannten "begründbaren Sachbezug" machte der Presserat die Formulierung "begründetes, öffentliches Interesse". Manfred Protze, Sprecher des Presserats, erklärt, was damit gemeint ist:
    Unklarheit über Herkunftnennung
    "Das 'öffentliche Interesse' ist eine Formulierung, die abgrenzen soll von dem, was in der aktuellen Debatte auch eine immense Rolle spielt, nämlich die Neugier. Das ist aus unserer Sicht kein Abwägungskriterium, das für die Veröffentlichung spricht. Wir sagen, öffentliches Interesse in dem Sinn, es muss in irgendeiner Weise dem öffentlichen Wohl dienen und nicht der Neugier."
    Beispiele, in denen die Herkunft genannt werden kann, sind für den Presserat schwerwiegende Verbrechen wie Mord, ein Terroranschlag oder wenn die Biographie eines mutmaßlichen Täters Hinweise auf eine mögliche Straftat geben kann. In vielen Redaktionen herrscht dennoch Unklarheit, wann diese Fälle genau zutreffen. Dieses Gefühl wird noch dadurch verstärkt, dass immer mehr Polizei-Pressestellen die Herkunft von Tätern und ihre Religionszugehörigkeit auf ihren Webseiten klar benennen.
    "Die Konsumenten, also Mediennutzer, sehen die Unterschiede und sie stellen die nachvollziehbare und berechtigte Frage, warum wählt ihr so aus und nicht anders? Warum lasst ihr ein Detail weg, das aus meiner Sicht wichtig sein könnte?"
    Manfred Protze vom Presserat mahnt dennoch zur Besonnenheit:
    "Die Lösung kann nicht sein, dass man der Polizei verbietet, solche Informationen online zu stellen. Sondern dass die Redaktionen ihren Lesern gegenüber offenlegen, warum sie im Einzelfall so entschieden haben und nicht anders."
    Von 1800 Beschwerden werden 250 angenommen
    Der Presserat wird tätig, wenn Leser eine Beschwerde über einen Artikel bei ihm einreichen. Vor allem Privatpersonen haben sich letztes Jahr mit Beschwerden an den Presserat gewendet. Von den 1800 Fällen, die dort 2017 eingegangen sind, nahm der Rat 250 an.
    Auch die Berichterstattung über die Gewalt beim G20-Gipfel beschäftigte ihn. Unter anderem kritisierte er die BILD. Denn das Boulevardblatt hatte im Anschluss nicht nur einen mutmaßlichen Täter beim Werfen von Steinen abgebildet, sondern die Leser auch zur Fahndung nach der Person aufgerufen.
    "Es ist ja nicht Aufgabe der Presse, Straftäterfahndung zu betreiben, das ist in einem Rechtsstaat wie Deutschland Aufgabe der Polizei und Staatsanwaltschaft. Und wenn das eine Presse betreibt, dann ist das nicht ihre ureigene Aufgabe und verstößt gegen den Kodex.
    Das sei eine sensationelle Aufmachung und das sei nicht zulässig.
    * In der ursprünglichen Fassung hieß es, dass ein Drittel aller Rügen des Deutschen Presserats des vergangenen Jahres wegen Schleichwerbung ausgesprochen wurde. Das ist falsch, wir haben die Passage korrigiert und die Audiofassung vorübergehend entfernt.