Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Jahresrückblick
Unser Bildungsjahr 2018

Schule ohne Lehrer, in maroden Klassenzimmern mit Unterrichtsmaterialien aus dem letzten Jahrtausend: Nein, das ist keine Dystopie, sondern der Alltag von deutschen Schülern. Lehrermangel, marode Infrastruktur und der gerfloppte Digitalpakt, sind Themen die das Schuljahr 2018 geprägt haben.

Von Manfred Götzke | 29.12.2018
    Rucksäcke hängen an einer Garderoba in einer sanierungsbedürftigen Grundschule in Berlin (13.02.2009).
    2018 ist am Ende, viele Schulgebäude in Deutschland sind es auch. Beim Rückblick auf das Bildungsjahr gibt es nicht viel zu feiern (imago / Rolf Zöllner)
    Ein fast unkündbarer Job auf Lebenszeit, familienfreundliche Arbeitszeiten – und Arbeit in einem jungen Umfeld: Diese Job-kriterien haben 2018 nicht allzu viele Leute hinterm Sofa vorgelockt. 40.000 Lehrer fehlen dieses Jahr an deutschen Schulen. Berlin zum Beispiel hat deshalb eingestellt, was nicht bei drei auf den Bäumen war, um die Stellen irgendwie zu besetzen. Lehrer ohne volle Lehrbefähigung zum Beispiel.
    "Das sind Menschen, die haben irgendwas studiert, das kann die Archäologin sein, die als Geschichtslehrerin eingestellt wird."
    Und diese "Lovels" genannten Nicht-Pädagogen sind an Berlins Schulen keine Exoten – sondern unter den neuen Lehrern sogar die Mehrheit. Nur noch jeder dritte neue ist ausgebildeter Lehrer. Aber was soll‘s. Passt schon – äh, oder doch nicht?
    "Das Problem ist, der kann nicht erklären, erklärt auch nicht. Und das wird sich auf meine Mathekenntnisse auch irgendwann auswirken."
    Dass sich in Berlin und der Restrepublik zu wenige echte Lehrer gefunden haben, in diesem Jahr – vielleicht hängt es auch mit den Bedingungen am Arbeitsplatz zusammen. Die waren 2018 in zehntausenden Schulen in Deutschland sagen wir mal so wie sich ein Boris Palmer Berlin vorstellt.
    Baustelle statt Klassenzimmer
    "Es stinkt. Genau. Es stinkt. Und das ist nicht menschengemacht oder die Folge davon, dass es eine Toilette ist, sondern es stinkt einfach aus den Rohren. Da kann man machen, was man will."
    "Die Decken fehlen, die Kabel liegen frei. Ständig werden wir in andere Räume umgeleitet. Da wurde ja auch schon extra dieses Gebäude da gebaut. Es sind eigentlich gar keine schweren Arbeiten, aber die werden halt nicht gemacht."
    Jaja, dass sich die Sanierungen an Deutschlands Schulen stauen, es wurde in diesem Jahr besonders offensichtlich. Manche Schulen mussten 2018 von einem Tag auf den anderen komplett umziehen, weil Decken runtergefallen waren. Dass es keine Verletzten oder Tote gab, zum Teil pures Glück.
    "Nackenklatsche, Ellbogen, Flaschen werfen. Oder die ganze Zeit durch die Klasse rennen, auch mal raus, Tür auf, Tür zu. Bis dann endlich jemand ausrastet."
    Genau, zartbesaitet durfte der Lehrer im Jahr 2018 auch nicht sein. Dass Deutschlands Schulen ein Gewaltproblem haben, das haben dieses Jahr gleich mehrere Studien gezeigt. Schüler gegen Schüler. Schüler gegen Wände, Schüler gegen Lehrer. Letzteres an jeder zweiten Schule in Deutschland ein Problem.
    "In meiner 5. Klasse hatte ich den einen Schüler, der seine Hausaufgaben zum wiederholten Mal nicht gemacht hat – und daraufhin tickte der völlig aus und warf mit einem Lineal nach mir."
    Die Kreidezeit ist nicht vorbei
    Gut, dagegen waren die inhaltlichen, pädagogischen Streitigkeiten fast schon ein bisschen kleinkariert. Die gab es natürlich auch. Zum Beispiel zur Frage: Wie lernen Kinder am besten richtig schreiben. Da hat dieses Jahr eine Studie für Aufsehen und Protest gesorgt, die eigentlich doch nur den gesunden Menschenverstand bestätigt – also den von Nicht-Pädagogen.
    "Die Fibel geht systematisch, strukturiert, auch spielerisch ermutigend und mit Spaß an der Sache heran und vermittelt den Kindern ein Rüstzeug, Richtlinien, Regeln, damit sie am Ende der vierten Schulklasse auch orthografisch richtig schreiben können."
    Ja die klassische Fibel – sie soll besser sein als eine andere Methode, – das so genannte Lesen durch Schreiben. Da sollen Grundschüler – ganz grob verkürzt – selbst irgendwie kreativ loslegen – und sich das schreiben und lesen quasi selbst beibringen. Und zwar ohne nervige korrigierende Eingriffe der Lehrer, die den Spaß direkt abwürgen würden. Bis dann irgendwann die Rechtschreibung gilt.
    Funktioniert also offenbar nicht. Aber: wussten die Lehrer eigentlich auch vorher schon – weswegen sowieso kaum jemand nur nach dieser Methode unterrichtet hat. Aber eine Studie mehr kann ja auch nicht schaden. Und jetzt: Fibeln raus, Schreibschrift üben. Passt ja auch irgendwie, denn auch die Kreidezeit wird in den Schulen nicht so schnell vorbei sein, wie sich das mancher noch vor ein paar Wochen erhofft hat. Der Digitalpakt ist ja - mal wieder - vorerst gescheitert. Und so dürften die Schüler landauf, landab auch 2019 wieder konstatieren:
    "Digitalisierung ist in den Schulen nicht vorhanden. Wenn man mehr als einen Computerraum hat und die Computerräume nicht mit Windows 98 laufen, dann hat man schon eine sehr gute Schule erwischt – und das geht einfach nicht mehr!"