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Jahrestag der Befreiung Leningrads
"Vergebung für Nazis gibt es nicht“

Am 27. Januar 1944 endete die Blockade Leningrads durch die Deutsche Wehrmacht. Etwa eine Million Menschen fielen ihr zum Opfer. Den 75. Jahrestag der Befreiung feiert Russland mit einer Militärparade, gleichzeitig fordert das russische Außenministerium Entschädigungen von Deutschland.

Von Thielko Grieß | 27.01.2019
    Präsident Putin legt in Sankt Petersburg Blumen für die Opfer der Belagerung von Leningrad nieder.
    Der russische Präsident Wladimir Putin legt in Sankt Petersburg Blumen für die Opfer der Belagerung von Leningrad nieder (picture alliance / Mikhael Klimentyev / Sputnik / dpa)
    Das offizielle Sankt Petersburg hat den Tag unter anderem mit einer fast zweistündigen Militär-Parade auf dem Palastplatz im Zentrum der Stadt gefeiert. Auf einer Tribüne saßen Überlebende der Blockade sowie Veteranen der Roten Armee. Wladimir Putin, Russlands Präsident, legte an einem Massengrab, in dem auch sein während der Belagerung an Diphterie gestorbener Bruder liegen soll, einen Kranz nieder. In einer Rede wenig später sprach er von Verneigung vor denen, die die Stadt verteidigt und gerettet hätten.
    "Vergebung für Nazis gibt es nicht und wird es nicht geben. Sie hatten entschieden, eine uneinnehmbare Stadt zu brechen, indem sie sie zynisch aushungern ließen und gezielt hunderttausende Zivilisten auslöschten. Das nennt sich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit."
    Nur wenige schafften es aus der Stadt
    Belagerung und Aushungerung waren der Befehl Adolf Hitlers gewesen. 872 Tage lang war sie nur aus der Luft und im Winter über den zugefrorenen Ladoga-See zu versorgen – und dies wegen des andauernden Beschusses der Angreifer absolut mangelhaft. Wohl weit mehr als eine Million Menschen starben, die genaue Zahl ist unbekannt. Die meisten Opfer waren Zivilisten, fast alle starben an Unterernährung und Krankheit. Noch Lebende hatten oft keine Kraft mehr, ihre verstorbenen Angehörigen zu bestatten. Menschen kochten in der Not Lederwaren aus, aßen Ratten, Tapetenkleister; es kam auch zu Kannibalismus. Nur wenige hatten das Glück, es aus der Stadt hinaus zu schaffen.
    "Die ganze Blockade hindurch haben wir in Leningrad gelebt", erzählt diese Überlebende. "Ich, wie meine Mutter sagte, ein kleines Skelett, wurde mit einem Auto über das Eis des Ladoga-Sees weggebracht. Ich hatte Glück, dass keine Bombe das Auto traf, und wir wurden zum ‚großen Land‘ gebracht, wie wir die nicht besetzte Region östlich des Ladoga-Sees nannten."
    Militärparade statt Trauer
    Die staatlich organisierte Erinnerung an die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg ist in Russland in den vergangenen Jahren Veränderungen unterworfen worden. Eine Parade anlässlich der Befreiung der Sankt Petersburgs war dort noch vor zehn Jahren nicht organisiert worden. Jahrzehntelang überwog die Trauer, die Erinnerung an unbeschreibliches Leid. Dass die Staatsmacht nun Militärisches in den Vordergrund stellt, heißen längst nicht alle Russinnen und Russen gut, wie etwa Irina Prochorowa, Chefredakteurin des russischen Magazins "Neue Literarische Rundschau". "So etwas halte ich für einen Frevel. Man sollte das Geschehene eher beweinen, weil die Stadt damals fast ausstarb. Was gibt es denn anlässlich dieses Datums noch zu feiern?", so Prochorowa im Sender Echo Moskwy.
    Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Tagen mit der russischen Seite nach den Worten von Außenminister Heiko Maas darauf geeinigt, "dass wir in Gedenken an die Leningrader Blockade ein deutsches Unterstützungsprojekt auflegen werden. Und damit fördern wir ein Krankenhaus für Blockadeopfer und eine Begegnungsstätte in Sankt Petersburg."
    Die Rede ist von zwölf Millionen Euro, wie aus einer Mitteilung des Auswärtigen Amts hervorgeht. Das russische Außenministerium erklärte, damit seien nicht alle Fragen abgeschlossen. Die Bundesrepublik solle zusätzliche Entschädigungen bereitstellen. In der Vergangenheit habe sie jüdischen Überlebenden der Blockade Geld ausgezahlt. Dies sei auf alle Überlebenden, Zitat, "unabhängig von ihrer Nationalität", auszudehnen.